Existenzsicherung
Dem Parlament lag zu der Debatte ein Antrag der Links-Fraktion vor, wonach alle Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf einen Stundenlohn von mindestens acht Euro brutto haben sollen. In einem weiteren Antrag plädierten die Grünen für "regional und branchenspezifisch differenzierte Mindestlohnregelungen".
Der Vorsitzende der Links-Fraktion, Oskar Lafontaine, setzte sich in seinem Redebeitrag mit den verschiedenen im Bundestag vertretenen Vorstellungen auseinander. Die FDP sei zwar gegen Mindestlöhne, "allerdings nur für diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die geringe Löhne erhalten". Denn die FDP sei "für staatlich festgelegte Löhne und staatlich festgesetzte Preise, wenn es um Anwälte, Architekten, Ärzte" und andere gehe. "Mit der Forderung nach einem Honorar von 50 Euro pro Stunde für diesen Bereich sind Sie für gesetzliche Löhne. Aber wenn es um geringe Löhne geht, versagt auf einmal Ihr Denkvermögen. Darin sehen Sie auf einmal eine große Gefährdung für den Arbeitsplatz", so Lafontaine. An dieser Stelle entfuhr es der SPD-Politikerin Andrea Nahles: "Da hat er Recht". Die FDP könne, so Lafontaine, niemandem erklären, wieso Sie bei Berufsgruppen, die viel verdienen, für Mindestlöhne sei, aber bei Berufsgruppen, die wenig verdienten, keine Mindestlöhne vorsehen wolle. "Das ist niemandem in Deutschland zu erklären."
An die Adresse der großen Koalition gerichtet sagte Lafontaine, die Bruttolöhne in Deutschland würden sinken. Lohndumping werde ohne Einschränkung fortgesetzt. Menschen würden arbeitslos, weil sie durch andere ersetzt würden, die bereit seien, für viel geringere Löhne zu arbeiten. "Diesen Prozess wollen wir stoppen", so Lafontaine. "Wir haben nicht mehr die Zeit, noch lange zu quatschen. Wir müssen entscheiden. Deshalb haben wir diesen Antrag auf die Tagesordnung gesetzt."
Tarifverträge hält Lafontaine als Absicherung nicht für ausreichend, weil es in Deutschland ganze Bereiche gebe, "wo die Tarifverträge überhaupt nicht mehr greifen und die Menschen gar keinen tarifvertraglichen Schutz mehr haben". Deshalb brauche man Mindestlöhne.
Die Argumente der Grünen für differenzierte Mindestlohnregelungen hält Lafontaine nicht für gänzlich falsch. Sie krankten "aber daran, dass differenzierte Mindestlohnregelungen letztendlich zu einem Lohn von 3,40 oder 3,90 Euro führen würden. Wir lehnen dies schlicht ab. 3,40 oder 3,90 Euro stellen in Deutschland keine Grundlage dafür dar, anständig leben zu können. Hier unterscheiden wir uns von der Position der Grünen."
Bezüglich der Höhe des vorgeschlagenen Mindestlohns von 8 Euro verwies Lafontaine auf Frankreich. Dort liege der Mindestlohn bei 8,13 Euro. "Was andere europäische Länder können, können wir auch in Deutschland", hofft der Fraktionschef der Linkspartei.
Kolb: So üppig ist das Honorar von Architekten und Rechtsanwälten nicht
Mit einer Kurzintervention reagierte der FDP-Abgeordnete Heinrich Kolb auf den Vorwurf, die FDP sei für staatlich festgelegte Honorare für Anwälte, Architekten und Ärzte. Kolb sagte, bei der Gebühren- und Honorarordnung handele es sich um eine Preisregelung. Die Linken hätten ein Problem damit, zwischen Umsatz und Gewinn zu unterscheiden. "Wir reden hier über den Umsatz beispielsweise einer Rechtsanwaltspraxis oder eines Architekturbüros." Von dem, was ein Rechtsanwalt erlöse, müsse er noch die Miete für die Kanzlei und die Löhne und Gehälter der Rechtsanwalts- und Notargehilfin zahlen. Der Kollege Gysi kenne das. "Was am Schluss verbleibt das hängt von vielen Faktoren ab, auch davon, wie viele Fälle ein Rechtsanwalt hat". Das sei ein gewisser Unterschied, den man zur Kenntnis nehmen solle. "So üppig" seien die Honorare für Architekten oder Rechtsanwälte "jedenfalls nicht", sagte Kolb ohne Zahlen zu nennen.
Bezüglich der Höhe des Mindestlohns von 8 Euro, zweifelte Kolb an der Höhe des Mindestlohns in Frankreich. "Das Problem ist nur, dass die Franzosen in der Regel einen Mindestlohn festlegen, diesen ins Schaufenster legen, ihn dann jedoch mit sehr vielen Ausnahmen aushöhlen, sodass er in der Praxis nicht greift. Wenn wir in Deutschland flächendeckend einen Mindestlohn von 8 Euro hätten, würde das einen Kahlschlag in vielen Bereichen hervorrufen", so Kolb. "Es würden wahrscheinlich Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Bereichen entfallen, in denen die Löhne heute deutlich unter diesem Mindestlohn liegen. Deswegen kann man Ihrem Vorschlag nicht mit gutem Gewissen und Verstand folgen."
Lafontaine: Honorare sind Stundensätze
Lafontaine hielt der FDP in seiner Reaktion erneut vor, dass sie bei Ärzten, Architekten oder Rechtsanwälten für staatlich festgesetzte Preise sei. Das sei für die FDP "kein Ruhmesblatt, weil Sie ja in jedweder staatlicher Festlegung von Preisen ein Teufelswerkzeug sehen". Es gehe bei Architekten oder Rechtsanwälten um Gebühren und Honorare. "Die Gebühren spiegeln wenn man so will die Preissteuerung wider. Honorare sind die Stundensätze. Bei Selbstständigen mit höheren Einkommen - da kommen Sie nicht raus - sind Sie für staatlich festgesetzte ordentliche Mindestlöhne, während Sie sie den Geringverdienern verwehren wollen."
Niebel: "Die angemessene Lohnhöhe für eine Tätigkeit bildet sich auf dem Markt"
Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Dirk Niebel, sagte in seinem Redebeitrag, die Linken seien etwas schneller als der Bundesarbeitsminister. Müntefering wolle erst in der zweiten Jahreshälfte einen Vorschlag für gesetzlich geregelte Mindestlöhne vorlegen. Weder zur Ausgestaltung noch zur Kombination mit einem Kombilohnmodell habe er sich bisher konkret geäußert. Die FDP-Bundestagsfraktion lehne einen vom Staat festgeschriebenen Mindestlohn ab. "Wer Mindestlöhne festlegt, wird auch bald die Preise für Brot und Butter festschreiben." Das Argument, dass Mindestlöhne in der EU weit verbreitet seien, ziehe nicht. "Sie betragen oft nur ein Drittel oder die Hälfte des Durchschnittsverdienstes." Außerdem sei in vielen Ländern nur ein sehr geringer Teil der Arbeitnehmer tatsächlich zum Mindestlohn beschäftigt.
Mit dem Arbeitslosengeld II habe man faktisch einen Mindestlohn. Unter diesem Anspruch werde kaum jemand eine legale Arbeit aufnehmen. "Damit sind wir wieder beim Lohnabstandsgebot. Ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn müsste das soziokulturelle Existenzminimum des ALG II deutlich übersteigen. Er wird verhältnismäßig hoch sein müssen, wenn er als Anreiz zur Arbeitsaufnahme dienen soll. Jemand, der arbeitet, muss mehr in der Tasche haben als jemand, der nicht arbeitet."
Mindestlöhne seien ein "Konjunkturprogramm für Schwarzarbeit". Wenn der Mindestlohn unter "marktgerechten Löhnen" liege, sei er wirkungslos. Ein zu hoher Mindestlohn vernichte Arbeitsplätze, weil die Produktivität nicht abgebildet werde. Das nehme vor allem geringqualifizierten Langzeitarbeitslosen alle Chancen, jemals wieder Beschäftigung zu finden.
"Die angemessene Lohnhöhe für eine Tätigkeit bildet sich auf dem Markt", so Niebel, ohne auf die gesetzlichen Honorare zum Beispiel für Rechtsanwälte einzugehen. Gesetzlich festgelegte Mindestlöhne seien ein Anschlag auf die Tarifautonomie. Löhne würden hierzulande von den Tarifparteien ausgehandelt. "Dass die Abschlüsse in der Vergangenheit zu hoch waren und wir jetzt mit der hohen Sockelarbeitslosigkeit die Folgen ausbaden müssen, steht auf einem anderen Blatt", so Niebel.
Müntefering sage, dass jemand, der seinen Job richtig mache, so viel verdienen müsse, dass er seine Familie davon ernähren könne. Das ist, so Niebel, "natürlich wünschenswert". Aber um an dieses Ziel auch nur annähernd "heran zu rücken", müsste die Regierung erst mal Steuern und die Abgaben zur Sozialversicherung senken, damit Arbeit billiger werde und dem Arbeitnehmer mehr in der Tasche bleibe. "Natürlich sind Stundenlöhne von 2,50 bis 4 Euro nicht existenzsichernd", so Niebel. Wenn das selbst verdiente Einkommen zur Existenzsicherung nicht ausreiche, müsse der Arbeitnehmer "Zuschüsse bekommen". Das sei das Konzept der negativen Einkommensteuer und des "FDP-Bürgergelds".
Wenn die Regierung den Mindestlohn hoch ansetze, kümmere sie das nicht weiter, "denn die Unternehmen müssen ihn ja zahlen". Gesetzliche Mindestlöhne müssten gegebenenfalls regionsabhängig festgelegt und kontrolliert werden, forderte Niebel. Abgesehen vom bürokratischen Aufwand würde sich der Staat damit überfordern. Statt gesetzlich festgelegter Mindestlöhne brauche man "ein flexibleres Tarifrecht, damit sich die Löhne wieder an der Produktivität orientieren können", so Niebel. "Wir brauchen Öffnungsklauseln für maßgeschneiderte Lösungen vor Ort."