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"Nicht am Hindukusch und im Kongo"

Friedensratschlag analysiert Motive des geplanten Kongo-Einsatzes

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Der Kasseler Bundesausschuss Friedensratschlag wendet sich in einer Stellungnahme gegen einen Kongo-Einsatz der Bundeswehr. "Die Bundesregierung plant derzeit erstmalig in einem eigenständigen militärischen Kampfeinsatz der Europäischen Union - ohne NATO-Beteiligung - die Führung zu übernehmen", schreiben Peter Strutynski und Lühr Henken vom Friedensratschlag. Die offiziell genannten Ziele des Einsatzes - der Schutz der Wahlkommission und eine Evakuierung von Wahlbeobachtern - seien mit dem Einsatz nicht realisierbar. Die Friedensforscher vermuten ganz andere Motive für den Militäreinsatz: Es gehe um eine "Erprobung der EU-Battle-Groups" und um die "Verfolgung wirtschaftlicher Interessen" in dem rohstoffreichen Land. Jahrzehnte des Bürgerkriegs und "äußere militärische Einmischungen" hätten das Land in ein "Chaos und die Bevölkerung in immer größeres Elend" gestürzt. Dies sei ein klarer Beleg dafür, dass die Probleme des Landes "mit Militär nicht zu lösen sind".


Ab Mitte Juni solle ein "im Wesentlichen aus deutschen und französischen Infanterietruppen bestehender Verband" in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa einen reibungslosen Ablauf der ersten Präsidenten- und Parlamentswahl des Landes nach 45 Jahren gewährleisten. Die Anforderung basiere auf einer Anfrage des für die UN-Blauhelme zuständigen französischen UN-Untergeneralsekretärs Guéhenno von Ende Dezember: Die EU-Truppe solle vor allem "Störer abschrecken".

"Ein Schutz der Wahlkommission mit 250 Mann ist nicht möglich"

Nach grundsätzlicher Zustimmung insbesondere von Frankreich, Deutschland und Großbritannien hat nach Darstellung des Friedensratschlags "zunächst ein heilloses Durcheinander um die Modalitäten des Einsatzes" eingesetzt. Die bisher bekannten Parameter des EU-Militäreinsatzes lassen nach Auffassung von Strutynski und Henken "mittlerweile folgende Schlussfolgerungen zu": "Das vorgegebene Einsatzziel", nach dem ersten Wahlgang die staatlichen Institutionen, insbesondere die Wahlkommission vor dem Druck der Wahlverlierer zu schützen, "lässt sich mit einer 250 Mann starken französischen Infanterietruppe nicht gewährleisten".

Diese könne ein "Aufeinandertreffen der Privatarmeen der vormaligen Bürgerkriegsgegner und jetzigen Präsidenten J. Kabila (10.000-15.000 Mann Eliteeinheiten) und eines der Vizepräsidenten J.-P. Bemba (5.000 bis 6.000 Mann) nicht verhindern". Andere kongolesische bewaffnete Kräfte seien im Einsatzgebiet Kinshasa nicht zu erwarten. Falls es tatsächlich zu umfassenden bewaffneten Auseinandersetzungen nach dem ersten Wahlgang kommen sollte, müssten nach Einschätzung des Friedensratschlags schwer bewaffnete EU-Bodentruppen in größerer Zahl nachgeführt werden und Luftangriffe erfolgen. Da eine Vorplanung dieser Szenarien derzeit nicht in Sicht sei, bleibe dann nur der Abzug. "Wir ziehen daraus den Schluss, dass es sich um einen symbolischen Einsatz handelt", so Strutynski und Henken nach ihrer militärischen Lageanalyse.

"Evakuierung von Wahlbeobachtern durch deutsches Fallschirmjägerbataillon ist überflüssig"

Ein zweites Einsatzziel sei, "wie es offiziell heißt", die Evakuierung von etwa 200 europäischen Wahlbeobachtern, wofür insbesondere ein deutsches Fallschirmjägerbataillon zuständig sein solle, das in Gabun stationiert sei. "Wir wissen, dass solche Maßnahmen effektiver auch von den in den meisten Landesteilen bereits präsenten 20 Infanteriebataillonen der UN-Truppe Monuc übernommen werden können, die mit ihren Helikoptern ohnehin für die Logistik der Wahlen zuständig sind", schreiben die Friedensforscher. "Wir stellen fest: Auch dieses militärische Vorhaben mit deutscher Beteiligung ist überflüssig." Weitere Einsatzoptionen seien offiziell nicht geplant. Somit erweise sich der Einsatz der EU-Kampftruppe "insgesamt als überflüssig".

"Migration aus dem Kongo nach Europa tendiert gegen Null"

Bundesverteidigungsminister Jung habe vor wenigen Tagen eine weitere "Begründung" für den Kongoeinsatz "nachgeschoben": Es ginge darum, künftige Flüchtlingsströme aus dem zentralafrikanischen Land nach Europa und Deutschland zu verhindern. "Wer so argumentiert, bedient nicht nur fremdenfeindliche Ressentiments und rassistische Vorurteile, die nicht nur am rechten Rand der Gesellschaft vorhanden sind", heißt es in der Stellungnahme. Der Verteidigungsminister "lügt auch", so Strutynski und Henken, – "ob wissentlich oder unwissentlich -, weil die Migration aus dem Kongo nach Europa, insbesondere nach Deutschland selbst in den bittersten Jahren des kongolesischen Bürgerkrieges gegen Null tendierte".

Der Friedensratschlag fordert deshalb die Abgeordneten des Bundestages auf, dem Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung an diesem EU-Kampfeinsatz nicht zuzustimmen. Über die Kosten rede "wohlweislich niemand". "Dabei hätten die EU und Deutschland viele Gründe, den Sozialstaat zu verteidigen – nicht am Hindukusch und im Kongo, sondern hier bei uns." Es dränge sich die Frage auf, weshalb trotz knapper Staatsfinanzen Zig-Millionen Euro dafür verschleudert werden sollten.

"Erprobung der EU-Battle-Groups"

Die tatsächlichen Motive für den Militäreinsatz sind nach Einschätzung der Friedensforscher ganz andere: "Die EU sucht ein möglichst anspruchsvolles Einsatzgebiet zur Erprobung ihrer im Aufbau befindlichen Battle-Groups". 13 solcher Elitekampfeinheiten habe die EU beschlossen. Die deutschen Fallschirmjäger aus Lebach gehörten dazu. Die bisherigen "Stabstrockenübungen" sollten sich nun im "multinationalen" Praxistest bewähren.

Damit komme die EU ihrem erklärten Ziel, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch zu einem globalen Akteur zu werden, einen weiteren Schritt näher. "Die Bevölkerungen der EU-Staaten sollen auf diese Weise an die Militarisierung der EU gewöhnt werden", kritisieren Strutynski und Henken.

"Verfolgung wirtschaftlicher Interessen"

Der geplante Militäreinsatz geschehe zudem "nicht zum Selbstzweck". Es gehe "auch um die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen". So sei in der Demokratischen Republik Kongo die französische Consultingfirma Sofreco im Juli letzten Jahres als Übergangsverwalterin der kongolesischen staatlichen Minengesellschaft Gécamines eingesetzt worden, um diese weiter zu privatisieren. Die Demokratischen Republik Kongo sei reich an Diamanten, Kupfer, Kobalt und Gold, aber auch an seltenen Metallen wie Germanium und Coltan (Niob und Tantal). Zudem könnte Uran gefördert werden.

Bis auf den Diamantenabbau darbe allerdings der Rohstoffexport. International tätige Minengesellschaften vor allem aus Südafrika, den USA und Kanada "haben bereits Milliarden investiert oder beabsichtigen es, um endlich die kostbaren Rohstoffe preiswert ausbeuten zu können". Zudem bemühe sich die Firma Siemens, "größter deutscher Investor in der DR Kongo", um einen Milliardenauftrag zum Ausbau von Wasserkraftwerken am Kongo. "Da will man das Feld nicht nur den anderen überlassen."

"Bürgerkrieg und äußere militärische Einmischung"

Nach Darstellung des Friedensratschlages haben "Jahrzehnte des Bürgerkriegs und der äußeren militärischen Einmischung" das Land in ein Chaos und die Bevölkerung in immer größeres Elend gestürzt. "Damit sollte doch hinreichend deutlich geworden sein, dass mit Militär die Probleme des Landes nicht zu lösen sind", schreiben die Autoren. Es sei an der Zeit, einen "grundsätzlich anderen Weg einzuschlagen".

Der Friedensratschlag warnt die Bundesregierung davor, sich im Kongo militärisch zu engagieren und fordert stattdessen mehr Anstrengungen und Mittel für eine effektivere Entwicklungshilfe, eine Initiative zur nachhaltigen Entschuldung des Landes sowie schärfere Kontrollen bei der Ausfuhr von Kleinwaffen.

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