Aus "berechtigter Angst" vor Aufdeckung ihres illegalen Aufenthaltes und der daraus folgenden Gefahr einer Abschiebung für sich und möglicherweise der ganzen Familie "nehmen erkrankte Menschen ohne Papiere ärztliche Hilfe oft zu spät oder gar nicht in Anspruch", so Claußen. "Wir Ärzte erleben die Konsequenzen bei verschleppten Krankheiten, unterlassenen Impfungen, fehlender Schwangerenbetreuung oder ansteckenden Erkrankungen für die Umgebung." Dass Kindern der Besuch von staatlichen Kindergärten und Schulen unmöglich gemacht werden solle, nur weil ihre Eltern gegen das Aufenthaltsrecht verstießen, sei "für einen humanitären Rechtsstaat ein Skandal".
Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz steht den Menschen ohne Papiere laut IPPNW zwar ärztliche Behandlung im Falle schwerer Erkrankung zu, "aber eben nur um den Preis der Aufdeckung ihres Aufenthaltsstatus und dann mit allen Konsequenzen". Es ist nach Auffassung der Ärzte "nicht hinnehmbar, die gesundheitliche Gefährdung von Migranten und gegebenenfalls von ihrer Umgebung billigend in Kauf zu nehmen, nur damit dem Ordnungsrecht genüge getan wird".
IPPNW: Andere Rechtslage in USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, der Schweiz und Italien
Das Menschenrecht auf medizinische Versorgung müsse Vorrang vor dem Ordnungsrecht haben. Das sei auch gängige Praxis in Ländern wie USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, der Schweiz oder Italien, wo es keine oder nur eine eingeschränkte Meldepflicht gegenüber der Ausländerbehörde gebe. "Das aber hat in diesen Ländern weder die Zahl der Menschen ohne Papiere wesentlich erhöht, noch hat es die staatliche Ordnung zusammenbrechen lassen."
Weltweite Migration kann nach Auffassung der Ärzteorganisation nur mit weltweiter "Armutsbekämpfung" begegnet werden. Statt hierfür größte Anstrengungen zu unternehmen, werde in Deutschland "mit unverhältnismäßigem Aufwand das Ordnungsrecht bei Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus durchgesetzt". Das diene zwar "der Autorität des Staates" und bestärke die Fremdenfeindlichkeit, löse aber überhaupt nicht die eigentlichen Probleme.
"Als Ärzte werden wir auch weiterhin kranke Menschen ohne Ansehen ihres Aufenthaltsstatus behandeln und uns nicht von den Vorgaben des Bundesinnenministeriums behindern lassen", kündigte Claußen für die Ärztinnen und Ärzte in der IPPNW an. "Wir fordern, das Recht auf medizinische Behandlung von Menschen ohne Papiere ohne Angst vor Abschiebung zu ermöglichen."