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"Reine Marktwirtschaft"

Laut Hoppe könnten Ärzte "von Freiberuflern zu Freiheitskämpfern" werden

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Der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Jörg-Dietrich Hoppe, hat auf dem 110. Deutschen Ärztetages in Münster am 15. Mai die "Gesundheitsreform" kritisiert. Durch die Finanzierung des neuen Gesundheitsfonds – im Wesentlichen lohnbezogene Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern – fließe kein zusätzlicher Euro in das System. Die begrenzten Mittel würden lediglich "neu verteilt". Die künftige Festlegung des allgemeinen Beitragssatzes durch die Bundesregierung sei letztlich nichts anderes als ein Globalbudget, über das innerhalb der jeweiligen Regierung jedes Jahr neu verhandelt werde, so Hoppe. Die Bundeszuweisungen an die Krankenkassen würden vermutlich mehr von haushaltspolitischen Erwägungen bestimmt werden – "und weniger von der Notwendigkeit einer bedarfsgerechten Versorgung". Hoppe sieht Deutschland auf den Weg in eine "Fließbandmedizin". Er sprach von "Industrialisierungstendenzen" im Klinikbereich und davon, dass Ärzte "von Freiberuflern zu Freiheitskämpfern" werden könnten. Außerdem verwahrte er sich gegen "Lauschangriffe" auf Ärzte und Patienten.


Der Ärztekammerpräsident fragte auch nach der Bedeutung des "GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes". "Wird da wirklich Wettbewerb gestärkt. Wer soll mit wem konkurrieren? Wer sind die Kunden, was ist die Ware?", fragte Hoppe. "Ich weiß, das klingt banal, ist aber ehrlich in der Analyse. Denn ich bezweifle, dass ein patientengerechtes Gesundheitswesen nach den Gesetzen der Marktwirtschaft funktioniert."

"Ich habe den Eindruck, lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen, dass hier die Prinzipien der reinen und nicht etwa der sozialen Marktwirtschaft eingeführt worden sind", so Hoppe. "Erst sind die Ärzte Leistungsanbieter, dann sind die Patienten Krankheitsanbieter, dann gibt es Krankheit als Geschäftsgegenstand, dann werden die Ärzte Erfüllungsgehilfen im Medizingeschäft und schließlich, meine Damen und Herren, haben wir eine Fließbandmedizin für den Krankheitsträger – ist das wirklich eine Entwicklung, die wir haben wollen?"

Hinter dieser Entwicklung stehe vor allem ein Prinzip: "die Entstaatlichung der Daseinsfürsorge und die Verstaatlichung der Versorgungsprozeduren". Dies sei das durchgängige Prinzip aller so genannten Gesundheitsreformen der letzten Jahre. "Und die Rolle der Ärzte ist darin klar vorgezeichnet: Vollzug staatlicher Rationierung einerseits, Entindividualisierung der Patient-Arzt-Beziehung andererseits", so Hoppe. Die Freiberuflichkeit und die die ärztliche Unabhängigkeit in der Therapiefindung störe offensichtlich in einem System "staatlich gelenkter Gesundheitswirtschaft".

"Ärzte sollen rationieren"

"Ärzte sollen rationieren und im Wettbewerb untereinander funktionieren, nichts anderes bedeutet doch die Wettbewerbsstärkung für Ärzte und Patienten", kritisiert der Ärztekammerpräsident. Mit der zunehmenden Privatisierung im Kliniksektor gehe "eine Konzentration einher, oder wie es im Jargon der Gesundheitsökonomen heißt, eine 'Marktbereinigung' der Krankenhauslandschaft". Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung habe ausgerechnet, dass etwa zehn Prozent der Krankenhäuser bis 2010 vom Markt verschwinden. Im Krankenhaus Rating Report 2006 des Instituts heiße es dazu lapidar: "Marktbereinigung verbessert Systemeffizienz."

Hoppe: Schließung von Krankenhäusern, weil 30 Milliarden Euro eingespart wurden

Die Schließung von Krankenhäusern werde sich vor allem an betriebswirtschaftlichen Kriterien orientieren und nicht an der Versorgungssicherheit, vermutet Hoppe. Versorgungslücken könnten daher prinzipiell entstehen, sagten selbst die Experten des RWI. "Viele der Krankenhäuser aber stünden jetzt nicht mit dem Rücken zur Wand, wenn der Staat bei den Investitionen nicht sage und schreibe 30 Milliarden Euro eingespart hätte", kritisiert Hoppe.

"Wegen der zunehmenden Ökonomisierung sind deshalb auch immer weniger Krankenhäuser bereit, Ärzte, die noch keine Facharztanerkennung besitzen, einzustellen." Angesichts des jetzt schon bestehenden Ärztemangels in bestimmten Fachgebieten, zum Beispiel in der hausärztlichen Versorgung, sei das eine erschreckende Aussicht mit fatalen Folgen für die Versorgung.

"Die kleinen kommunalen Krankenhäuser können sich als Übernahmenkandidaten empfehlen"

Als wenn das nicht schon genug wäre, lege der Staat mit dem Sonderopfer von jährlich 380 Millionen Euro noch ein Schippe drauf und sage: "Demografie hin oder her, sparen ist nicht schwer". "Aber so lustig ist die Sache dann doch nicht", so Hoppe. "Für die kleinen, besonders kommunalen Krankenhäuser ist das kaum zu stemmen; sie können sich allenfalls als Übernahmenkandidaten empfehlen. Die Wettbewerbsstärkung ist dann nur zum Vorteil der Großen in der Krankenhauslandschaft, die Kleinen bleiben auf der Strecke, die stationäre Grundversorgung wird empfindlich getroffen. Wollen wir das, wollen wir das wirklich?"

Problematisch sei das beispielsweise auch für die Menschen in den strukturschwachen Gebieten. "Die Alten und chronisch Kranken haben doch jetzt schon Schwierigkeiten, einen Hausarzt zu finden. Sie sind doch angewiesen auf eine wohnortnahe Versorgung", so Hoppe. "Wartezeiten, Personalabbau und Einschränkungen des Leistungsumfangs, meine Damen und Herren, das nennt man strukturelle Rationierung. Keiner weiß, ob es ihn trifft, und keiner weiß, wann es ihn trifft."

Auch im ambulanten Bereich habe sich die Ministerialbürokratie "viel Mühe gegeben, die Verantwortung für Rationierung den Ärzten zuzuweisen", meint Hoppe. Der Staat wolle selbst "nicht mit den Folgen der Ressourcenbegrenzung identifiziert werden". Deshalb solle nun der Gemeinsame Bundesausschuss maßgeblich über die Verteilung der knappen Mittel entscheiden und über Maßnahmen zur Qualitätskontrolle die Leistungsmenge und auch Leistungsinhalte steuern.

Dem Gesetz läge somit als "gesundheitspolitische Blaupause" der Aufbau einer Zentralverwaltungswirtschaft für die Krankenkassen, eine "Marktbereinigung" des Kliniksektors mit impliziter Rationierung, die Errichtung einer unterstaatlichen Rationierungsbehörde im ambulanten Bereich sowie die Zerstörung der ärztlichen Freiberuflichkeit zugrunde, so Hoppe.

Das Ganze ziele "auf eine Einheitsversicherung mit Einheitsbeitrag und Einheitsmedizin", so Hoppe. "Die Medizin befindet sich unzweifelhaft in einem Konflikt zur Ökonomisierung, und die heimliche Rationierung ist das taktische Werkzeug." Es gehe auch um die Frage, wie viel Individualität in der Behandlung der Patienten "angesichts der Industrialisierungstendenzen" noch möglich sei. Der Patient erwarte zu Recht von seinem Arzt eine individuelle Behandlung entsprechend den Möglichkeiten der modernen Medizin.

Der ärztliche Alltag werde "bestimmt durch schlechte Arbeitsbedingungen, knappe Zeit- und Finanzressourcen sowie durch eine überbordende Bürokratie. Staatlich vorgegebener Dokumentationszwang bindet Zeit, die für die Patientenbehandlung verloren geht."

Klinikmanager sprechen von industrieller Fertigungslogik

Im Kliniksektor gebe es "Industrialisierungstendenzen". Hoppe zitierte einen Krankenhausmanager einer großen Klinikkette mit den Worten: "Jeder Krankenhausbetreiber sollte permanent bemüht sein, das ärztliche Personal in der Art und Weise einzubinden, dass nachhaltiges Unternehmenswachstum sichergestellt wird." An anderer Stelle seiner Rede habe der Klinikmanager es dann vollends auf den Punkt gebracht, so Hoppe: "Die derzeitige Leistungserbringung entlang der Wertschöpfungskette am Patienten im Krankenhaus folgt zudem weniger einer industriellen Fertigungslogik, sondern ist durch ein tradiertes, eher handwerkliches Arztverständnis geprägt."

Schließlich habe "Herr Manager" in seinem Fazit festgestellt: "Mit der neuen ärztlichen Arbeitsteilung geht die Krankenversorgung denselben Weg der Industrialisierung wie die Automobilindustrie vor hundert Jahren."

"Bevor das passiert, werden wir von Freiberuflern zu Freiheitskämpfern"

"Das ist das neue Berufsbild vom Funktionsarzt an der Wertschöpfungskette Patient", so Hoppe. "Aber bevor das passiert, werden wir von Freiberuflern zu Freiheitskämpfern!"

Diese Art von vollständiger Kontrolle ärztlichen Handelns sei "das ökonomische Spiegelbild dessen, was wir im politischen Raum als Misstrauenskultur erlebt haben". Die Individualität der Patient-Arzt-Beziehung aber entziehe sich "staatlicher Kontrolle und wirtschaftlicher Planung", meint der Ärztekammerpräsident. Dabei müsse es bleiben und daran dürfe auch der "neuerliche Versuch eines Lauschangriffs" nichts ändern.

"Irreführung der Öffentlichkeit"

Vertrauen bedinge Vertraulichkeit. "Jeder Patient muss seinem Arzt rückhaltlos offenbaren können, was seine Beschwerden sind", so Hoppe. Der Patient müsse ohne jeden Vorbehalt darauf vertrauen können, dass das, was er dem Arzt mitteile, unter die ärztliche Schweigepflicht falle und geheim bleibe. "Das Patientengeheimnis ist eines der wichtigsten Rechte des Patienten überhaupt." Durch den Gesetzentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und die geplante Vorratsdatenspeicherung werde das höchstpersönliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient aber "grundsätzlich in Frage gestellt".

Die Politik suggeriere, dies diene allein der Abwehr oder Ermittlung von Terrorismus und anderer Straftaten, so Hoppe. "Doch das ist eine grobe Irreführung der Öffentlichkeit." Die Pläne der Regierung erfassten auch Vergehen zum Beispiel gegen das Betäubungsmittelgesetz. "Ärzte, die schwerpunktmäßig Drogensüchtige behandeln, geraten allein durch Telefonkontakte zu ihren Patienten rasch in den Verdacht, an Straftaten beteiligt zu sein."

Patienten müssten mindestens die gleichen Rechte haben wie Mandanten, wenn es um den Schutz ihrer Privatsphäre gehe. "Deshalb fordern wir mit allem Nachdruck, den Lauschangriff auf uns Ärzte zu unterlassen", so Hoppe.

"Zahlmeister der Telematik"

Die Wahrung der Vertraulichkeit müsse höchste Priorität bleiben. Das gelte gleichermaßen auch für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Die technischen Lösungen müssen nach Auffassung von Hoppe so gestaltet sein, dass die Patient-Arzt-Beziehung unabhängig von der Gesetzeslage uneingeschränkten Schutz genießt und die Daten vertraulich bleiben. "Der Zugriff durch Unbefugte auf die hochsensiblen Patientendaten muss auch in Zukunft kategorisch ausgeschlossen bleiben, sonst droht auch hier der permanente Lauschangriff."

Man sei zwar für eine grundlegende Modernisierung der Kommunikation im Gesundheitswesen. "Wir sehen durchaus die großen Chancen der Telematik, aber wir müssen auch ehrlich die Risiken aufzeigen und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen", so Hoppe. "Und dann muss auch unmissverständlich klar sein, dass wir nicht Zahlmeister der Telematik sind, während andere davon profitieren. Das, meine Damen und Herren, lehnen wir definitiv ab."

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