Widerstand vom 20. Juli 1944
Harsche Kritik kam von der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke: Das Gelöbnis stehe für die "verzerrte Geschichtspolitik" der Bundeswehr. Die Wehrmachtsverschwörung des 20. Juli habe sich erst unter dem Eindruck der militärischen Niederlage zum Attentat auf Hitler entschlossen. "Graf von Stauffenberg, Henning von Tresckow und die anderen Offiziere waren bereit, Angriffskriege zu führen und für die 'deutschen Interessen' weit jenseits der deutschen Grenzen zu töten; das Völkerrecht war für sie nebensächlich", meint Jelpke. Während Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit zum aktiven Widerstand gegen den Rechtsextremismus aufrief, gehen für Jelpke aktuelle Gefahren offenbar vor allem von der Bundesregierung aus: "Diese Haltung ist für die Bundeswehr offensichtlich vorbildlich - das neue Weißbuch bestätigt den aggressiven Militärkurs, der keine geographische Begrenzung kennen will."
"Unsere Gedanken gehen heute zu den Ereignissen von vor über 60 Jahren zurück", so Verteidigungsminister Jung. "Es war eine andere Zeit, in der Krieg, Unrecht, Willkür und Gewalt herrschten. Nur noch wenige unter uns besitzen eine persönliche Erinnerung an diese Zeit. Doch ins Gedächtnis der Nation hat sie sich tief eingeprägt."
In Anwesenheit des Präsidenten des Bundesrates Peter Harry Carstensen, des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages Hermann Otto Solms und weiterer hochrangiger Teilnehmern, erinnerte der Minister an das Ziel der Männer und Frauen vom 20. Juli: Sie wollten "unserem Land seine Selbstachtung zurückzugeben. Sie wollten die Voraussetzungen schaffen, dass Deutschland in die Gemeinschaft freier Staaten zurückkehren konnte. Und diesen Weg sind wir nach 1945 gegangen." Das "Nie wieder" sei zum Grundsatz des politischen Handelns in Deutschland geworden.
Jelpke: Der Widerstand einfacher Soldaten wird ausgeblendet
Jelpke stört der Focus der offiziellen Gedenkkultur auf die Offiziere: "Anders als der Widerstand der Offiziere wird der Widerstand einfacher Soldaten ausgeblendet", meint die Linksabgeordnete. Erst nach jahrzehntelangen Bemühungen gälten Deserteure der Wehrmacht nicht mehr als Kriminelle.
Dass "Kriegsverräter", die mit der Absicht handelten, "einer feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder den deutschen oder verbündeten Truppen Nachteil zuzufügen", bis heute nicht rehabilitiert seien, sei ein Skandal. "Der Verrat an einem Vernichtungskrieg" ist aber nach Auffassung von Jelpke "kein Verbrechen, sondern gehört zu den ehrenwertesten Handlungen, die Soldaten der Wehrmacht begehen konnten".
Der 20. Juli sei kein "Aufstand des Gewissens" gewesen. In ihrer Antwort Anfrage spreche selbst die Bundesregierung von einer "möglicherweise komplexeren Motivationslage". Pauschal zu behaupten, die Offiziere hätten sich "dem vom NS-Regime begangenen Unrecht entgegengestellt", sei Geschichtsklitterung. "Diese Offiziere haben selbst Kriegsverbrechen begangen, und zwar nicht als Befehlsempfänger, sondern als Auftraggeber", so der Vorwurf der Politikerin.
In einer Kleinen Anfrage sei dargestellt worden, "wie sehr von Tresckow, Carl-Heinrich von Stülpnagel, Erich Hoepner, Georg Freiherr von Boeselager und Eduard Wagner sich an Kriegsverbrechen beteiligt haben. Wir fordern die Bundesregierung zur Stellungnahme auf, was daran vorbildlich sein soll."
Nach Auffassung von Jelpke will die Bundesregierung den 20. Juli "zum Mythos aufbauschen". Die Geschichte der Wehrmacht liefere aber "keine Vorbilder". In Deserteuren und Kriegsverrätern liefere sie "lediglich Beispiele, wie sich anständige Menschen verhalten konnten".
Wulff: "Selbstlose Streiter für Menschlichkeit und gegen eine totalitäre Diktatur"
Der Niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff sah das anders. Bei der Feierstunde im Bendlerblock in Berlin rief er in der offiziellen Gedenkrede Politik und Gesellschaft auf, aktuelle Lehren aus dem Widerstand zu ziehen. Im Bendlerblock, dem heutigen Verteidigungsministerium, waren die Schlüsselfiguren des Umsturzversuchs um Claus Schenk Graf von Stauffenberg in der Nacht zum 21. Juli 1944 standrechtlich erschossen worden.
Wulff würdigte Stauffenberg und seine Gruppe als "selbstlose Streiter für Menschlichkeit und gegen eine totalitäre Diktatur". Der 20. Juli 1944 stehe "für ein anderes, für ein menschliches und für ein demokratisches Deutschland", sagte der CDU-Politiker. Hier seien mutige Männer und Frauen gegen eine "totalitäre Unkultur des NS-Systems" aufgestanden.
Zugleich mahnte Wulff an, aktuelle Lehren zu ziehen: "Wir dürfen es nicht hinnehmen, wenn irgendwelche trüben Geister sich erdreisten, Teile unseres Vaterlandes zu so genannten 'national befreiten Zonen' zu erklären", sagte er. Diese "braunen Irrlichter" hätten überhaupt keinen Anspruch auf unsere Nation.
Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit rief zum aktiven Widerstand gegen den heutigen Rechtsextremismus auf. Er appellierte, all jenen entschlossen entgegenzutreten, "die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen und Jagd machen auf alle, die ihrer dumpfen Ideologie im Wege stehen". Verteidigungsminister Franz Josef Jung sagte, Mut und Zivilcourage blieben die höchsten staatsbürgerlichen Tugenden, auf denen sich das demokratisches Gemeinwesen gründe.
Anschließend legte Bundesratspräsident Peter Harry Carstensen, begleitet durch den Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, an jenem Ort einen Kranz nieder, wo Stauffenberg und drei seiner Kameraden vor 62 Jahren erschossen worden waren.