Den Vorwurf, es entstünde "ein europäischer Superstaat", lässt die deutsche Bundesregierung nicht gelten. "Vertreter dieser Auffassung verkennen, dass die Verfassung Europa gerade demokratischer macht", so die Bundesregierung. Das EU-Parlament erhalte ein "weitreichendes Mitentscheidungsrecht" in der europäischen Gesetzgebung und in Haushaltsfragen. Außerdem wähle es den EU-Kommissionspräsidenten.
Zudem: Ohne Europaparlament könne der Ministerrat der EU künftig kaum noch handeln. Das Europaparlament sei von den Europäerinnen und Europäern direkt gewählt und somit demokratisch am höchsten legitimiert.
"Fraktionszwang nur sehr schwach ausgeprägt"
Bemerkenswert ist, dass die Bundesregierung den im Bundestag gängigen Fraktionszwang offenbar als wenig demokratisch ansieht. Einen solchen gebe es im Europaparlament bislang nur wenig. So sei - so die Bundesregierung - im Europaparlament "die - von Staatsrechtlern oft gerügte - Fraktionsdisziplin der nationalen Parlamente kaum beziehungsweise nur sehr schwach ausgeprägt, so dass das demokratische Element in der EU-Verfassung erst recht gestärkt wird".
Die nationalen Parlamente - in Deutschland Bundesrat und Bundestag - erhielten mit der Verfassung ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof, wenn die EU das Subsidiaritätsprinzip verletze. "Das heißt, wenn die EU eine Regelung erlässt, die sie nicht erlassen darf, weil die zu regelnde Frage besser auf nationaler Ebene zu regeln ist, können die nationalen Parlamente dieses Verhalten gerichtlich verfolgen. Das ist ein absolutes Novum in der Geschichte der Europäischen Union und eine weitreichende Stärkung der nationalen Parlamente."
"Bürgerbegehren"
Bemerkenswert ist auch, dass die Bundesregierung die Möglichkeit direkt-demokratischer Beteiligungsformen in der geplanten EU-Verfassung lobt, während sie Volksentscheide auf Bundesebene stets abgelehnt hat.
So sei durch die EU-Verfassung auch die Möglichkeit des europäischen Bürgerbegehrens neu, "das zum erstenmal in der Geschichte der EU direkt-demokratische Elemente auf europäischer Ebene einführt".
"Das Diktat des Stärkeren ist in der EU nicht das bestimmende Prinzip"
Als undemokratisch werde oft auch eine Verzerrung des Gewichts der Stimmen im Europäischen Parlament kritisiert, da die "kleinen" EU-Staaten real mehr Abgeordnete stellten als die "Großen". Es sei in der Tat so: Die Inselrepublik Malta zum Beispiel habe knapp 400.000 Einwohner und entsende fünf Abgeordnete nach Straßburg. Jeder Abgeordnete vertrete also rund 80.000 Einwohner, während der deutsche Abgeordnete mehr als zehn mal so viele Landsleute (rund 828.000) vertreten müsse.
Würde man mathematisch korrekt den Verteilungsschlüssel nach unten anpassen, hätte Malta nur ein Recht auf 0,5 Abgeordnete. Passte man nach oben an (also Malta würde seine fünf Abgeordneten behalten), müsste man proportional allein Deutschland 1.025 Abgeordnete zubilligen. Das Europäische Parlament hätte dann mehr als 5.600 Abgeordnete. "Das würde seine Arbeitsfähigkeit faktisch ausschließen."
"Es galt also", so die Bundesregierung, "einen pragmatischen Kompromiss zu finden, der das Parlament nicht zu groß werden ließ und andererseits jedem Land eine arbeitsfähige Anzahl von Abgeordneten zur Verfügung stellte."
Auch müsse man bedenken, "dass die kleinen EU-Staaten sich von den großen Ländern nicht überrannt fühlen sollen. Das Diktat des Stärkeren ist in der EU nicht das bestimmende Prinzip", behauptet die deutsche Bundsregierung.
Ein solches Verfahren sei auch durchaus in anderen Ländern üblich: Im US-Senat säßen beispielsweise auch für jeden Bundesstaat zwei Senatoren - unabhängig von der Einwohnerzahl.
"Im Europaparlament und im Ministerrat sind die großen Länder kllar im Vorteil
"Im Europäischen Rat und im Ministerrat sind die großen Länder im übrigen dann wieder klar im Vorteil", gibt die deutsche Bundsregierung zu.
Um gestaltende Abstimmungsmehrheiten aufzubringen, müssten bei Mehrheitsentscheidungen nach der EU-Verfassung immer auch 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert sein. "Hier geht faktisch nichts ohne die Großen."
"Die EU wird durch die Verfassung nicht zur militärisch aggressiven, imperialen Weltmacht aufsteigen"
"Die EU wird durch die Verfassung nicht zur militärisch aggressiven, imperialen Weltmacht aufsteigen", so die deutsche Bundesregierung, bezogen auf die vielfach geäußerte Kritik an einer Militarisierung der EU.
Angesichts einer weltweit steigenden Zahl von Krisen, bewaffneten Konflikten und der Bedrohung durch den Terrorismus müsse aber Europa "zwangsläufig Verantwortung für die globale Sicherheit übernehmen". "Das hat es auch bisher schon erfolgreich getan, zum Beispiel im ehemaligen Jugoslawien", so die Bundesregierung, Bezug nehmend auf den Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien 1999.
Die "gemeinsame Verteidigungspolitik der EU" solle sicherstellen, dass Europa in Zukunft besser koordiniert seine "militärischen Ressourcen einsetzen" könne, "um Frieden in der Welt zu erhalten".
Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sei dabei Bestandteil einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die vor allem auf die friedliche Lösung von Konflikten setze. "Das hat sie in der Vergangenheit bewiesen", meint die deutsche Bundesregierung.
Auch der Deutsche Bundestag werde in der Frage der Entsendung deutscher Truppen im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht entmachtet, wie oft behauptet. Der Bundestag müsse auch künftig im Rahmen des Parlamentsvorbehalts der "Bereitstellung von deutschen Truppen" zustimmen.
"Die EU-Verfassung bekennt sich zum Ziel der sozialen Marktwirtschaft"
Schließlich widerspricht die Bundesregierung auch dem Vorwurf, mit der EU-Verfassung werde die soziale Marktwirtschaft abgeschafft. "Die EU-Verfassung bekennt sich in ihrem dritten Artikel klar zum Ziel der sozialen Marktwirtschaft." Die Verfassung benenne zudem im Teil II (Charta der Grundrechte) explizit "soziale Rechte, die zum Kernbestand einer sozialen Marktwirtschaft gehören", so die Bundesregierung.
Im Entwurf der EU-Verfassung erfolgt eine Festlegung auf eine "Marktwirtschaft", die "wettbewerbsfähig" und "sozial" sein soll. In der Grundrechtscharta, die in eine EU-Verfassung möglicherweise einbezogen werden soll, fällt der harte Eigentumsvorbehalt des deutschen Grundgesetzes ("Eigentum verpflichtet") weg. Es findet sich die folgende Klausel: "Die Nutzung des Eigentums kann gesetezlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist."
Darüber hinaus wird in der Grundrechtscharta "die unternehmerische Freiheit" anerkannt - ein Grundrecht, das sich im deutschen Grundgesetz nicht findet. Überdies findet sich im Grundgesetz keine Festlegung auf ein bestimmtes Wirtschaftssystem. Vielmehr wurde die Festlegung, die Bundesrepublik Deutschland sei "ein demokratischer und sozialer Bundesstaat" sogar durch die so genannte Ewigkeitsklausel nach Artikel 79 vor einer Änderung ausdrücklich geschützt.
Nach dem EU-Verfassungsentwurf wird darüber hinaus der "freie Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit" gewährleistet. Auch soll wird "geistiges Eigentum" geschützt.
Die Gewichtung des sozialen ist im EU-Verfassungsentwurf nicht ganz konsistent. Während in Artikel I-3 noch von einer "sozialen Marktwirtschaft" die Rede ist, heißt es im Kapital zur Wirtschafts- und Währungspolitik in Artikel III-178 wörtlich: "Die Mitgliedstaaten und die Union handeln im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb ..."
Es scheint also viel Spielraum für Auslegungen seitens des Europäischen Gerichtshofs zu bleiben, der bislang eher unternehmerfreundlich urteilt. Die deutsche Bundesregierung jedenfalls verweist auf die bisherige EU-Praxis und sieht darin den sozialen Aspekt bestätigt: Die EU sichere die grenzüberschreitende "Garantie von sozialen und ökologischen Mindeststandards, die eben gerade Dumpingwettbewerb zwischen den Staaten ausschließen und nicht, wie oft behauptet, fördern".
Weiterhin heißt es: "Für die weitere Harmonisierung dieser Standards setzt sich die Bundesregierung aktiv ein." Die Bundesregierung möchte sich also offenbar nicht für die Erhöhung sozialer Standards, sondern lediglich für eine "Harmonisierung" einsetzen, was möglicherweise der viel kritisierte "kleinste gemeinsame Nenner" sein kann.
"Der gemeinsame Binnenmarkt, der Freizügigkeit in Europa gewährt, hat in der Vergangenheit europaweit zur Mehrung von Wohlstand und zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen beigetragen", so die Bundesregierung. "Zahlreiche Studien belegen, dass ohne EU-Binnenmarkt vor allem in Deutschland Wirtschaftswachstum und Wohlstand erheblich niedriger wären."
Die wirtschaftspolitische Kritik "zahlreicher Aktionsgruppen" an der EU-Verfassung diene häufig "auch als Argumentationsgrundlage für eine grundsätzliche Systemkritik am marktwirtschaftlichen System und eine Hinwendung zu planwirtschaftlichen Wirtschaftsmodellen, die sich bewiesenermaßen als geschichtliche Irrwege herausgestellt haben", so die deutsche Bundesregierung.
Das deutsche Grundgesetz sieht vor, dass es dann seine Gültigkeit verliert, wenn "eine andere Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist".