Der "Wogau-Bericht" betont auch die Bedeutung der Europäischen Verfassung und die darin vorgesehene Beistandsklausel der EU-Mitgliedstaaten im Falle eines Angriffs auf einen Mitgliedstaat. Auch wird die in dem gescheiterten Verfassungsentwurf vorgesehene Schaffung eines europäischen Außenministers befürwortet.
Weiterhin will der Auswärtige Ausschuss des Europäischen Parlaments ein eigenes europäisches Budget für militärische Zwecke. Schließlich schlagen die Abgeordneten den Aufbau einer Europäischen stehenden Marine-Seestreitmacht im Mittelmeer vor, um dort europäische Präsenz zu zeigen und das "Krisenmanagement-Potenzial" der EU in dieser Region zu erhöhen.
Von Wogau: Die EU ist entschlossen, ihre zivilen und militärischen Fähigkeiten auszubauen
Von Wogau betont, dass Soldaten der Europäischen Union "unter europäischem Kommando" in der Vergangenheit in Mazedonien, in Bunia und in Bosnien-Herzegowina eingesetzt worden waren. "Derzeit findet ein friedenssichernder Einsatz unter europäischer Führung im Kongo statt. Hier wird erstmals eine gesamteuropäische Struktur des Einsatzes deutlich."
Der Abgeordnete macht zugleich deutlich, wie militärische und zivile Komponenten der EU-Außenpolitik ineinandergreifen und sich ergänzen: So habe die Europäische Union bereits beschlossen, "Kapazitäten für das zivile Krisenmanagement durch Polizeioperationen, Zivilschutz sowie den Aufbau rechtsstaatlicher Ordnung und ziviler Verwaltung aufzubauen. Zu der Entstehung einer umfassenden Union für Verteidigung und Sicherheit ist auch die Schaffung einer europäische Kommandostruktur zu rechnen, zu der ein sicherheitspolitischer Ausschuss, ein militärischer Ausschuss, ein Militärstab und eine zivil-militärische Zelle mit einem Operationszentrum gehören", so von Wogau.
Auch der Aufbau einer "European Gendarmerie Force", der Europäischen Verteidigungsagentur, der Europäischen Polizeibehörde EUROPOL sowie die Schaffung eines Europäischen Haftbefehls, gemeinsame Regelungen für das Waffenbeschaffungswesen und den Waffenhandel und die Förderung der Europäischen Sicherheitsforschung im Rahmen des 7. EU-Forschungsprogramms belegten, "dass die Europäische Union entschlossen ist, ihre zivilen und militärischen Fähigkeiten auszubauen, um gemeinsam in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung effektiver handeln zu können".
"Gemeinsamer Markt im Bereich der Verteidigung"
Der CDU-Europaabgeordnete ruft in seinem Bericht dazu auf, die entstehende Union für Verteidigung und Sicherheit "konsequent weiterzuentwickeln". So fordert er ein gemeinsames System luft- und weltraumgestützter Aufklärung und gemeinsame Normen für die Telekommunikation, die dem Militär, der Polizei und den Katastrophennotfalldiensten im Bedarfsfall eine gegenseitige Verständigung ermöglichen.
Durch die Schaffung eines "gemeinsamen Marktes im Bereich der Verteidigung" und die Berufung eines für auswärtige Angelegenheiten zuständigen EU-Ministers, der von einem für Sicherheits- und Verteidigungspolitik zuständigen Stellvertreter und einem Rat der Verteidigungsminister unterstützt wird, sollte die politische Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Europäischen Union im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik verbessert werden.
Als Legitimation für seine Vorschläge verweist von Wogau auf EU-eigene Umfragen ("Eurobarometer"), wonach sich die Bürger in Europa ein "gemeinsames europäisches Vorgehen in Sicherheits- und Verteidigungsfragen" wünschten. Das gemeinsame Vorgehen in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung sei "richtig" und werde von einer großen Mehrheit der Bürger in Europa unterstützt, meint der Europaabgeordnete. Die "schnelle Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" solle jedoch durch eine "angemessene" parlamentarische Kontrolle "Gegenstand einer Debatte auf europäischer Ebene sein, um diese schnelle Entwicklung noch stärker als bisher an den Willen den Bürger in Europa zu koppeln".
Pflüger: "Zentrales Dokument über die Fortschreitung der Militarisierung der EU"
Der in der Abstimmung im Auswärtigen Ausschuss unterlegene Europaabgeordnete Tobias Pflüger (Linksfraktion) brachte im Namen seiner Fraktion ein Minderheitenvotum ein, um im Vorfeld der Debatte im Plenum des Europaparlaments im November die abweichende Position deutlich zu machen.
Pflüger betrachtet den "Bericht von Wogau" als ein "zentrales Dokument über die Fortschreitung der Militarisierung der EU". Sichtbar werde dies unter anderem in der Forderung, die Gelder innerhalb der EU für Militärausgaben und Rüstungsforschung "erheblich zu erhöhen".
Der Bericht fordere sogar einen zweiten "virtuellen" Haushalt der EU-Mitgliedstaaten für Militärausgaben, als Parallel-Haushalt zum EU-Haushalt. "Damit würden die bisherigen Tricks bei der Finanzierung der EU-Militärpolitik (ATHENA-Mechanismus, Ad Hoc Haushalte u.a.) offen fortgeschrieben", kritisiert Pflüger.
Der Bericht beschreibe auch die fatale, enge Verzahnung zwischen EU und NATO. Das Berlin Plus Abkommen, in dem der Zugriff der EU auf NATO-Kapazitäten geregelt werde, werde im Bericht 'von Wogau' ausdrücklich begrüßt. Auch werde im Bericht für die militärische Luftüberwachung eine noch engere Verzahnung mit der NATO eingefordert.
Im Entwurf des Berichtes von Wogau hatte es laut Pflüger noch geheißen, "ist demgegenüber der Auffassung, dass die Europäische Sicherheitsstrategie zwar davon ausgeht, dass die erste Linie der Verteidigung im Ausland liegen kann, jedoch empfiehlt, dass präventive Militäreinsätze nur bei unmittelbar bevorstehenden und klar erkennbaren Bedrohungen zulässig sind." Dies wäre nach Auffassung von Pflüger "als eine offene Unterstützung des Präventivkriegskonzeptes zu lesen gewesen". Aufgrund seiner harten Kritik an dieser Forderung habe sich Berichterstatter von Wogau "schlussendlich entschlossen, von dieser Formulierung abzusehen".
Den einzigen Bereich des Berichtes, den die Linksfraktion befürwortet, waren Forderungen nach einer "tatsächlichen parlamentarischen Kontrolle der EU-Militärpolitik". Dass das EU-Parlament bis heute keine Möglichkeit habe, von den zuständigen Organen der EU verpflichtend Berichte etwa über Militäreinsätze, "deren konkrete Durchführung" oder deren Finanzierung einzufordern, sei "ein Skandal".
Das "Politische und Sicherheitspolitische Komitee" der EU, in dem die Botschafter der Mitgliedstaaten bei der EU oder ihre für Militärpolitik zuständigen Stellvertreter sitzen, sei die eigentliche Vor-Entscheidungsinstanz für EU-Militäreinsätze, so Pflüger. Eine echte parlamentarische Kontrolle der EU-Militäreinsätze sei nicht vorgesehen.
In ihrem Minderheiten-Votum kritisieren neben Pflüger Abgeordnete des Auswärtigen Ausschusses aus den Niederlanden, Spanien, Griechenland und Tchechien unter anderem "die fortgesetzte Militarisierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, die bewusste Vermischung von zivilen und militärischen Einsätzen, die Schaffung von EU Battle Groups, der Gendarmerie Force, der Schnellen Eingreiftruppen und selbstständigen EU-Kommandostrukturen nach dem Vorbild der NATO sowie die Militarisierung der EU-Außengrenze und die militärische Bearbeitung von 'Problemen' mit Flüchtlingen".
Kuhne: "Gefährlich spekulative Textstellen" durch Bezugnahme auf die UN-Charta entschärft Für Helmut Kuhne (SPD), Abgeordneter der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, hat der von ihm mit verabschiedete Bericht mit einer Militarisierung nichts zu tun: "Die Europäische Sicherheitsstrategie läuft nicht Gefahr, zu einer Militärdoktrin zu werden." Kuhne war im Frühjahr 2005 Verfasser des ersten Parlamentsbeschlusses zur von Javier Solana entworfenen und Ende 2003 vom Ministerrat verabschiedeten europäischen Sicherheitsstrategie. Beim Bericht von Wogau koordiniert der deutsche Parlamentarier die Haltung der europäischen Sozialdemokraten zum neuen Beschlussvorschlag.
"Es geht uns Sozialdemokraten nicht darum, uns vor den militärischen Aspekten der Sicherheitsstrategie zu drücken ," so Kuhne. Aber der von einem deutschen Christdemokraten vorgelegte Entwurf war "einseitig auf die militärischen Aspekte verengt und bedeutete die Gefahr der Umdefinierung des breiten Sicherheitsverständnisses zu einer EU-Militärdoktrin."
In Gesprächen vor den Abstimmungen war es laut Kuhne "gelungen, auch den Berichterstatter zu überzeugen, dass nicht nur die zivilen und politischen Aspekte der Sicherheitsstrategie in den Text gehören, sondern auch gefährlich spekulative Textstellen über 'präemptive' und 'präventive' Maßnahmen durch einen eindeutigen Text und die Bezugnahme auf die Charta der Vereinten Nationen zu ersetzen" seien.