Als Alternativen zu den von der Regierung geplanten Reformvorhaben nannte Sommer: Statt die Renten durch die Rente mit 67 zu kürzen, sollten Politik und Wirtschaft die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Menschen überhaupt bis 65 arbeiten können. Statt die Axt an das solidarische Gesundheitssystem zu legen, sollten die gesetzlichen Krankenkassen durch Steuern und durch Beiträge der privaten Kassen stabilisiert werden. Statt Armutslöhnen sollte es Mindestlöhne geben. "Wir erwarten, dass der Gesetzgeber bei den Arbeitseinkommen endlich eine Grenze nach unten einzieht", so Sommer. "Stundenlöhne von 3,50 Euro sind und bleiben ein Skandal."
Die Kundgebungen richteten sich auch gegen "das zunehmend unanständige Verhalten in der Wirtschaft". Insbesondere gegen diejenigen Manager, so Sommer, "die Tausende von Arbeitsplätzen vernichten, "und dabei nicht vergessen, ihre eigenen Bezüge kräftig zu erhöhen". Angesichts von 50.000 jungen Menschen, die in diesem Jahr noch keine Lehrstelle gefunden hätten , forderte Sommer die Einführung einer Ausbildungsumlage. "Wer nicht ausbildet, der muss zahlen."
Sommer bezeichnete den Aktionstag als "Auftakt zu weiteren politischen Aktionen der Gewerkschaften und nicht ihr Ende." Bereits jetzt sei es gelungen, "die verbreitete Politikverdrossenheit zu überwinden und Menschen für eine bessere Politik in Bewegung zu setzen". Damit, so der DGB-Vorsitzende, "ist der 21. Oktober ein guter Tag für die Demokratie."
Peters: Da wollen einige, dass Arbeit so "billig wird wie Dreck"
IG Metall-Chef Jürgen Peters kritisierte auf der Kundgebung in Dortmund die Regierungspolitik: "Gürtel enger schnallen ! Länger arbeiten! Für weniger Geld! Versteht sich! Mehr Ausgaben an allen Ecken und Enden. Für Strom, Gas, Wasser. Zuzahlungen für Medikamente, Arztbesuche. Und dann kommt ein Minister daher und erzählt uns: Wir müssen im Zweifel auf eine Urlaubsreise verzichten, um für später vorzusorgen. Das haut dem Fass den Boden 'raus", so Peters. "Das sind die Botschaften der Konservativen und Neoliberalen. So wollen einige Deutschland gesund machen. Auf Knochen der kleinen Leute - zugunsten der großen Einkommen. Darum stehen wir heute hier. Darum demonstrieren wir heute hier, wie in Berlin, in Frankfurt, in Stuttgart und München. Da wollen einige, dass Arbeit so 'billig wird wie Dreck'."
Es müsse endlich Schluß sein mit der Umverteilung von unten nach oben, forderte der IG Metall-Chef. "Den Großen wird gegeben, den kleinen Leuten genommen." Es könne nicht richtig, die Mehrwertsteuer drastisch anzuheben, die Entfernungspauschale erheblich zu reduzieren, die Kindergeldbezugsdauer einzuschränken, Abfindungen voll zu versteuern, den Sparerfreibetrag zu halbieren und die Eigenheimzulage zu streichen." Dies seien alles "Belastungen für die breite Mehrheit. Gleichzeitig soll erneut das Füllhorn über die Unternehmen ausgeschüttet werden." Die geplante Unternehmenssteuer entlaste die Kapitalgesellschaften in Milliardenhöhe.
Es bleibe den Menschen nichts erspart. "Da sollen wir auf Urlaub verzichten", kritisierte Peters. Millionen hätten aber heute schon "keinen richtigen Urlaub mehr, weil arbeitslos". Hartz IV Bezieher könnten nicht in den Urlaub fahren. Das sehe der Regelsatz nicht vor. "Ich habe den Eindruck, einige wissen überhaupt nicht mehr wie die Wirklichkeit aussieht." Dass zum Beispiel ein Großteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon heute hoch verschuldet sei? Dass schon heute viele Menschen ihren Lebensunterhalt vom Lohn nicht mehr bestreiten könnten. Dass Reiche immer reicher und die Armen immer ärmer würden. "Und nun diskutieren einige in der Politik über das Anspruchsdenken derer, die arbeitslos sind und unserer Unterstützung bedürfen. Unfassbar", so Peters.
"Seit Jahren predigen sie den Niedriglohn und eine weitere Liberalisierung und Deregulierung der Arbeitsmärkte." Alles was die Marktkräfte störe solle beseitigt werden. Der Markt, das unbekannte Wesen solle es richten. "Freie Fahrt für freie Unternehmer" - das sei ihr Credo. "Da soll der Kündigungsschutz aufgehoben werden, weil er angeblich den Beschäftigungsaufbau behindert. Welch ein 'Schmarrn'."
Peters zitierte in Dortmund den ehemaligen Chefredakteur des Handelsblattes, weil dieser "unverdächtig" sei, mit den Worten. "Es ist nun einmal nicht einzusehen, warum eine Lockerung des Kündigungsschutzes zum Angebot zusätzlicher Arbeitsplätze und nicht zum bloßen Austausch von Arbeitnehmern führen würde; wie ja auch eine Liberalisierung des Scheidungsrechts nur den Ersatz der älteren durch jüngere Ehefrauen bewirkte, nicht aber eine Zunahme der Eheschließungen." Dazu Peters: "Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ständige 'Rumdoktern' am Kündigungsschutz hat keinen einzigen Arbeitsplatz gebracht. Im Gegenteil. Die Massenarbeitslosigkeit ist nicht gesunken, sondern gestiegen."
Wiesenhügel: Unter der Voraussetzung, dass die, die es besonders dicke haben, ihre Steuern auch tatsächlich zahlen
Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Klaus Wiesehügel, forderte auf der Kundgebung in Frankfurt am Main, Kapitaleinkünfte mit in eine "solidarische Finanzierung" des Gesundheitssystems einzubeziehen. Es gebe nämlich vor allem ein gravierendes Einnahmeproblem. "Das heißt, eine echte Gesundheitsreform muss dazu beitragen, dass die Einnahmebasis stabilisiert wird – und zwar langfristig."
Mit der Einbeziehung von Kapitaleinkünften wären "auch diejenigen mit im Boot, die andere beziehungsweise die nur das Geld für sich arbeiten lassen. Und die Lasten wären endlich gerechter verteilt", so Wiesehügel. "Dazu gehört auch, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung so finanziert werden, wie es sich gehört – nämlich über Steuern. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum gesamtgesellschaftliche Aufgaben auch über Sozialbeiträge finanziert werden und nicht alle dafür in die Pflicht gehen. Und es wäre ein Stück mehr Solidarität, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die, die es besonders dicke haben, ihre Steuern auch tatsächlich zahlen." Insgesamt könnten die Finanzierungsgrundlagen der Gesetzlichen Krankenversicherung so sogar kurzfristig stabilisiert werden, so Wiesenhügel.
Ab 2012 solle das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre heraufgesetzt werden. Die Gewerkschaften lehnten diese Maßnahme "ganz klar ab", so Wiesenhügel. Der Grund: "Fünf Millionen Arbeitslose, 610.000 junge Menschen ohne Arbeit und gerade mal 30 Prozent aller 55-64 jährigen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt: allein vor diesem Hintergrund - der viel zu hohen Arbeitslosigkeit - ist eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre falsch. Jedem von uns muss klar sein, das ist keine Rentenreform. Die Rente mit 67 ist reine Abzocke auf unsere Kosten. Sie trifft gerade diejenigen Arbeitnehmer hart, die keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt mehr haben und die es auf Grund von körperlichen und gesundheitlichen Problemen heute schon nicht mehr schaffen bis 65 durchzuhalten." Wer aus gesundheitlichen Gründen in Rente gehen müsse, der habe keine freie Wahl über den Zeitpunkt, wann er gehe. Dafür dürfe er nicht noch mit Abschlägen bestraft werden.
Wiesenhügel kritisierte "die Demographen": "Der Wechsel von der leistungs- zur beitragsorientierten Alterssicherung mit dem zentralen Fokus, die Beiträge unter 20 Prozent zu halten – nur um dem Wunsch Lohnnebenkostensenkung der Arbeitgeber nachzukommen - war und ist der falsche Weg. Wer sagt eigentlich, dass die Rentenversicherungsbeiträge nicht über 20 Prozent steigen dürfen? Es sind die Unternehmer." Das sei der eigentliche Grund, warum die Rentenkassen nicht ausreichten.
Die Rentenkasse sei nicht notleidend, "weil unsere Kolleginnen und Kollegen - Gott sei Dank - lange leben, das wollen uns die Demographen glauben machen, die Rentenkasse ist notleidend, weil eine falsche Sozialpolitik gemacht wird. Rente mit 67 heißt, kein demographisches Problem lösen, sondern Rente mit 67 heißt für sehr, sehr viele Kolleginnen und Kollegen Rentensenkung."
Wiesenhügel plädierte für eine Beibehaltung der gesetzlichen Rentenversicherung als zentrale Säule. Sie müsse auch in Zukunft "den Lebensstandard, ein Grundniveau sichern. Das geht nur, wenn wir die Risiken der Altersversorgung solidarisch breit schultern und die Rentenversicherung auf eine breite Basis stellen. Die starken Schultern müssen auch ihren Beitrag leisten. Nur so können wir verhindern, dass die Rentenversicherung weiter ausblutet."