Vor der Einigung der Regierungskoalition hatten sich die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die von der Post dominierte Arbeitgeberverband Postdienste auf eine Änderung des Geltungsbereichs im Mindestlohntarifvertrag geeinigt. Demnach sollen Mindestlöhne künftig für jene "Betriebe oder Betriebsteile, die überwiegend Briefsendungen gewerblich oder geschäftsmäßig für Dritte befördern", gelten. CDU und CSU begrüßten wie auch die SPD die Vereinbarung.
Der Mindestlohntarifvertrag war zuvor bei Union und privaten Post-Wettbewerbern auf Widerstand gestoßen, da unklar war, wer davon betroffen wäre und ob die Vereinbarung die für allgemeinverbindliche Lohnuntergrenzen notwendigen mehr als 50 Prozent der Beschäftigten erfasst. Moniert wurde auch die Höhe der ausgehandelten Mindestlöhne für die Branche von 8,00 bis 9,80 Euro. Diese wurde von den Tarifparteien jedoch nicht verändert.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte die Einigung: "Es hat sich gelohnt, hartnäckig zu verhandeln", sagte sie und fügte hinzu: "Der jetzt vorgelegte Tarifvertrag erfüllt die Voraussetzungen für eine Zustimmung und die Aufnahme in Entsendegesetz."
Scholz sagte, dies sei "ein guter Tag" für Postbeschäftigte. Zugleich verwies er auf seine weiteren Mindestlohnpläne. So solle das Entsendegesetz bis zum Frühjahr novelliert werden. Damit können tarifvertraglich vereinbarte Mindestlöhne weiterer Branchen auf alle betroffenen Arbeitnehmer ausgeweitet werden. Für Bereiche mit einer Tarifbindung unter 50 Prozent oder ohne Tarifverträge soll das so genannte Mindestarbeitsbedingungengesetz gelten, das ebenfalls überarbeitet werde.
Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) kündigte mit Blick auf die Post-Mindestlöhne an: "Wir werden noch vor Weihnachten Nägel mit Köpfen machen." Das Gesetz müsse "so rasch wie möglich" kommen. "Weitere Verzögerungen darf es nicht geben."
Zufrieden zeigte sich SPD-Chef Kurt Beck. Mit dem neu formulierten Tarifvertrag erhielten Hunderttausende Beschäftigte eine Garantie, für anstrengende und gute Arbeit einen angemessenen Lohn zu bekommen. Beck sprach von einem "Riesenerfolg" aus sozialdemokratischer Sicht.
Der Erfolg sei möglich geworden, weil die SPD nach dem Scheitern im Koalitionsausschuss "mit hoher Konsequenz drangeblieben" sei und sich mit dem Scheitern nicht einfach abgefunden habe. Er selbst habe mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Vielzahl von Gesprächen geführt. Darüber hinaus habe es weitere intensive Kontakte auch mit den Tarifvertragsparteien gegeben.
Streitpunkt war bislang der Geltungsbereich für den Tariflohn. Die Union habe alle Anbieter erfassen wollen, die "überwiegend" Briefe befördern, sagte Beck. Dies hätten die Firmen aber umgehen können, beispielsweise durch die Bildung von Holdings. Die jetzige Vereinbarung, dass Mindestlöhne künftig für alle "Betriebe und Betriebsteile" gelten, die "überwiegend" Briefsendungen befördern, vermeide dies.
"Jetzt ist der Weg frei für eine zügige Einführung des Post-Mindestlohns, und zwar unter voller Wahrung der Tarifautonomie", so die These von CSU-Chef Erwin Huber.
Der Wirtschaftsflügel der Union kritisierte den neuen Tarifvertrag dagegen scharf. Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, sprach von einem "ordnungspolitischen Sündenfall" und einem "Anschlag auf die Tarifautonomie". FDP-Generalsekretär Dirk Niebel kritisierte eine "Selbstentmachtung" der Tarifparteien.
Grünen-Chef Reinhard Bütikofer hielt dagegen: "Dass die Koalition sich nach langem Gezerre auf einen Postmindestlohn geeinigt hat, zeigt vor allem eines: Die Union kann die Forderung nach Mindestlohnregelungen nicht aufhalten. Die nächsten Branchen werden folgen."
Post-Chef Klaus Zumwinkel sieht sein Unternehmen nun für den Wegfall des Postmonopols gewappnet. Er betonte: "Jetzt sehen wir die Chance, dass sich dieser Wettbewerb nicht über die niedrigsten Löhne, sondern hauptsächlich über Qualität, Zuverlässigkeit und Innovation entwickeln kann."
Der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion, Werner Dreibus, sprach von einem "unzulässigen Druck von Politik und Wirtschaft auf die Tarifpartner", der nun doch zu einer Neufassung des Mindestlohn-Tarifvertrags geführt habe. Erfasst würden jetzt nur noch die Betriebe, die überwiegend Briefe beförderten. Der Arbeitgeberverband (AGV) Postdienste und Ver.di seien den Kritikern einer branchenbezogenen Lohnuntergrenze sehr weit entgegengekommen, um den Mindestlohn zumindest für einen Teil der Zustellerinnen und Zusteller zu retten.
"Dem Missbrauch werden jetzt allerdings Tür und Tor geöffnet", meint Dreibus. "PIN, TNT und Co. werden genügend Möglichkeiten finden, weiter Lohndrückerei zu betreiben. Gerade jene Zustellerinnen und Zusteller, die den Mindestlohn am meisten bräuchten, werden ihn so voraussichtlich nicht bekommen." Nach Ansicht von Dreibus macht der Fall deutlich, dass "die einzig praktikable Lösung ein gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 8,44 Euro" sei.