Bundestag Afghanistan
Das Brüsseler NATO-Hauptquartier ließ über hohe Offiziere verlauten, die Kommandeure in Afghanistan würden schon "dringend" auf die Tornados warten. Die NATO-Truppen vor Ort, die eine groß angelegte Frühjahrsoffensive gegen den Aufstand beziehungsweise Widerstand in Afghanistan gestartet hat, wären laut NATO-Hauptquartier "sehr dankbar", wenn die "Tornados" die Aufständischen "in ihren Verstecken aufspüren" könnten.
Die Verteidigungsexperten der Koalition vertraten die Auffassung, dass in Afghanistan jetzt die Zukunft der NATO auf dem Spiel stehe. Deutschland dürfe eine Unterstützung des im Süden Afghanistans in Bedrängnis geratenen Bündnisses nicht verweigern. Trotz des Drucks der NATO-Partner auf die Bundesrepublik, auch deutsche Bodentruppen in den Krieg in Süd- und Ost-Afghanistans zu schicken, hält Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bislang offiziell an dem Standpunkt fest: "Es wird keine Verlagerung unseres Kontingents vom Norden in den Süden geben".
Die "Tornados" hätten Aufklärungs-, aber keine Kampfaufträge. Im Gegensatz dazu meint der Vorgänger Jungs und jetzige SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck, es handele sich um einen Kampfeinsatz.
FDP: Politikern ist wahrscheinlich sehr "unwohl"
Vielen Parlamentariern sei bei dieser Entscheidung wahrscheinlich sehr "unwohl", befand der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Werner Hoyer, in der Bundestagsdebatte am vergangenen Mittwoch. Damit beschrieb er bei diesem Einsatz den Zwiespalt zwischen einer drohenden Verstrickung in die militärischen Auseinandersetzungen und "den Bündnispflichten" gegenüber den NATO-Partnern in Afghanistan.
Mit einem Ja oder Nein zum neuen Mandat seien daher "erhebliche Bedenken verbunden", so Hoyer. "Kaum einer hat Lust, sich auf eine schiefe Ebene zu begeben", so Hoyer. Die FDP-Fraktion sei sich der Verantwortung in beide Richtungen bewusst.
Verteidigungsminister Jung hatte die FDP-Bundestagsfraktion während einer Sitzung in der vergangenen Woche über den Einsatz informiert. FDP-Partei- und Fraktionschef Guido Westerwelle lobte anschließend den fundierten Vortrag des Ministers, demnach nicht zu befürchten sei, dass aus der Aufklärung ein Kampfeinsatz werde.
Jung: Die Herzen der Menschen gewinnen
Jung schrieb am 8. März in einer mit "Ihr Dr. Franz Josef" unterzeichneten Kolumne, die Bundeswehr sorge in Afghanistan, "gemeinsam mit unseren internationalen Partnern, für Sicherheit". Dies sei aber nicht isoliert zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit den Säulen Stabilisierung und Wiederaufbau. "Militärisch abgestützte Sicherheit ist die Grundlage für eine weitere Entwicklung des von Krieg und Bürgerkrieg erschütterten Landes. Entscheidend ist, dass wir nicht nur Ordnung herstellen, sondern auch den Wiederaufbau vorantreiben, um so die Herzen der Menschen zu gewinnen."
"Nur so werden wir bei unserem Bemühen erfolgreich sein, Afghanistan zu stabilisieren und in eine gute Zukunft zu führen", schreibt der Verteidigungsminister. "Für dieses Ziel setzen sich die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr mit aller Kraft ein: Sie arbeiten mit daran, ein sicheres Umfeld für die Wiederaufbaumaßnahmen zu schaffen. Sie helfen mit, Streitkräfte und Polizeistrukturen aufzubauen."
Die Bundeswehr habe in Afghanistan bereits 630 Wiederaufbau-Projekte in Angriff genommen: "Die Bandbreite reicht von Kindergärten und Schulen über Krankenhäuser bis hin zu Straßenbau und Wasserversorgung." Sieben Millionen Kinder gingen wieder zur Schule, rund 80 Prozent der Bevölkerung würden basismedizinisch versorgt – "zu diesem Erfolg hat die Bundeswehr maßgeblich beigetragen. Unser Engagement zahlt sich also aus. Wir werden diesen guten Weg in der Zukunft fortsetzen."
Die Tornados und den Krieg erwähnt der Verteidigungsminister in seiner Kolumne, einen Tag vor der Bundestagsentscheidung mit keinem Wort.
Paech: Das Grundgesetz kennt nur die Landesverteidigung
Der Linkspolitiker Norman Paech sieht die "Bündnispflichten" offenbar nicht. Gegenüber der "Berliner Zeitung" sagte er: "Das Grundgesetz kennt nur die Landesverteidigung, das wurde dann 1955 ausgedehnt auf das Nato-Gebiet. 1999 hat die Nato dann eine neue Strategie verabschiedet, ihr Einsatzgebiet erweitert und sich neue Aufgaben gestellt, ohne dass der Bundestag dazu gefragt wurde."
Die desolate Situation in Afghanistan sei eine Folge der militärischen Auseinandersetzungen. Der "Anti-Terror-Einsatz" dauere nun schon sechs Jahre. "Das hat nichts mehr mit Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta zu tun, worauf sich der Nato-Einsatz ursprünglich gründete", so Paech. "Unsere Befürchtung ist, dass die weitere Militarisierung des Konflikts - eben durch den Einsatz der Tornados und die Offensive - die Destabilisierung des Landes vertieft und irakische Züge annimmt."
Die Nato solle sich "wieder darauf konzentrieren, dass sie ein Verteidigungsbündnis ist - und sich nicht als militärische Interventionstruppe verstehen, die sich in Weltordnungskonflikte und imperiale Auseinandersetzungen einmischt", fordert Paech. "Afghanistan wäre für die Nato völlig uninteressant, wenn es nicht so strategisch wichtig wäre, als Nachbarland Irans, als Bindeglied zwischen dem Mittleren und Fernen Osten."
Schneiderhan: Die Piloten können die Gefahren "meistern"
Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan wies auf die Gefahren hin, in die die "Tornados" bei ihren Einsätzen in Afghanistan durch Abwehrraketen "der Taliban" kommen könnten. Die Piloten könnten jedoch gefährliche Situationen mit ihren Warnempfängern, Täuschsendern und Bordkanonen meistern. Bei der Suche nach "den Talibankämpfern" sollen die "Tornados" laut Schneiderhahn das gesamte Land überfliegen.
"Tornados" können computergesteuert mit Überschallgeschwindigkeit auch in nur 60 Metern Höhe fliegen. Das Flugzeug liefert auch in der Nacht gestochen scharfe Fotos. Es kann noch aus fünf Kilometer Entfernung ein Autokennzeichen klar und deutlich fotografieren.
Strutynski: Deutschland wäre in jedem Fall mitten drin - im Nahostkrieg
Nach Auffassung des Bundesausschusses Friedensratschlag zeigen die Argumente gegen den Tornado-Einsatz "Wirkung". Erstmals könnte die Zahl der Nein-Stimmen gegen einen Auslandseinsatz der Bundeswehr "die magische Grenze von 100 überschreiten", hofft Peter Strutynski vom Friedensratschlag. Widerspruch gegen den Antrag der Bundesregierung rege sich in allen Fraktionen. "Damit wird der Bundestag aber noch längst nicht Anschluss gefunden haben an die Meinung der Wähler." Verschiedene Umfragen der letzten Wochen hätten gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger überwiegend den Tornadoeinsatz ablehnten.
Deutschland laufe mit dem Tornadoeinsatz "Gefahr, sich noch mehr in den US-geführten schmutzigen Krieg in Afghanistan zu verstricken und schließlich Opfer der 'Irakisierung' Afghanistans zu werden", so Strutynski.
Seit 2002 seien in Afghanistan 85 Milliarden Dollar für Militärmaßnahmen, dagegen nur 7,5 Milliarden Dollar für den zivilen Wiederaufbau eingesetzt. Und auch diese Mittel hätten sich fast ausschließlich auf die Haputstadt Kabul konzentriert und vor allem die Paschtunengebiete vernachlässigt. Die Opiumproduktion steige mit jedem Jahr Krieg weiter an: Seit 2001 habe sie sich verzehnfacht. "Afghanistan ist der weltgrößte Rauschgiftproduzent", meint Strutynski. "Die Ausweitung des Krieges wird kein anderes Ergebnis haben als der Krieg der Sowjetarmee in den 80er Jahren: Sie mussten - trotz überlegenem Einsatz von modernen Waffen und Luftaufklärung - sich schließlich geschlagen aus Afghanistan zurückziehen und den Taliban das Feld überlassen".
Und noch eines sollten die Bundestagsabgeordneten nach Auffassung von Strutynski bedenken: "Es gibt zwischen Afghanistan-Einsatz, dem Irakkrieg und einem für möglich gehaltenen US-Krieg gegen Iran vielfache Zusammenhänge gibt. So haben soeben Großbritannien und Dänemark angekündigt, ihre Truppen aus dem Irak abzuziehen um sie zur Verstärkung nach Afghanistan zu entsenden. Auch der US-Truppenaufmarsch im Persischen Golf zielt auf den Kriegsschauplatz im Mittleren Osten und in Zentralasien. Es wäre nach Ansicht vieler Experten naiv zu glauben, die USA könnten eine dritte Front, nun gegen Iran, ohne Unterstützung der anderen NATO-Staaten eröffnen. Deutschland wäre - auch mit der Marine vor den Küsten Libanons - in jedem Fall mitten drin. Alle beschwichtigenden Bekundungen, die Iran-Krise mit diplomatischen Mitteln zu lösen, könnten sich bald in Luft auflösen."