Putin hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende die US-Außenpolitik in ungewöhnlich scharfer Form kritisiert. Die USA würden ihre Ansichten anderen Staaten geradezu aufzwingen. Dies betreffe nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft. Den Kampfbegriff des Imperialismus vermied der Russe zwar, aber den Zuhörern war klar, dass er genau dies den USA vorwarf.
Und Putin legte noch nach. Er stelle eine "fast ungezügelte, übermäßige" Anwendung militärischer Gewalt fest. Völkerrechtlich legitimiert seien Militäreinsätze aber nur, wenn es einen entsprechenden Beschluss des UN-Sicherheitsrates gebe, sagte der Jurist Putin - ein Seitenhieb auf den von den USA initiierten Irak-Krieg. Die wichtige Rolle der UNO könne nicht durch Beschlüsse der NATO oder der EU ersetzt werden. Der russische Präsident verglich den Krieg mit der Anwendung der Todesstrafe. Beides dürfe nur "das letzte Mittel sein".
Die NATO-Osterweiterung sei eine "schwerwiegende Provokation" und verringere das gegenseitige Vertrauen, so Putin. Er erinnerte an die vor der deutschen Wiedervereinigung gemachte Zusicherung der NATO, ihre Truppen nicht östlich von Deutschland zu stationieren: "Wo ist diese Garantie jetzt?" So viele Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer errichte die NATO nun neue virtuelle Mauern, die den europäischen Kontinent zerteilen.
Konkret rügte Putin die geplante Stationierung amerikanischer Raketenabwehrsysteme in Osteuropa. Dieses Vorhaben sei eine Bedrohung für das "Gleichgewicht der Kräfte" zwischen den USA und Russland. In der Zeit des Kalten Kriegs habe diese Balance und die damit verbundene "Angst vor gegenseitiger Vernichtung" immerhin eine gewisse Stabilität gebracht.
Reaktionen
Agenturberichten zufolge verhärteten sich während der Rede Putins in der ersten Reihe im Versammlungssaal des Hotels Bayerischer Hof die Mienen vor allem der US-amerikanischen Konferenzteilnehmer. Der einflussreiche Senator John McCain, der als möglicher Nachfolger von US-Präsident George W. Bush gehandelt werde, habe demonstrativ zur Seite geblickt. Jede länger die Rede Putins gedauert hätte, desto mehr seien bei McCain die Kiefermuskeln geschwollen. Und auch der neue US-Verteidigungsminister Robert Gates habe alles andere als glücklich dreingeschaut.
Der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow verteidigte am Sonntag die Rede seines Präsidenten. Grund dafür sei nicht "kaltkriegerisches Denken". Vielmehr halte Moskau die Beziehungen zur NATO für so ausgereift, dass man offen und freimütig seine Meinung sagen könne. Russland wolle niemandem seine Haltung aufoktroyieren. Man werde sich aber auch nicht Entscheidungen zu eigen machen, "die uns aufgedrängt wurden".
Der frühere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, der deutsche Ex-General Klaus Naumann, kritisierte im Anschluss, Putin habe "eine Chance verpasst und Sympathien verspielt". Er habe versucht, den Eindruck eines starken Russlands zu erwecken, tatsächlich sei das Land aber "schwach". Natürlich seien "die Amerikaner keine Engel", aber so überheblich hätte Putin nicht auftreten sollen.
Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU) sprach nach der Rede Putins von einer Chance für einen offenen Dialog. Obwohl Russland ein schwieriger Partner sei, müsse man die Aufforderung annehmen, sagte der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Es gebe keine Alternative zur "Einbindung Russlands".
Die Bedrohungsängste Russlands durch die angekündigte Stationierung eines Raketenabwehrsystems in Osteuropa sollten zur Kenntnis genommen werden, sagte Schockenhoff. "Wir können nicht einfach in der Nähe von Russland solche Systeme stationieren, ohne das Land in einen strategischen Dialog mit einzubeziehen." Putin habe dabei zu einer "sehr offenen und kritischen Diskussion" eingeladen.
Der Unions-Außenexperte Eckart von Klaeden (CDU) schlug eine Einbeziehung Russlands in den von den USA geplanten Raketenschutzschirm über Osteuropa vor. "In der NATO sollten wir erwägen, Russland eine Beteiligung anzubieten", sagte Klaeden und betonte: "Dieser Sicherheitsschirm wäre nicht gegen Russland gerichtet.".
FDP-Chef Guido Westerwelle warnte vor einer Spirale der Eskalation. Es sei eine gefährliche Fehleinschätzung, wenn Putins Rede in München als Drohung bewertet werde. "Präsident Putin war klar, aber nicht übermäßig aggressiv, er war offen, aber nicht feindlich", sagte Westerwelle.
SPD-Fraktionschef Peter Struck nannte Putins Kritik unverständlich. Diese scheine ihm eher ein wenig "Wortgeklingel" zu sein und keinen ernsthaften Hintergrund zu haben. In einem neuen Kalten Krieg könne Russland nur verlieren.
Der außenpolitische Experte der Links-Fraktion, Wolfgang Gehrcke, sagte, die Kritik Putins, die USA hätten ihre Grenzen in fast allen Bereichen überschritten und das internationale Recht mit Füßen getreten, sei nur allzu berechtigt. "Das aufgeregte Geflattere einiger SPD- und CDU-Politiker wegen der ungewohnten Schärfe der öffentlichen Äußerungen Putins kann nur schlecht überdecken, dass seine Kritik sachlich nicht zu widerlegen ist. Die deutsche Politik wäre gut beraten, diese Kritik ernst zu nehmen."
Sinnvoll sei es deshalb, über gemeinsame Initiativen Deutschlands und Russlands und auch der EU und Russlands nachzudenken, so Gehrcke. Für die europäische Sicherheit sei es wichtig, eine Abrüstungsinitiative in Gang zu bringen und sich darüber hinaus strikt an den Zwei-plus-Vier-Vertrag zu halten. "Dieser verbietet Deutschland eine Teilhabe an militärischen Aktionen, die nicht der Landesverteidigung dienen. Ebenfalls legt der Zwei-plus-Vier-Vertrag fest, dass die NATO über ihr Vertragsterritorium hinaus nicht nach Osten expandieren darf. Mit den Interventionen im ehemaligen Jugoslawien und der geplanten Ausdehnung der US-Raketenabwehr nach Osteuropa wurde auch dies nicht eingehalten", kritisiert Gehrcke. Gerade aus Deutschland solle "kein Gefasel über einen neuen Kalten Krieg kommen".
US-Verteidigungsminister Robert Gates verteidigte sowohl die NATO-Osterweiterung als auch die Errichtung eines Teils des US-Raketenabwehrsystems in Osteuropa. Dieser Schritt sei nicht gegen Russland gerichtet. Ziel sei es vielmehr, angesichts der Raketen-Entwicklung etwa im Iran "unsere Freunde in Europa zu unterstützen".
Die USA sollten ihre Pläne künftig allerdings besser erläutern, so Gates. Es müsse wieder der Ruf verstärkt werden, dass die Vereinigten Staaten eine Kraft seien, die für das Gute eintrete. Der neue US-Außenminister sagte weiterhin, im Irak-Krieg dürfe es keinen Fehlschlag geben. Wenn es nicht gelinge, einen stabilen Irak aufzubauen, werde die Folgen jedes NATO-Mitglied zu spüren bekommen.