Juni 2006
Alle Artikel aus diesem Monat und Jahr sind hier zu finden.
Abgeordneteninitiative will Gesetzentwurf zum Rauchverbot bis Herbst vorlegen
Deutschlands Raucher müssen sich möglicherweise schon bald auf erhebliche Einschränkungen gefasst machen. Die drogenpolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, Margrit Spielmann, sagte am Donnerstag, die Initiatoren eines Gruppenantrages für ein umfassendes Rauchverbot wollten ihren Gesetzentwurf schon kurz nach der Sommerpause auf den Weg bringen. Bayerns Gesundheitsminister Werner Schnappauf (CSU) verlangte ein Gesetz für ein Rauchverbot in Hotels und Gaststätten falls freiwillige Vereinbarungen nicht greifen sollten. Die Kommunen forderten ein Rauchverbot in Gaststätten und Kinos. Die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Bärbel Höhn, warf der Bundesregierung "Ablenkungsmanöver" beim Nichtraucherschutz vor.
Drastische Abtreibungs-Kritik kann verboten werden
Eine mehrdeutige drastische Kritik an Abtreibungen kann verboten werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss entschieden. Zugleich billigten die Karlsruher Richter die strafrechtliche Verurteilung zweier Abtreibungsgegner wegen Beleidigung eines Gynäkologen, dessen Tätigkeit sie als "Kinder-Mord" bezeichnet und mit dem Holocaust verglichen hatten. Dei beiden Abtreibungsgegner hatten im Oktober 1997 vor dem Klinikum Nürnberg gegen den auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisierten Arzt Flugblätter verteilt.
NRW-Finanzminister für umfangreiche Steuersenkungen für Unternehmen
Der nordrhein-westfälische Finanzminister Helmut Linssen (CDU) schlägt drastische Steuersenkungen für Unternehmen vor. Er hoffe, mit dem in seinem Haus entwickelten "Vier-Module-Konzept die Kernprobleme des aktuellen Unternehmenssteuerrechts realitätsbezogen und wirksam lösen zu können", schreibt Linssen in einem Brief an seine Ministerkollegen. Es geht offenbar um eine "Entlastung" von insgesamt rund acht Milliarden Euro. Linssen schlägt im ersten Modul die Senkung des Körperschaftssteuersatzes von 25 auf 18 Prozent vor. Das Halbeinkünfteverfahren solle zeitgleich zu einem Zwei-Drittel-Verfahren geändert werden.
Karlsruhe stärkt Anspruch Gefangener auf raschen Rechtsschutz
Das Bundesverfassungsgericht hat den Anspruch Strafgefangener auf raschen Rechtsschutz bei Disziplinarmaßnahmen betont. Die Karlsruher Richter gaben in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss der Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen aus Nordrhein-Westfalen statt. Sein Eilantrag gegen eine Disziplinarmaßnahme sei vom Landgericht Bielefeld äußerst zögerlich behandelt worden. Die Maßnahme - Fernsehverbot und Freizeitsperre für je eine Woche - war bereits vollzogen, bevor über den Eilantrag entschieden wurde. Die neue Generalbundesanwältin Monika Harms hatte kürzlich auf "wegbrechende Ressourcen" beim Personal und auf eine Überlastung an den unteren Gerichten hingewiesen.
Birthler will freiwillige Überprüfung aller Bundestagsabgeordneten
Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, fordert eine freiwillige Überprüfung aller Bundestagsabgeordneten auf eine mögliche Mitarbeit beim Staatssicherheitsdienst der DDR. "Diese Forderung ist keineswegs überholt", sagte Birthler der "Passauer Neuen Presse". Alle Abgeordneten sollten sich als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber der Öffentlichkeit überprüfen lassen. "Auch künftig muss sichergestellt sein, dass Menschen in wichtigen politischen Funktionen nicht früher bei der Staatssicherheit gearbeitet haben", sagte Birthler.
Verfassungsgericht billigt Verurteilung wegen Schulpflicht-Verstoßes
Wer seine Kinder aus religiösen Gründen nicht zur Schule schickt, kann strafrechtlich verurteilt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Das Grundgesetz gewähre nicht das Recht, dass Kinder "vollständig von fremden Glaubensbekundungen oder Ansichten verschont bleiben", heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Beschluss. Die Karlsruher Richter verwarfen damit die Verfassungsbeschwerde eines christlich eingestellten Elternpaares aus Hessen, das drei seiner Töchter seit 2001 aus religiösen Gründen vom weiteren Besuch der örtlichen Gesamtschule abgehalten hatte.
Gesundheitsministerium wirft Ärzten Milliardenverschwendung vor
Die Ärzte in Deutschland verschwenden nach Ansicht des Bundesgesundheitsministeriums noch immer Milliarden von Euro an Kassenbeiträgen. Die Verschreibung teurer Originalmedikamente anstelle günstiger Nachahmerpräparate mit dem gleichen Wirkstoff habe die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in 2005 mit drei Milliarden Euro belastet, sagte Gesundheitsstaatssekretärin Marion Caspers-Merck am Dienstag bei der Vorstellung des Arzneimittel-Reports in Berlin. Dies entspreche 0,3 Beitragssatzpunkten aus den Taschen der Versicherten. Das "Einsparpotenzial" müsse genutzt werden für "wirklich innovative, aber kostspielige Therapien".
Attac bezeichnet Köhler als "Arbeitgeberpräsidenten"
Das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat die Forderung des Bundespräsidenten nach mehr Druck auf Arbeitslose scharf kritisiert. "Köhler geriert sich wieder einmal als Arbeitgeberpräsident," meint Peter Wahl von Attac. "Im Grundgesetz ist das Mandat des Bundespräsidenten klar definiert", so Wahl, "von Einmischung in die Tagespolitik ist da nicht die Rede. Eigentlich würde die vielzitierte Würde des Amtes daher eine so einseitige Parteinahme verbieten." Das Problem ist nach Auffasung von Attac nicht mangelnder Druck auf die Arbeitslosen, "sondern das Versagen eines Wirtschaftssystems, bei dem der Profit vor den Menschen kommt sowie eine Regierungskoalition aus unfähigen und unwilligen Politikern".
19 Prozent Mehrwertsteuer und Kürzung von Nahverkehrsmitteln beschlossen
Der Bundesrat beschloss die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007. Dazu stimmte die Länderkammer stimmte am Freitag in Berlin dem vom Bundestag bereits verabschiedeten "Haushaltsbegleitgesetz 2006" der Bundesregierung zu. Damit wird der Mehrwertsteuersatz Anfang kommenden Jahres von 16 auf 19 Prozent angehoben. Gleiches gilt für die Versicherungssteuer. Im Gegenzug wird der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung um zwei Prozentpunkte auf 4,5 Prozent abgesenkt. Die Länderkammer beschloss auch, die Regionalisierungsmittel für den Bahn-Nahverkehr um mindestens 1,8 Milliarden Euro zu kürzen.
Rassismus-Opfer Noël Martin kündigte Freitod an
Vor zehn Jahren ist der farbige Bauarbeiter Noël Martin im brandenburgischen Mahlow von rassistischen Schlägern schwer verletzt worden. Seitdem ist der Brite vom Hals abwärts gelähmt, kann sich fast nicht mehr bewegen und braucht für jeden alltäglichen Schritt eine fremde helfende Hand. Am Freitag kündigte er seinen Freitod an.
EU will zur Energiesicherung auch auf militärische Mittel zurückgreifen
Die europäischen Staats- und Regierungschefs beschlossen bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel die Entwicklung und Durchführung einer Energieaußenpolitik. Hierbei solle gegebenenfalls auch auf militärische Instrumente zurückgegriffen werden. Dies geht aus den "Schlussfolgerungen" der Staats- und Regierungschefs vom 16. Juni 2006 hervor. Darin heißt es, die EU müsse sich fortwährend dem globalen Wettbewerb um den "Zugang zu immer knapper werdenden Energiequellen stellen". Sie fordern daher mit dem Ratsvorsitz, der Kommission und dem Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) die zuständigen EU-Gremien auf, die Arbeiten "zur Entwicklung und Durchführung einer externen Energiepolitik unter Einsatz aller verfügbaren Instrumente einschließlich der GASP und der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) voranzubringen".
Walfang könnte ausgeweitet werden
Anlässlich der diesjährigen Tagung der Internationalen Walfangkommission (IWC) veröffentlichten Tierschützer neues Filmmaterial. Es zeigt, dass Wale offenbar nicht schnell und schmerzlos auf See zu töten sind. Selbst unter besten Wetterbedingungen dauert der Todeskampf der Tiere nach Auffassung der Tierschützer "viel zu lang". Das Filmmaterial wurde vor einem Monat vor der norwegischen Küste von Hamningberg von Ermittlern der WSPA (Welttierschutzgesellschaft) und der EIA (Environmental Investigation Agency) aufgenommen. Es zeigt wie eine Sprengharpune auf einen Zwergwal abgefeuert wird. Trotz bester Wetterbedingungen dauert es zweieinhalb Minuten bis der Wal tot ist. Die Tagung soll darüber beschließen, ob künftig auch Großwale wieder gejagt werden dürfen.
Bibeltreue Eltern erneut wegen Schulpflicht-Verstoßes verurteilt
Bereits zum zweiten Mal ist ein sehr christlich eingestelltes Elternpaar aus Mittelhessen verurteilt worden, weil es seine Kinder aus religiösen Gründen nicht zur Schule schicken will. Das Amtsgericht Alsfeld verhängte am Mittwoch eine Geldstrafe von 1000 Euro gegen das neun Kinder besitzende Paar, blieb damit jedoch deutlich unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Diese hatte nach Angaben des Vorsitzenden Richters sogar eine Freiheitsstrafe verlangt.
Deutschland erkennt Montenegro völkerrechtlich an
Deutschland befördert die Abspaltung der Republik Montenegro von Serbien. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch der völkerrechtlichen Anerkennung der Republik Montenegro sowie der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zugestimmt. "Die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten führen zukünftig Beziehungen mit Montenegro als souveränem, unabhängigem Staat", teilte die Bundesregierung mit. Sie verweist darauf, dass sich die Bevölkerung Montenegros in einem Referendum für die Unabhängigkeit von Serbien entschieden habe. "Die förmliche Anerkennung sowie die Erklärung der Bereitschaft zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen erfolgen durch ein Schreiben des Bundespräsidenten." Die Anerkennung von Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawien war von der deutschen Friedensbewegung in der Vergangenheit heftig kritisiert worden.
Verbraucherschützer loben Discounter Lidl für "faire" Produkte
Mit Zuckerbrot und Peitsche versuchen Verbraucherschützer auf die Geschäftspolitik des Lebensmitteldiscounters Lidl Einfluss zu nehmen. Als "erfreuliche Entwicklung im Fairen Handel" bezeichnete die Verbraucher Initiative die Einführung einer "fair" gehandelten Eigenmarke durch Lidl. Dies sei ein weiterer Schritt dieses Marktsegments heraus aus der Nische, meint der Bundesverband kritischer Verbraucherinnen und Verbraucher in Berlin.
Karlsruhe begrenzt Gerichtsgebühr für Dauerbetreuung alter Menschen
Wer alte Menschen in einer gerichtlich angeordneten Pflegschaft dauerhaft betreut, muss in bestimmten Fällen künftig weit weniger Gebühren als bisher zur Abdeckung der Gerichtskosten zahlen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte in einer am Dienstag veröffentlichten Entscheidung die geltende Berechnung der Gerichtskosten für die Anordnung und Errichtung von Dauerpflegschaften teilweise für verfassungswidrig. Zugleich begrenzten die Karlsruher Richter die bislang allein nach dem Vermögen des Betreuten berechnete Gebührenhöhe drastisch. Die Gebühr dürfe sich dann "nicht unbegrenzt nach dem Vermögen des Betreuten bemessen", wenn sich die Betreuung nur auf die Person und nicht auch auf die Vermögensangelegenheiten des Betreuten beziehe.
Umweltministerium plädiert für besseren Schutz der Meere
Für einen besseren Schutz der Meere hat sich Astrid Klug, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, ausgesprochen. "Der Schutz der komplexen Ökosysteme im Meer und die Nutzung der Meere müssen wieder in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden", sagte Klug auf einer Tagung des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg. Angesichts der immer noch zunehmenden Nutzung der Meere gelte es, zukünftige Meerespolitik so zu entwickeln, dass die Funktionen und die Leistungsfähigkeit des Ökosystems Meer nicht gefährdet werden. "Wir müssen den Schutz der Meere in allen betroffenen Politikbereiche verankern", sagte Klug.
Seehofer für "Grüne Gentechnik" mit Haftungsfonds
Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU) will Forschung und Anwendung der so genannten grünen Gentechnik in Deutschland vorantreiben. "Ich will bei der grünen Gentechnik die Forschung in Deutschland fördern und nicht behindern", sagte Seehofer in dem Nachrichtenmagazin "Focus". Deutschland brauche Forschung und Anwendung dieser Technologie im Freiland. "Ich werde der Koalition dazu eine offensive Haltung vorschlagen. Wir wollen die Weiterentwicklung neuer Technologien unter strikter Beachtung des Schutzes von Mensch und Umwelt", sagte Seehofer. Der Nutzen der grünen Gentechnik müsse der Bevölkerung deutlich gemacht werden. Mit einem Haftungsfonds will der Minister für Akzeptanz in der Bevölkerung sorgen. Auch die FDP fordert eine stärkere Förderung der "Grünen Gentechnik". Sie lehnt den Haftungsfonds ab.
Die Regierung appelliert
Nach Angaben der Bundesregierung könnten im Herst 50.000 Lehrstellen fehlen. Würde nur jeder zehnte ausbildungsfähige Betrieb, der bisher nicht ausbildet, einen Lehrling einstellen, wäre das Problem nach Auffassung von Bundesbildungsministerin Schavan gelöst. Schavan appellierte mit dieser Rechung an die Wirtschaft und informierte über die Angebote der Bundesregierung. "Wir müssen es vor allem kleinen und mittleren Betrieben erleichtern, ja zu einem Lehrling zu sagen", forderte Ministerin Schavan gegenüber der Berliner Zeitung. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) will jetzt 100 Millionen Euro für ein Programm mit dem Titel "Jobstarter" ausgeben. Diese Mittel sollen im Zeitraum 2005 bis 2010 eingesetzt werden, um zahlreiche Ausbildungshemmnisse abzubauen und um neue Plätze zu schaffen.
Tod dreier Häftlinge im Gefangenenlager Guantanamo
Im US-Gefangenenlager Guantanamo sind drei Häftlinge zu Tode gekommen. Sie sollen Suizid begangen haben. In Deutschland ist jetzt parteiübergreifend die Forderung nach Schließung des Lagers laut geworden. Die Opposition forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, bei der US-Regierung erneut auf Schließung des Lagers zu drängen. Die Bundesregierung bekräftigte am Montag ihre kritische Haltung, vertraut in der Sache aber auf Aufklärung des Falls durch die USA.