Laut Müller war "der Ausstiegsbeschluss" aus der Atomenergie "keine rigorose Willkür, sondern ein Kompromiss, um einen langen Streit zu beenden und die Weichen für eine moderne und nachhaltige Energieversorgung zu stellen". Die Argumente für diese Neuordnung seien über eine lange Zeit gewachsen.
Müller verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Vereinbarung der rot-grünen Bundesregierung mit den Atomkraftwerksbetreibern von Atomkraftgegnern heftig kritisiert wurde: "Der geordnete Rückzug aus der Atomkraft aus dem Jahr 2001 blieb weit hinter dem zurück, was die Atomkraftgegner gefordert hatten. Es ist ein beschleunigtes Auslaufen", so der Staatssekretär.
"Die Zahl der Atomkraftwerke wird weltweit auf jeden Fall deutlich zurückgehen"
Weltweit werde "in den nächsten Jahren" die Zahl der Atomkraftwerke "auf jeden Fall deutlich zurückgehen", so Müller, viele der "groß angekündigten Neubauten" seien "seit Jahrzehnten bekannt". Während weltweit 31 Staaten auf Atomstrom setzen würden, hätten seit 2001 bereits 46 Staaten der Erde das deutsche Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien "übernommen". Die Stromerzeugung in erneuerbaren Energieanlagen werde den nuklearen Stromanteil weit übersteigen. Die Alternativen seien "davon gekennzeichnet, dass sie deutlich preiswerter werden, während die traditionellen Energieträger teurer werden".Wirtschaft und Gesellschaft seien "nicht von der Atomkraft abhängig". Es gebe Alternativen, die in der Zukunft an Bedeutung gewinnen würden. "Die Atomkraft ist ein Auslaufmodell – schon wegen der begrenzten Uranressourcen", so Müller. Die technologische Entwicklung lasse heute "dezentrale Energiesysteme" zu. "Denen gehört die Zukunft", so Müller, der sich in der Vergangenheit allerdings für zentrale Offshore-Windparks und den Abbau von dezentralen Windkraftanlagen im Binnenland ausgesprochen hatte. Jetzt argumentiert Müller, dass dezentrale Energiesysteme "das Gegenteil der kapitalintensiven und unflexiblen Struktur der großen Atomkraftwerke" darstellen würden.
"Die Explosion 2001 in Brunsbüttel war kritisch"
Natürlich gebe es kein Leben ohne Risiko, "aber es geht bei der Atomkraft um die Frage, ob dieses Risiko erstens vertretbar und zweitens vermeidbar ist", so Müller. Zwar bestreite "niemand", "dass der Sicherheitsstandard in Deutschland hoch ist", so der Staatssekretär, "obwohl auch hier eine Vielzahl von Atomkraftwerken Schwachstellen aufweisen. Aber auch für unser Land kann ein schwerer Unfall nicht ausgeschlossen werden. Die Explosion 2001 in Brunsbüttel war kritisch und auch die terroristischen Gefahren dürfen nicht unterschätzt werden." Der Ablauf des Trafobrands und der Ausfall von Pumpen seien "keine Kleinigkeit" gewesen.
Deshalb sei ein Vergleich des Risikos der Atomenergie mit Straßen- oder Luftverkehr "eine Verkennung der Dimension", so Müller unter Verweis auf das "mögliche Schadensausmaß" einer Atomkatastrophe. "Die Vergleiche, die jetzt herangezogen werden, verniedlichen die Tatsache, dass ein GAU nicht ausgeschlossen werden kann und für unser Land katastrophale Folgen hätte."
"Die Klima-Enquete hat nachgewiesen, dass die Atomkraft das Klimaproblem nicht lösen kann"
Schließlich wandte sich der Umweltstaatssekretär auch dagegen, die Atomenergie mit dem Klima-Argument anpreisen zu wollen: "Die Klima-Enquete des deutschen Bundestages hat schon 1990 (auf der Basis von mehr als 150 umfangreichen Studien alle führenden energiewissenschaftlichen Institute) nachgewiesen, dass die Atomkraft das Klimaproblem nicht lösen kann und sogar moderne Energiedienstleistungen blockiert."
Auch könne kein Atomkraftbefürworter "den Widerspruch auflösen, die Atomkraft als wichtigen Beitrag zum Klimaschutz anzupreisen, aber gerade diese Technologie für alle instabilen Länder der Erde, von denen es sehr viele gibt, ausschließen zu wollen", so Müller.
Die richtige Formel heißt nach Auffassung Müllers "'Klimaschutz durch Atomausstieg', weil wir eine neue Struktur der Energieversorgung brauchen, die sowohl eine Nutzung der Effizienzpotenziale als auch eine Marktöffnung für die erneuerbaren Energien ermöglicht. Sie muss dezentral, flexibel und vernetzbar sein. Das ist die Atomkraft nicht."
Nicht zuletzt gehe es auch um mehr Energieeffizienz sowohl auf der Angebots- wie der Nachfrageseite. "Die Effizienztechnologien" kämen zu hohen Wirkungsgraden bei Wandlung und Nutzung von Energie. Das aber sei mit der Atomkraft nicht vereinbar, "die über einen Wirkungsgrad von 30 Prozent nicht hinauskommt", so Müller.
Der Staatssekretär kommt zu dem Ergebnis, dass die Auseinandersetzung um die Atomkraft insofern eine Auseinandersetzung zwischen altem und neuem Denken sei. Die Befürworter seien Anhänger einer Energie- und Technikphilosophie, die keine Zukunft haben kann, meint Müller. Entscheidend sei es, heute die Weichen für eine nachhaltige Energieversorgung zu stellen. "Die, die heute die Atomkraft verlängern oder sogar neu beleben wollen, sind von gestern."