REACH
Die Europäische Kommission begrüßte die politische Einigung des Rates. REACH gewährleiste, dass die "Informationslücken" in Bezug auf die gefährlichen Eigenschaften von rund 30.000 Chemikalien geschlossen würden.
Für EU-Industrie-Kommissar Günter Verheugen endet mit der Einigung des Rates "eine lange Zeit der Ungewissheit für die Industrie". Es sei geschafft worden, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu bewahren. Der für die Umweltpolitik zuständige Kommissar, Stavros Dimas, verkündete, dass durch REACH chemikalienbedingte Erkrankungen zurückgehen würden und Verbraucher und Anwender anhand stichhaltiger Informationen entscheiden könnten, welchen Stoffen sie sich aussetzen wollen und welchen nicht. "Außerdem wird davon ein Innovationsschub ausgehen, da die Industrie einen starken Anreiz erhält, gefährliche Chemikalien durch sicherere zu ersetzen. Die heutige Einigung bietet unseren Bürgern die Chance auf ein gesunderes Leben und eine sicherere Umwelt."
BMU: "Guter und ausgewogener Kompromiss"
Auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat die Einigung im Ministerrat als "guten und ausgewogenen Kompromiss" zwischen Umwelt- und Verbraucherschutz einerseits und der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemieindustrie andererseits bezeichnet. Der Kompromiss behalte die Kernelemente von REACH bei. Die Vorschriften zur systematischen Testung auf Langfristgefahren seien nach Inhalt und Struktur im wesentlichen ebenso unverändert geblieben wie die Vorschriften zum Informationsaustausch in der Lieferkette. Die Beweislast bleibe bei der Industrie. Die Verantwortung für die Stoffprüfung und ein entsprechendes Risikomanagement werde "grundsätzlich" auf die Industrie verlagert. Nach Darstellung Gabriels bekommen die Behörden "den Kopf frei für die intensive Prüfung von prioritären Stoffen. Besonders gefährliche Stoffe werden einem Zulassungssystem unterstellt. Verbote und Beschränkungen werden erleichtert."
Erstmals würden auch Stoffe in Erzeugnissen erfasst, die bestimmungsgemäß freigesetzt würden. Diese seien in denselben Fristen wie andere Stoffe zu registrieren.
Nach Angaben des Bundesumweltministeriums werden auch doppelte Tierversuche vermieden. Außerdem: Der Datensatz, der im Niedertonnagenbereich für alle Neustoffe und Verbraucherstoffe mit besonderem Gefahrenverdacht vorzulegen ist, werde um drei weitere Prüfnachweise ergänzt, nämlich um die akute Toxizität, den Grünalgentest und die biologische Abbaubarkeit.
Besonders besorgniserregende Stoffe würden einem einzelfallorientierten Zulassungsverfahren unterstellt, wobei auch bei adäquat kontrollierten Stoffen eine Prüfung erforderlich sei, ob es Ersatzstoffe gebe. Damit habe der Rat in diesem Punkt anspruchsvollere Beschlüsse gefasst als der ursprüngliche Kommissionsvorschlag vorsah. Fraglich ist natürlich, wie "besonders besorgniserregende" Chemikalien erkannt werden sollen, wenn eine gründliche Überprüfung aller Chemikalien unterbleibt.
Umweltverbände: Kein Ersatz durch sichere Alternativen
"Enttäuscht" von dem Ratsbeschluss zeigten sich hingegen der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Greenpeace, die Verbraucher Initiative und die Frauenorganisation WECF (Women in Europe für a Common Future) in einer gemeinsamen Erklärung. Der Rat habe den Beschluss des EU-Parlaments gekippt, riskante Stoffe durch sichere Alternativen ersetzen zu müssen. Damit sei die Chance verspielt worden, die Bürger besser vor gefährlichen Chemikalien zu schützen.
Zwar müssten nach dem Ratsbeschluss Unternehmen künftig vor der Vermarktung gefährlicher Chemikalien prüfen, ob Alternativen vorhanden seien. Wenn die Hersteller jedoch darlegten, ihre Chemikalien "angemessen kontrollieren" zu können, dürften gefährliche Chemikalien trotz möglicher Alternativen weiterhin vermarktet werden. Damit verfehle die REACH-Verordnung eines ihrer wichtigsten Ziele: die Entwicklung sicherer und innovativer Produkte zu fördern.
Wie bereits das Parlament Mitte November habe sich der Ministerrat auch mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass Unternehmen weniger Informationen über ihre Stoffe vorlegen müssten als ursprünglich vorgesehen. Mehr als 100.000 Chemikalien würden in Europa zur Zeit eingesetzt, ohne dass ausreichende Informationen über ihr Risiko vorlägen. Nach dem heutigen Votum gäbe es für 90 Prozent der Stoffe auch in Zukunft keine ausreichenden Informationen über ihre Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen.
Deutsche Bundesregierung soll für Verwässerung verantwortlich sein
Besonders die Bundesregierung hätte sich im Vorfeld der Verhandlungen für weitere Abschwächungen des REACH-Entwurfs stark gemacht. Als Begründung sei immer wieder auf die hohe Belastung der Chemieindustrie hingewiesen worden. Dabei koste REACH die Unternehmen umgerechnet nicht mehr als 0,05 Prozent ihres Jahresumsatzes. Nach eigenen Angaben verzeichnete die deutsche Chemieindustrie 2005 das stärkste Wachstum seit zehn Jahren, mit Umsatzsteigerungen von bis zu sieben Prozent.
Die Verbände forderten das EU-Parlament auf, sich im kommenden Jahr bei der zweiten Lesung von REACH für das Substitutionsprinzip stark zu machen. Der Ersatz besonders gefährlicher Chemikalien sei der einzige Weg, die steigende Belastung von Mensch und Umwelt mit Chemikalien in den Griff zu bekommen und die Gesundheit der Bürger besser zu schützen.
Nächste Schritte
Im Herbst 2006 wird im Europäischen Parlament und im Rat wohl endgültig über REACH entschieden werden. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Verordnung im Frühjahr 2007 in Kraft tritt. Danach dürfte es circa ein Jahr dauern, bis die REACH-Agentur ihre Arbeit aufnehmen kann. Es ist also damit zu rechnen, dass die in REACH enthaltenen Vorschriften ab 2008 praktische Geltung erlangen.