Inhalt
- Bruttoentlastung: 30 Milliarden Euro
- Steinbrück: Gewinne werden ins Ausland transferiert
- Steinbrück: Kritik an verteilungspolitisch umstrittener Abgeltungsteuer ist berechtigt
- Lafontaine: Die Unternehmen werden auch in Zukunft ihre Gewinne nicht Deutschland, sondern in Luxemburg versteuern
- Steinbrück & Thumann: Die Steuerbelastung kommt wieder in das europäische Mittelfeld
- Matecki: Stimmt nicht
- Meister: Davon profitieren auch die Beschäftigten und die Rentner
Nach anderthalbjähriger Diskussion hat die große Koalition die umstrittene Unternehmenssteuerreform im Bundestag durchgesetzt. In namentlicher Abstimmung votierten am Freitag 391 Parlamentarier für den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Dagegen stimmten 149 Abgeordnete, 17 enthielten sich. Das neue Regelwerk soll zum 1. Januar 2008 in Kraft treten.
Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinne werden der "Reform" zufolge ab 1. Januar 2009 pauschal mit 25 Prozent besteuert. Die Steuerlast von Kapitalgesellschaften (Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer) wird von derzeit 38,65 Prozent auf 29,83 Prozent gesenkt. Die Körperschaftssteuer fällt von 25 auf 15 Prozent. Die Messzahl bei der Gewerbesteuer wird von fünf Prozent auf einheitlich 3,5 Prozent reduziert.
Personengesellschaften können künftig Gewinne, die sie wieder in das Unternehmen investieren, mit 28,25 Prozent günstiger versteuern (Thesaurierungsbegünstigung). Ansonsten gilt weiter die Einkommenssteuer von maximal 42 Prozent. Wird das Geld später jedoch entnommen, muss nachversteuert werden. Ausgenommen sind Entnahmen für die Bezahlung von Erbschaft- und Schenkungsteuer. Die Thesaurierungsbegünstigung lohnt sich nur für große Unternehmen.
Bruttoentlastung: 30 Milliarden Euro
Die in der Unternehmenssteuerreform vorgesehene Steuersenkung sowie die Einführung der Abgeltungssteuer soll Bund und Länder voraussichtlich 30 Milliarden Euro kosten. Die teilweise Gegenfinanzierung beruht letztlich lediglich auf einer Prognose. So geht die Bundesregierung - jedenfalls offiziell - davon aus, dass 25 Milliarden Euro durch das Schließen von Steuerschlupflöchern sowie durch "höhere Anreize zur Versteuerung von Gewinnen in Deutschland" wieder eingenommen werden könnten.
Steinbrück: Gewinne werden ins Ausland transferiert
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte in der Bundestagsdebatte, man wolle "Gestaltungsmöglichkeiten und Umgehungstatbestände zulasten des Fiskus in Deutschland eindämmen beziehungsweise minimieren."
Der Minister machte deutlich, dass der Bundesregierung sehr gut bekannt ist, auf welche Art und Weise Unternehmen Steuerzahlungen vermeiden: "Sie wissen, dass ich in diesem Zusammenhang immer von Verschiebebahnhöfen rede. Es gibt viele Beispiele dafür, wie dies im Einzelnen funktioniert. Ich erspare es mir aus Zeitgründen, dies darzustellen. Es gibt Annahmen darüber, dass der deutsche Fiskus, also letztlich unser Gemeinwesen, pro Jahr hohe zweistellige Milliardenbeträge verliert, weil Gewinne, die in Deutschland erzielt werden, ins Ausland transferiert werden, weil Verluste, die Tochterunternehmen im Ausland erzielen, in Deutschland steuermindernd geltend gemacht werden. Wir verlieren daher Steuereinnahmen, die wir brauchen, um öffentliche Aufgaben zu finanzieren", so der Minister.
Steinbrück: Kritik an verteilungspolitisch umstrittener Abgeltungsteuer ist berechtigt
Der Finanzminister räumte in der Debatte ein, dass eine Abgeltungsteuer von 25 Prozent "verteilungspolitisch umstritten" ist. Steinbrück: "Diese Kritik ist berechtigt." Es sei nicht ohne Weiteres einzusehen, "dass Kapitaleinkünfte ‑ die nicht durch Leistung erzielt werden ‑ einheitlich mit 25 Prozent besteuert werden sollen, während diejenigen, die mit Kopf und Händen arbeiten, es mit Grenzsteuersätzen und mit einer durchschnittlichen steuerlichen Belastung zu tun haben, die weit darüber liegt".
Man müsse sich aber den Realitäten stellen, sagte der Minister. Die Realitäten sehe so aus, dass die Bundesrepublik Deutschland jedes Jahr einen Kapitalabfluss in Milliardenhöhe zu beklagen hat. "Das heißt, dieses Kapital wird nicht in Deutschland angelegt, führt demnach nicht zu Zinsen, Dividenden, Kapitaleinkünften jedweder Art, die hier in Deutschland besteuert würden, sondern es ist futsch. Sie wissen, dass ich es vor diesem Hintergrund immer für logisch gehalten habe, zu sagen: Es ist besser, 25 Prozent auf X zu haben statt 42 Prozent auf gar nix. So simpel ist die Rechnung", meint Steinbrück.
Lafontaine: Die Unternehmen werden auch in Zukunft ihre Gewinne nicht Deutschland, sondern in Luxemburg versteuern
Linksfraktionschef Oskar Lafontaine stimmte dem Minister zu: "25 Prozent auf x sind besser als 42 Prozent auf gar nix. Das ist logisch; dagegen kann niemand etwas sagen." Lafontaine rechnet allerdings auch in Zukunft in der Realität damit, dass die Unternehmen ihre Gewinne auch bei einem reduzierten Steuersatz nicht unbedingt in Deutschland versteuern.
Denn diejenigen, die Geld haben, "sind genauso schlau wie Sie", so Lafontaine an den Minister gewandt. "Die sagen sich, dass 0 Prozent auf x in Luxemburg besser sind als 25 Prozent in Deutschland. Sie sind genauso schlau wie Sie." Deshalb gehe die Rechnung mit der Gegenfinanzierung "nicht auf", so Lafontaine.
Steinbrück & Thumann: Die Steuerbelastung kommt wieder in das europäische Mittelfeld
Nach Darstellung von Steinbrück kommt die Steuerbelastung der Unternehmen wieder in das europäische Mittelfeld ‑ "nicht mehr und nicht weniger". "Zumindest mit Blick auf die Besteuerung der Kapitalgesellschaften sind wir mit einer Definitivbesteuerung von über 38 Prozent am unteren Ende gewesen", sagte der Minister.
Die rot-grüne Bundesregierung habe mit Blick auf die Personengesellschaften "bereits viel getan, um zu einer Entlastung der Personengesellschaften beizutragen. Aber im Zuge dieser Unternehmensteuerreform sind wir noch einmal zu deutlichen Verbesserungen für den die deutsche Wirtschaft im Wesentlichen tragenden deutschen Mittelstand entgegen allen Unkenrufen gekommen."
Nach Auffassung von BDI-Präsident Jürgen Thumann ist die Senkung der Steuersätze für die Unternehmen in Deutschland "ein wichtiger Schritt". Nach Darstellung von Thumann rückt Deutschland mit der jetzigen Reform bei der Steuerbelastung in Europa "ins hintere Mittelfeld vor und liegt im internationalen Vergleich nicht mehr abgeschlagen zurück".
Matecki: Stimmt nicht
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) widersprach in einer Stellungnahme der Darstellung von Steinbrück und Thumann, wonach die Steuerbelastung der deutschen Unternehmen bislang besonders hoch sei. "Im internationalen Vergleich werden deutsche Unternehmen real nicht überdurchschnittlich besteuert, wie empirische Daten von EU und OECD verdeutlichen", kommentierte DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki.
Es sei zudem "hinlänglich bekannt, das Unternehmen mithilfe gerade noch legaler Bilanztricksereien ihre steuerpflichtigen Gewinne klein rechnen". Dies seien "Steuergestaltungen", von denen der "kleine Mann", dem die Lohnsteuer direkt vom Gehalt abgezogen werde, "nur träumen kann", kritisiert Matecki.
Während sich die Unternehmen über Steuervergünstigungen von fast 30 Milliarden Euro freuen könnten, müssten die Arbeitnehmer tief in die Tasche greifen. Sie würden in diesem Jahr per Saldo mit rund 25 Milliarden Euro höheren Steuern sowie steigenden Sozialabgaben belastet. Matecki verwies hierbei beispielhaft auf die erhöhte Mehrwertsteuer und die Kürzung der Pendlerpauschale. Auch dieses Werk der Politik passe insofern "in die Reihe der ungerechten Reformen des Jahres".
Auch die Linksfraktion hatte in einem Antrag der Darstellung widersprochen, die deutschen Unternehmen hätten bislang eine überdurchschnittliche Steuerlast zu tragen gehabt. Die Bundesregierung beziehe sich hierbei lediglich "auf die Höhe des nominalen Steuersatzes".
Demgegenüber sei die Europäische Kommission in einem "systematischen Vergleich der effektiven Steuerlast" in den EU-Mitgliedstaaten zu dem Ergebnis gekommen, dass die effektive Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften und Kapitaleinkommen ("Implicit tax rates on capital") in der Bundesrepublik Deutschland sehr gering sei. Im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien und Italien rangiere Deutschland "mit deutlichem Abstand am unteren Ende". In den Jahren 2002 bis 2004 hähtten die "tax rates on capital" bei 21,1 bis 21,7 Prozent gelegen.
Als weiteren Beleg führte die Fraktion eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young aus dem Jahr 2006 an. Danach sei die Bundesrepublik Deutschland aus Sicht internationaler Unternehmen der "attraktivste Standort" in Europa.
Meister: Davon profitieren auch die Beschäftigten und die Rentner
Die große Koalition will den Standort für große Unternehmen aber noch attraktiver machen. Unions-Fraktionsvize Michael Meister (CDU) sagte, mit der Verabschiedung des Gesetzes beweise die Koalition ihre Fähigkeit zu Strukturreformen. Damit würden die Chancen auf Arbeitsplätze, auf mehr Investitionen und mehr Wirtschaftswachstum und damit auch auf mehr Wohlstand erhöht. Davon profitierten neben Unternehmern auch die Beschäftigten sowie die Rentner. "Deshalb ist es eine Reform für alle Menschen in diesem Land", sagte Meister.
FDP und Grünen geht die Steuerentlastung für die Unternehmen offenbar nich weit genug. FDP-Fraktionsvize Carl-Ludwig Thiele bezeichnete es als "Kardinalfehler" der Reform, dass die Koalition nicht die Steuersätze für alle Bürger und Unternehmen senke. Zugleich werde das Steuerrecht mit der Reform komplizierter und ungerechter. Die Reform sei mittelstandsfeindlich und bestehe aus einem Bündel von Einzelmaßnahmen, die sich teilweise widersprächen.
Die Grünen-Finanzexpertin Christine Scheel bezeichnete die Reform als "Stückwerk". Die Finanzierung der Reform sei unsolide und investitionsfeindlich. Schon in zwei bis drei Jahren werde es substanzielle Korrekturen geben müssen.