Über eine Homepage (www.atomausstieg-selber-machen.de), eine Infoline der Ökostromer (0800-7626852) sowie "durch direkte Ansprache" sollen in den kommenden Wochen und Monaten jene rund zwei Drittel der Bevölkerung angesprochen werden, die nach jüngsten Umfragen der Atomenergie ablehnend gegenüberstünden, bisher daraus aber noch nicht die Konsequenz eines Stromanbieterwechsels gezogen hätten. "Erteilen Sie dem Wortbruch der Konzerne mit der Aufkündigung Ihrer Vertragsbeziehungen eine angemessene Antwort. Es kostet Sie fünf Minuten", heißt es in dem unter anderem vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem Deutschen Naturschutzring (DNR), Greenpeace, der Deutschen Umwelthilfe, dem Naturschutzbund NABU, der Deutschen Sektion der IPPNW, ROBIN WOOD und X-tausendmal quer unterzeichneten Aufruf.
Die Initiatoren gehen davon aus, dass die Bevölkerung "realen Einfluss auf die Konzernpolitik" gewinnen kann, wenn sich die privaten Stromkunden massenhaft von den Atomstromproduzenten ab- und neuen Stromhändlern zuwenden. Denn: Der größte Wert eines Energieversorgungsunternehmens seien seine Kunden.
"Moralisches Versagen der Spitzenmanager"
"Nach dem skandalösen Versuch des RWE-Konzerns, das älteste Atomkraftwerk in Deutschland länger als im Atomkonsens zugesagt am Netz zu halten, ist die Zeit reif", meint Rainer Baake von der Deutschen Umwelthilfe, zuvor Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Die Initiative "Atomausstieg selber machen" werde zünden und "das Land sicherer machen", indem sie neuen Stromanbietern "einen zusätzlichen Schub verleiht". Nach Auffassung von BUND-Geschäftsführer Gerhard Timm beweist RWE mit seinem Antrag zur Laufzeitverlängerung von Biblis A, "dass der Konzern sein wirtschaftliches Interesse über die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung stellt".
Die Umweltverbände verwiesen auf einer Pressekonferenz in Berlin darauf, dass RWE in der so genannten Atomkonsensvereinbarung vom 14. Juni 2000 eine "dauerhafte" Umsetzung der Vereinbarung zugesagt und unterzeichnet hatte: "Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen, dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird."
Dass der über Jahre "mühsam ausgehandelte und von den Konzernen selbst unterzeichnete Atomkonsens" nun von RWE und anderen Atomstromproduzenten "aus Profitsucht wieder aufgeschnürt" werde, bedeutet für Leif Miller vom Naturschutzbund NABU "auch ein moralisches Versagen der Spitzenmanager". Wer am Ausstieg rüttele, reiße "gesellschaftliche Gräben auf, die gerade erst zugeschüttet" worden seien. In diesem Zusammenhang warf Stefan Schurig von Greenpeace die Frage auf, wie glaubwürdig eigentlich noch Ergebnisse solcher Treffen seien, "wenn die Energiekonzerne heute dies und morgen das sagen und Verträge bei nächster Gelegenheit gebrochen werden".
Je länger "die Meiler" betrieben würden, desto höher sei auch die Wahrscheinlichkeit eines Super-GAU, sagte Winfrid Eisenberg von der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW: "In einem derart dicht besiedelten Gebiet wie Rhein-Main wäre das eine unvorstellbare Katastrophe. Die sofortige Evakuierung vieler Millionen Menschen wäre nicht möglich, selbst ein optimal organisierter Katastrophendienst könnte das Chaos der Fliehenden nicht steuern. Auch wir Ärzte könnten nicht viel helfen, die Krankenhäuser wären schnell von Schwerstverstrahlten überfüllt. Hunderttausende würden sterben." Leider ist es jahrelang "aus der Mode gekommen", über diese Dimension der Nutzung der Atomkraft zu reden.
Der schwere Störfall im schwedischen Forsmark habe, so Eisenberg, erneut gezeigt, dass es sich bei der Atomenergie um eine "Trial and Error"-Technologie handele, die sich nie vollständig kontrollieren lasse. Insofern dürfe es vom eingeschlagenen Pfad - "weg von risikoträchtigen und umweltgefährdenden hin zu Erneuerbaren Energien" - keinen Weg zurück geben, so Miller.
"Selten hat ein individueller Schritt eine größere politische Bedeutung erlangt"
"Wenn die Atomkonzerne nicht abschalten wollen, müssen wir sie eben abschalten", sagte Jochen Stay von der Gorlebener Anti-Castor-Initiative X-tausendmal quer. Die Erfahrung zeige, dass sich im Atomkonflikt immer dann etwas positiv bewegen lasse, "wenn viele Menschen Druck machen, ob jetzt als mündige Stromkunden oder bei Castor-Transporten im Wendland." Eisenberg forderte die Stromkunden in Deutschland auf, "ihre Verbrauchermacht einzusetzen, um der Atomindustrie die Rote Karte zu zeigen."
Selten habe in diesem Land ein individueller Schritt eine größere politische Bedeutung erlangt wie nach dem Wortbruch der Spitzenmanager, meint Schurig. "In großer Zahl vollzogen wirkt die private Entscheidung als starkes politisches Signal, das RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall da trifft wo es weh tut: beim Geld", sagte Jürgen Sattari von Robin Wood. Seine Organisation habe den Atomkonsens von Beginn an als "Etikettenschwindel" kritisiert und sich für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen und eine risikoarme und Klima freundliche Stromversorgung eingesetzt. Jeder, der zu einem Ökostromanbieter wechsele, bringe das Land dem Atomausstieg einen Schritt näher.
"Kostengünstiger als man denkt"
Die Umweltverbände wünschen sich "ein regelrechtes Wechselfieber". Der "private Atomausstieg" sei "unkompliziert und häufig sehr viel kostengünstiger, als man denkt", hieß es auf der Pressekonferenz in Berlin. Den Atomkonzernen werfen die Verbände hingegen Preistreiberei vor: Das Versprechen der Konzernherren, ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke wirke dämpfend auf die Strompreise, sei "von der Wirklichkeit längst widerlegt". Die Preise stiegen seit Jahren, "obwohl die Atomkraftwerke laufen". Schuld daran sei die Marktdominanz der großen Konzerne.
Auf der Website der Initiative kann sich jeder ein Bild über die Preise der dort genannten "Ökostromanbieter" machen. Bei den ElektrizitätsWerken Schönau (EWS) beispielsweise ist der Strom für 19,40 Cent pro Kilowattstunde zu bekommen, oder wahlweise auch für 21,14 Cent. Bei "Naturstrom", neben "Lichtblick" und "Greenpeace energy" einem weiteren der genannten Anbieter, zahlt man einen einen monatlichen Grundpreis von 7,80 Euro und 18,75 Cent pro Kilowattstunde.
Nach Angaben der Verbände besteht bei den Ökostromanbietern keinerlei eigentumsrechtliche Verflechtung mit einem Stromkonzern, der Atom- oder Kohlekraftwerke betreibt oder mit Strom aus diesen Quellen handelt. Es werde ausschließlich "Grüner Strom" geliefert, der zu mindestens 50 Prozent aus Erneuerbaren Energiequellen stamme. Maximal 50 Prozent dürften aus gasbetriebenen Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen stammen.