Europawahl
Die Europäische Union basiert derzeit insbesondere auf drei zentralen Verträgen: auf dem EU-Vertrag, dem EG-Vertrag und dem EURATOM-Vertrag. Der EU-Vertrag bildet derzeit vor allem die Grundlage für die Außen, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie für die so genannte Innere Sicherheit. Der EURATOM-Vertrag begründet eine Zusammenarbeit zur Förderung der Atomenergie. Der EG-Vertrag bildet die Grundlage für alle übrigen Politikbereiche, von der Wirtschafts-, über die Handels- bis zur Umwelt- und Geesundheitspolitik. Auf der Grundlage dieses Vertrages wird in erster Linie die Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarktes vorangetrieben.
Die Staats- und Regierungschefs haben jetzt beschlossen, den "EG-Vertrag" in "Vertrag über die Arbeitsweise der Union" umzubenennen. Die "Europäische Gemeinschaft" soll als Rechtspersönlichkeit nicht mehr weiterexistieren. Der Ausdruck "Gemeinschaft" soll durchgängig durch den Ausdruck "Union" ersetzt werden.
Der EU-Vertrag hingegen soll seinen Namen beibehalten. Auf Grundlage dieses Vertrages soll die Union künftig eine einheitliche Rechtspersönlichkeit erhalten. Der EU-Vertrag soll als grundlegender Vertrag in 6 Titel untergliedert werden: Gemeinsame Bestimmungen (I), Bestimmungen über demokratische Grundsätze (II), Bestimmungen über die Organe (III), Bestimmungen über eine verstärkte Zusammenarbeit (IV), Allgemeine Bestimmungen über das auswärtige Handeln der Union und besondere Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (V) und Schlussbestimmungen (VI).
Ausdrücklich wurde beschlossen, dass ein Großteil des an zwei Referenden gescheiterten Verfassungsentwurfs in den EU-Vertrag und in den "Vertrag über die Arbeitsweise der Union" (EG-Vertrag) eingearbeitet werden soll.
Weitere Beschlüsse
Die EU soll künftig einen ständigen Ratspräsidenten bekommen. Der "Europäische Präsident" soll zweieinhalb Jahre den Europäischen Rat leiten. Somit soll es künftig keine rotierende Präsidentschaft mehr geben.
Bei den viel diskutierten Mehrheitsentscheidungen im EU-Ministerrat sah der Verfassungsentwurf das Prinzip der doppelten Mehrheit vor: Beschlüsse erfordern demzufolge eine Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedsländer. Gleichzeitig müssen 65 Prozent der EU-Bevölkerung zustimmen. Mit dem System der doppelten Mehrheit verliert beispielsweise Polen Stimmen im Rat. Deutschland dagegen gewinnt an Gewicht. Nun soll die doppelte Mehrheit erst 2014 in Kraft treten. In Streitfällen sollen sich Staaten außerdem noch bis 2017 auf den Nizza-Vertrag berufen und den Aufschub einer Entscheidung fordern können.
Wegen britischer Bedenken soll der eigentlich geplante "Außenminister" der EU nun den Titel "Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik" tragen. Mit diesem Posten sollen die bisherigen Funktionen des EU-Außenbeauftragten und des EU-Außenkommissars konzentriert werden. Bisher haben der Spanier Javier Solana und die Österreicherin Benita Ferrero-Waldner diese Posten inne.
Großbritannien wollte weiterhin auch keine Rechtsverbindlichkeit der Grundsrechtscharta. Sie soll nun nicht mehr unmittelbarer Teil der Verträge werden. Es soll allerdings förmlich auf die Grundsrechtscharta verwiesen werden, ohne dass sie jedoch für Großbritannien verbindlich werden soll.
Das Europaparlament soll künftig gleichberechtigt mit dem Ministerrat über den EU-Haushalt entscheiden können. Die Zahl der Kommissare der EU-Kommission soll bis 2014 von derzeit 27 auf 15 reduziert werden.
Die Die Staats- und Regierungschefs beschlossen weiterhin, dass einzelne Mitgliedsstaaten - wie etwa Großbritannien - aus EU-Beschlüssen über engere Zusammenarbeit in Fragen der Justiz- und Polizeizusammenarbeit aussteigen können. Auch in der Sozialpolitik sollen Staaten aus der gemeinsamen Politik ausscheren dürfen. Wenn innerhalb von vier Monaten keine Einigung erreicht wird, sollen jene Staaten, die das wollen, "vorangehen" können.
Die nationalen Parlamente sollen künftig binnen acht Wochen gegen beabsichtigte Rechtsakte der EU Einspruch erheben können, falls sie meinen, dass diese nationale Zuständigkeit verletzen.
Schäfer: Positiv ist die Bewahrung der Kernelemente des Verfassungsvertrags
Der europapolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Axel Schäfer, sagte, positiv sei "die Bewahrung der Kernelemente des Verfassungsvertrags" wie die Stärkung des Europaparlaments, die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta, die einheitliche Rechtspersönlichkeit, das EU-Bürgerbegehren und die "Verbesserung der Handlungsfähigkeit nach Innen und Aussen".
Bedenklich müsse aber die Grundhaltung mehrerer Regierungen gegenueber der Europäischen Union stimmen. Sie betrachteten die EU zunehmend als Belastung, die es möglichst abzuwehren gelte, und nicht mehr als die - letztlich alternativlose - Gestaltungs- und Selbstbehauptungsmöglichkeit in einer globalisierten Welt.
Die Europäische Union müsse "die Verfassungsfrage endlich lösen", fordert Schäfer, und "mit den neuen Regeln zum Wohle der Menschen handeln". Unverholen droht der SPD-Politiker Mitgliedsstaaten mit dem Ausschluss aus der EU: "Sollte dann aber die Ratifizierung des nun vereinbarten Grundlagenvertrages wieder in einem Mitgliedstaat zu scheitern drohen, würde die EU in eine existenzbedrohende Krise geraten. Das darf nicht sein. Ein solches Land müsste sich fragen, ob es noch Mitglied bleiben kann."
Maurer: Volksabstimmung über EU-Vertrag
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Ulrich Maurer, sprach von "peinlichen Gipfelschiebereien". Die Linke lehne "den Versuch ab, die neoliberalen Kernpunkte des Verfassungsentwurfs, deretwegen sie in Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gescheitert ist, mit undemokratischen Mitteln in einem Grundlagenvertrag des kleinsten gemeinsamen Nenners durch die Hintertür durchzusetzen".
Nichts zeige das deutlicher als "die Degradierung des Grundrechtekatalogs zum Vertragsanhängsel", aus dem sich jedes Land heraus stehlen könne. Eine EU-Sozialunion werde damit auf den St. Nimmerleinstag verschoben. "Die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur militärischen Aufrüstung hingegen soll bestehen bleiben", kritisiert Maurer. Damit würde Krieg zum vertraglich festgelegten Mittel der EU-Außenpolitik.
Die Regierungen der EU-Staaten ließen die europäische Idee im Sumpf der Geheimdiplomatie versinken. Die deutsche Ratspräsidentschaft habe maßgeblich "zu dieser Entdemokratisierung des Verfassungsprozesses" beigetragen, kritisiert Maurer. Parlamente und außerparlamentarische Bewegung blieben von der Erarbeitung des Vertrages ausgeschlossen. Umso wichtiger sei es, "dass die Völker Europas über den von der Regierungskonferenz ausformulierten EU-Vertrag abstimmen können". Maurer forderte eine unmittelbare Beteiligung von Bundestag und Landtagen an der Ausarbeitung des Vertrages und eine europaweite Volksabstimmung am Tag der Europawahlen.