SPD-Chef Kurt Beck nannte die Einigung am Freitag "gut für Europa und gut für Deutschland". Die Reform sei notwendig, "um die EU als Friedens- und Wohlstandsprojekt und als Instrument zur friedlichen und sozial gerechten Gestaltung der Globalisierung entschieden voranzubringen".
CSU-Landegruppenchef Peter Ramsauer sagte, "Europa ist einen gewaltigen Schritt weiter." Mit dem neuen Grundlagenvertrag werde die EU wieder geschlossen auftreten können. "Dem Wort Verfassung muss man auf keinen Fall nachtrauern", meint Ramsauer und forderte ebenfalls eine zügige Ratifizierung.
Geplant ist, dass sich das Kabinett nach der für 13. Dezember vorgesehenen Unterzeichnung des Vertrages noch vor Weihnachten mit dem Dokument befasst. Das deutsche Ratifizierungsverfahren soll bis Sommer 2008 abgeschlossen sein. Das Vertragswerk bedarf dafür einer Zustimmung durch Bundestag und Bundesrat. Erst nachdem alle EU-Mitglieder ratifiziert haben, können die Reformen in Kraft treten. Dies soll am 1. Januar 2009 geschehen.
Die FDP-Europapolitikerin Koch-Mehrin sagte zur Einigung des Gipfels: "Es ist ein kleinster gemeinsamer Nenner". Zahlreiche Ausnahmeregelungen entsprächen im Grunde nicht dem europäischen Geist, sondern machten eher ein Ringen darum deutlich, "wer mit dem Paket am meisten nach Hause bringen kann". Koch-Mehrin fügte aber insbesondere mit Blick auf die Stärkung des Europaparlaments hinzu: "Es wird schon einiges besser werden, wenn dieser Vertrag tatsächlich in Kraft tritt."
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast und der Grünen-Europaexperte Rainder Steenblock nannten die Einigung von Lissabon dringend notwendig. Dies sei der erste Schritt für überfällige Reformen. Nun müsse sich Europa endlich mit größerer Handlungsfähigkeit und Transparenz auf die Zukunftsfragen konzentrieren.
Linke-Chef Lothar Bisky äußerte sich dagegen enttäuscht: Der Vertrag entspreche nur auf wenigen Gebieten den Herausforderungen der Gegenwart und kaum denen der Zukunft. "Die markantesten Defizitpunkte bisheriger Europapolitik und die damit verbundenen Gründe für die wachsende Kluft zwischen Politik und Akzeptanz der EU durch die Bürgerinnen und Bürger bleiben leider bestehen", kritisierte Bisky. Die Linke bleibe dabei, dass die Europäer selbst entscheiden müssten, ob dieser Vertragsentwurf die Grundlage der künftigen EU-Politik werden soll.
Attac: Militaristisch und neoliberal Am 11. März 2007 hatten 17 europäische Ländersektionen von Attac "Zehn Prinzipien für einen demokratischen Vertrag" vorgelegt, die aus Sicht der Globalisierungskritiker zu einer Neubegründung der Europäischen Union (EU) beitragen sollten. Die aufmerksame Lektüre des jetzt vorgelegten Reformvertrags zeige jedoch, dass er keines der "zehn Prinzipien" respektiert werde. "Mehr noch, er ist eine getarnte Neuauflage des Europäischen Verfassungsvertrages, den die französischen und niederländischen Wählerinnen und Wähler im Jahr 2005 abgelehnt haben. Dieser Text ist inakzeptabel, sowohl was sein Zustandekommen als auch was seinen Inhalt betrifft."
Die europäischen Attacs hatten vorgeschlagen, einen demokratischen Prozess zur Ausarbeitung und Annahme des gesamten neuen Vertrags zu starten. Allem voran müsse eine von den Bürgerinnen und Bürgern "direkt gewählte Versammlung" eingesetzt werden. Die nationalen Parlamente müssen wirksam am Prozess beteiligt werden. Alle Mitgliedsstaaten müssten bei der Ratifizierung ein bindendes Referendum, also eine Volksabstimmung durchführen. Jetzt sei wieder ein Vertragstext vorgelegt worden, der zudem "hinter verschlossenen Türen abgefasst" worden sei. Er solle nun in der Mehrzahl der Mitgliedsländer auf parlamentarischem Wege, also ohne Referenden, angenommen werden. "Und dies so schnell wie möglich, um so jede wirkliche öffentliche Debatte zu unterbinden", kritisiert Attac.
"Mit der Ausnahme einiger Veränderungen von geringer Tragweite bleibt es bei der bestehenden Funktionsweise der EU, die durch eine Verletzung der Gewaltenteilung gekennzeichnet ist", kritisiert Attac. Das Europäische Parlament bleibe von weiten Entscheidungsbereichen ausgeschlossen, die wichtige Zuständigkeiten der Union beträffen. Insbesondere sei dem Parlament jegliche legislative Initiative versagt. Dagegen behalte der Rat seine Rolle als gesetzgeberisches Organ, "obwohl er eigentlich nur das Treffen der nationalen Regierungen ist. Die Lobbys werden weiterhin eine wesentliche Rolle spielen." Auch das Initiativrecht der Bürgerinnen und Bürger reduziere sich "auf fromme Absichtserklärungen".
"Die Presse hat viel Schaum um die Tatsache geschlagen, dass der 'freie und unverfälschte' Wettbewerb nicht länger als eines der Hauptziele der Union erwähnt wird", meinen die Globalisierungskritiker. "Dies sei, so sagt man uns, der Beweis, dass der Verfassungsvertrag wirklich aufgegeben wurde. Aber man merkt bei der Lektüre des Dickichts der Paragraphen, Protokolle und Erklärungen, dass dieser Wettbewerb allgegenwärtig bleibt. Er macht es unmöglich, dem neoliberalen Modell zu entrinnen." Genau dieser Wettbewerb bestimme das Funktionieren der Dienstleistungen im Allgemeinen Wirtschaftlichen Interesse (DAWIs). Und er könne auf sämtliche anderen öffentlichen Dienste ebenfalls ausgedehnt werden. "Der Vertrag, so wie er sich darstellt, macht es den Staaten unmöglich, sich für etwas anderes als den entfesselten wirtschaftlichen Liberalismus zu entscheiden."
Die Charta der Grundrechte habe zwar "verpflichtenden Charakter", aber die Rechte seien im Allgemeinen von sehr geringer Reichweite, so Attac. Zudem werde bei der Anwendung der Rechte auf "einzelstaatliche Gesetzgebung und Regelungen" verwiesen. Somit schaffe die Charta keinerlei europäisches Sozialrecht und beschränke sich auf vage Formulierungen, die zu nichts verpflichteten. Großbritannien und Polen erhielten gar Ausnahmeklauseln bei der Anwendung der Grundrechte.
Die "gemeinsame Verteidigung der Union" ist laut Attac "nur im Rahmen der NATO vorgesehen". Der Militarismus werde mit dem Vertrag offiziell befördert: "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern." Im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus werde zu militärischen Interventionen im Ausland sogar ermuntert. All dies erscheine schon im Entwurf des Verfassungsvertrags und "ist Wort für Wort in den neuen Vertrag übernommen worden".
"Dieser Reformvertrag ist von A bis Z vom Neoliberalismus gekennzeichnet, sowohl in den Prinzipien, die er fördert, als auch den Politiken, mit denen er operiert. Die wenigen positiven Punkte stellen die augenblickliche Arbeitsweise der Union und ihr erschütterndes Demokratiedefizit nicht in Frage", kritisiert Attac.