Einreisesperre für Kurnaz
Dies wird von der Opposition als Grund dafür angesehen, dass die USA den Bremer Türken noch weitere vier Jahre im Sondergefangenenlager Guantanamo festhielten.
Steinmeier stellte das anders dar: Die "teilweise wirklich absurden Schuldzuweisungen gegen die rot-grüne Bundesregierung" hätten sich mittlerweile als haltlos und falsch herausgestellt, sagte Steinmeier. Ausdrücklich wies der Minister den Vorwurf zurück, die damalige Bundesregierung oder einzelne Beteiligte hätten die Haft des Bremer Türken in dem US-Straflager in Kauf genommen oder "auf irgendeine Weise verlängert". Es habe bis 2006 kein Angebot der Amerikaner auf Freilassung gegeben, "weder offiziell noch inoffiziell", behauptete der Außenminister.
Steinmeier erinnerte an die damalige Situation kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Im fraglichen Zeitraum sei es Aufgabe gewesen dafür zu sorgen, dass deutsche Staatsbürger bei Anschlägen nicht zu Schaden kommen. Man sei sich einig gewesen, dass Anschläge "nicht mehr in Hinterzimmern deutscher Städte" geplant und vorbereitet werden sollten.
Auch verteidigte der Außenminister die Weitergabe von Geheimdienstinformationen über Kurnaz an US-Stellen. Dies sei kein "Skandal", wie oft beklagt werde. "Ich hätte es eher für einen Skandal gehalten, wenn wir die uns vorliegenden Informationen nicht weitergeben hätten."
Schily hatte zuvor die Rolle des Innenministeriums bei der Gefährdungseinschätzung hervorgehoben. "Alle anderen mussten sich auf diese Analyse verlassen können", sagte der SPD-Politiker. Er sei damals zwar persönlich nicht unmittelbar mit dem Fall befasst gewesen. Gleichwohl sei er aber der festen Überzeugung, dass sich alle Beteiligten "völlig korrekt" verhalten hätten. "Auf Seiten des Innenministeriums gab es nicht die geringste Veranlassung, die Gefährlichkeit Kurnaz' in Zweifel zu ziehen."
Die Opposition kritisierte den Auftritt Schilys vor dem Ausschuss. FDP-Innenexperte Max Stadler sagte, dass der Ex-Minister die Verantwortung übernehme, sei zwar "ehrenwert, aber unerheblich".
Nach Darstellung der FDP-Fraktion hat Steinmeier falsch gehandelt. Sie skizziert die Abläufe so: "Murat Kurnaz war Ende 2001 in Pakistan festgenommen und US-Soldaten in Afghanistan übergeben worden. Von dort wurde er 2002 nach Guantanamo gebracht. US-Stellen unterbreiteten im selben Jahr ein Angebot zur Freilassung. In einer Präsidialrunde unter der Leitung von Steinmeier in seiner damaligen Funktion als Kanzleramtschef wurde im Herbst 2002 dann jedoch eine Einreisesperre verhängt, damit er auch bei einer Freilassung nicht nach Deutschland zurück kommen konnte. Dies geschah unter anderem, da man fehlerhafterweise das Aufenthaltsrecht von Kurnaz für beendet ansah."
"Der Fall zeigt, wie Bundesregierung und Sicherheitsbehörden bei der Terrorabwehr rechtsstaatliche Ansprüche aufgegeben haben", meint Stadler. So sei in diesem Fall "ein existenzieller Eingriff in die Grundrechte bei nur anfänglichem Verdacht" vorgenommen worden. Stadler mahnte an, dass man zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel zurückkommen müsse: "Je schwerwiegender die Eingriffe, desto deutlicher müssen die Beweise sein". Vor allem müssten bei jeglichem staatlichen Handeln auch die Folgen für den einzelnen Menschen bedacht werden.
Der Ausschussobmann der Links-Fraktion, Wolfgang Neskovic, monierte, eine solche Aussage sei höchst komfortabel, wenn man nicht mehr im Amt sei. Seine Fraktionskollegin Petra Pau fasste gab die Aussagen von Schily wie folgt sarkastisch-kritisch wieder: "1. Er habe zu keiner Zeit etwas gewusst, aber Recht. 2. Er hatte klasse Mitarbeiter, aber trägt natürlich die politische Verantwortung. 3. Kurnaz war und ist gefährlich, deshalb habe das Kanzleramt richtig gehandelt. 4. Wer das anders sieht, habe keine Ahnung und ist deshalb selbst ein Risiko. 5. siehe Punkt 1.: Er habe zu keiner Zeit etwas gewusst, aber immer Recht." Pau zog das Fazit, Schily habe sich "generös als Bauern-Opfer angeboten, weil er nichts zu opfern hat. Bestenfalls seinen Ruf. Aber der war vordem schon ruiniert."
Der Fall Kurnaz - Gegensätzliche Angaben der Geheimdienste
Im Untersuchungsausschaus ist der folgende Hergang offenbar weitgehend unstrittig: Wenige Wochen nach dem 11. September 2001 reist der damals 19-jährige Kurnaz nach Pakistan. Dort wird er unter Terrorverdacht im Dezember verhaftet, nach Afghanistan und dann ins US-Geheimgefängnis Guantanamo auf Kuba gebracht.
In Guantanamo erhält er Besuch von deutsch sprechenden Befragern, die als Mitarbeiter der deutschen Geheimdienste identifiziert werden. Erst im August vergangenen Jahres kommt Kurnaz frei.
Während Kurnaz versichert, er sei lediglich zu Koranstudien nach Pakistan gefahren, ging der Verfassungsschutz von der Möglichkeit aus, der Bremer Türke wolle sich in Afghanistan dem bewaffneten Kampf der Taliban anschließen. Das sollen Beobachtungen und abgehörte Telefonate sowie Befragungen von Kontaktleuten in Deutschland ergeben haben. Erst vor wenigen Wochen wurde dies vom damals zuständigen Bremer Verfassungsschützer in Frage gestellt - sein Chef hingegen hält eisern an der "Gefährder"-Version fest.
In Afghanistan kam Kurnaz mit Soldaten der Bundeswehr-Spezialeinheit KSK in Kontakt, die seinerzeit von den USA für Wachdienste im Gefangenenlager Kandahar eingeteilt waren. Bei der Einweisung sollen die KSK-Soldaten von US-Soldaten darauf aufmerksam gemacht worden sein, dass unter den Gefangenen ein Deutscher sei. Strittig ist, was genau beim Kontakt zwischen Kurnaz und den KSK-Soldaten geschah. Unklar soll auch sein, warum die Information über den Kontakt angeblich nicht die richtigen Stellen in Deutschland erreichte.
Drei deutsche Geheimdienstler reisten im Oktober 2002 in das US-Sondergefangenenlager auf Guantanamo. Schon der Anlass wird von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz unterschiedlich dargestellt. Klar soll nur sein, dass die Beamten nach dem "Schock der Hamburger Zelle" und der anschließenden "Schläfer-Diskussion" feststellen sollten, ob Kurnaz Verbindung zu einer Terrorzelle gehabt habe.
Nachdem schon am ersten Befragungstag klar geworden sein soll, dass Kurnaz keine entsprechenden Kenntnisse und Verbindungen gehabt habe, soll noch auf Kuba die Idee entstanden sein, ihn als V-Mann in der islamistischen Szene einzusetzen. Diese offenbar von BND-Mitarbeitern geborene Idee sei von der Spitze der Geheimdienste schnell verworfen worden.
Präsidentenrunde ignorierte angeblich Papier zur Gefahreneinschätzung
Am 29. Oktober 2002 sei man sich an der Spitze der Geheimdienste einig gewesen, dass Kurnaz weiter potenziell gefährlich sei. Ein anders lautendes Schreiben des Befragerteams soll von der so genanten Präsidentenrunde unter Leitung des damaligen Kanzleramtschefs Frank-Walter Steinmeier (SPD) gar nicht erst besprochen worden sein.
Offiziell wird bis heute behauptet, dass es nie ein klares Freilassungsangebot der USA gegeben habe, vieles eher "Planspiele" gewesen seien, noch dazu von Geheimdienstmitarbeitern.
Von Beamten des Bundesinnenministeriums wurde nach der Präsidentenrunde im Kanzleramt dennoch umgehend eine Expertise verfasst, was gegen eine mögliche Widereinreise spräche. Die Bremer Ausländerbehörde entzog Kurnaz aufgrund rechtlicher Regelungen die Aufenthaltserlaubnis. Begründung: Kurnaz hielt sich sechs Monate lang nicht in Deutschland auf - er wurde schließlich von den USA in Guantanamo gefangen gehalten.
In den Folgejahren wurde der Fall Kurnaz offenbar wiederholt auf politischer Ebene gegenüber der US-Regierung angesprochen. Da aber immer wieder auf die Zuständigkeit des Pentagon verwiesen wurde, blieb der "Fall Kurnaz" in der Schublade. Erst im August 2006 kehrte Kurnaz nach Deutschland zurück.
Seitdem versucht der U-Ausschuss das brisante Puzzle zusammenzusetzen und die schweren Vorwürfe gegen die rot-grüne Bundesregierung zu beleuchten. Während FDP und Linke dem Schröder-Kabinett vorwerfen, sich zu wenig für Freilassung von Kurnaz eingesetzt zu haben, sprechen Regierungsvertreter von versuchter Rufschädigung. Frank-Walter Steinmeier steht im Zentrum der Auseinandersetzung.