DIE Internet-Zeitung
Exklusiv von Norbert Walter

"Es hat sich in der Schröder-Zeit in Deutschland etwas bewegt"

Am

ngo-online hat Personen und Institutionen mit den verschiedensten politischen Auffassungen gebeten, sich zu den "Reformen" der rot-grünen Bundesregierung zu äußern. Im folgenden dokumentieren wir einen Gastbeitrag für ngo-online von Prof. Dr. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, mit dem Titel "Hat sich Deutschland bewegt? Wirtschaftspolitische Bilanz der rot-grünen Regierungszeit".


Wurde nun in Deutschland reformiert oder nicht? In seiner Rede vor dem Bundestag legte Bundeskanzler Schröder seine Meinung dar: "Die von uns begonnenen Reformen gilt es, entschlossen fortzuführen, damit wir den sich immer rascher wandelnden Anforderungen im Innern und nach außen gerecht werden." Für die jetzige Regierung hat sich also etwas bewegt, und sie will diese Bewegung auch weiter mitgestalten. Im gleichen Moment könnte bei einem Leser der deutschen Zeitungslandschaft der Eindruck entstehen, dass während der 7 Jahre Rot-Grün Stillstand herrschte. Wo sich die Aussagen wieder treffen, ist in der Notwendigkeit weiterer Reformen. Die Bevölkerung dagegen scheint die Reformen schon gespürt zu haben und schaut mit einem eher mulmigen Gefühl Richtung Zukunft, in Erwartung weiterer Einschnitte.

Was sind nun die Fakten nüchtern betrachtet? Auf der Website der Bundesregierung findet der interessierte Leser die "Meilensteine der Reformpolitik". Obwohl einige Punkte weder etwas mit Meilensteinen noch Reformpolitik zu tun haben (Die Beibehaltung der Buchpreisbindung ist weder das Eine noch das Andere), finden sich hier einige Maßnahmen, die einer näheren Betrachtung wert sind.

Aus Bankensicht waren insbesondere die Finanzmarktinitiativen zielführend und mutig, aber auch in den Bereichen der Energiewirtschaft, des Verbraucherschutzes, der Landwirtschaft und der Handwerksordnung sind Reformen in Gang gekommen. In diesem Artikel beschränke ich mich auf die vier großen Felder Steuerpolitik, Rentenversicherung, Gesundheitsreform und Arbeitsmarkt, die in Deutschland die Volksseele tief bewegten.

Steuerpolitik

Die Steuersenkungen der rot-grünen Regierung sind eine Tatsache. Der Eingangs- wie auch der Höchststeuersatz wurden um mehr als 10 Prozentpunkte gesenkt (von 53 auf 42% und 25,9 auf 15% jeweils zzgl. Solidaritätszuschlag). Auch der Körperschaftsteuersatz sank von 45 auf 25%. Die Steuerlast im Verhältnis des BIP liegt mit rund 21 % im historischen Vergleich niedrig. Diese Zahlen sind ein Beleg für Fortschritt an der Steuerfront. Auch die Ökosteuer muss hierbei als ein Erfolg angesehen werden, da sich dadurch das Steuersystem weiter in Richtung einer leistungsfreundlicheren Konsumbesteuerung entwickelt, eine wünschenswerte Steuerungsfunktion in der Energiepolitik ermöglicht und auch der Faktor Arbeit entlastet wird. Leider blieb die Regierung im Steuerbereich auf halbem Weg stecken. Die Gegenfinanzierung mit Streichung von Subventionen und Steuervergünstigungen wurden versäumt oder - z. T. durch die Opposition - blockiert. Darüber hinaus hat das Steuerrecht nichts von seiner albtraumhaften Kompliziertheit verloren. Zahlreiche Ausnahmebestände und Steuersparmodelle wurden beibehalten und trugen nebst dem konjunkturellen Umfeld dazu bei, dass die Defizite weiter wuchsen.

Rentenversicherung

Es ist der Verdienst der jetzigen Regierung, das Volk aufgerüttelt zu haben aus der politisch propagierten Illusion "die Renten sind sicher". Bundesminister Riester öffnete die Tür für die private und betriebliche kapitalgedeckte Zusatzversorgung. Leider hat die deutsche Bevölkerung noch nicht in der Breite die Schlussfolgerungen aus der demographischen Entwicklung gezogen. Darüber hinaus leiden auch die Möglichkeiten der Privatvorsorge an der typischen deutschen Krankheit: Alles musste bis ins Detail vorgeschrieben werden. So wurden die Vorsorgelösungen und die dazugehörigen Förderungsmöglichkeiten zu kompliziert und zu rigide. Erst Nachbesserungen erhöhten die Akzeptanz der Riesterrente. Eine erfreuliche Entwicklung ist auch, dass das faktische Renteneintrittsalter wieder gestiegen ist. Durch die immer stärkere Alterung ist es jedoch unabdingbar, dass auch das gesetzliche Renteneintrittsalter erhöht wird. Dem Renten-Nachhaltigkeitsgesetz sowie dem Alterseinkünftegesetz müssen daher weitere Schritte zur Gesundung der Rentenkassen folgen.

Gesundheitsreform

Bei der Gesundheitsreform gab es Elemente, die in die richtige Richtung führen. Die Einführung der Praxisgebühr und die erhöhte Eigenbeteiligung hilft, die Kosten im Zaum zu halten. Darüber hinaus machen sie dem Bürger klar, dass Gesundheit nicht kostenlos ist. Die Erfolge dieser Maßnahmen kann man an den gesundenden Finanzen der Krankenkassen sehen. Deshalb dürfen diese Schritte in die richtige Richtung nicht zerredet werden. Leider wurde aber die Seite der Leistungserbringer im Gesundheitswesen ziemlich geschont. Es herrscht immer noch eine verkappte Planwirtschaft. Die organisierten Interessen der Kassenärzte, Krankenkassen, der Pharmaindustrie aber auch der öffentlichen Krankenhäuser konnten sich bis jetzt den meisten Reformen widersetzen und leben nach wie vor glücklich in ihrem zunftähnlichen Verbund. Der Gesundheitssektor sollte liberalisiert werden, um den Patienten eine größere Wahl zu gewähren und auch einen gewissen Druck auf die Leistungserbringer auszuüben, ihre Leistungen kostengünstiger anzubieten.

Arbeitsmarkt

Die umstrittenste und radikalste Reform war Hartz IV. Die Regierung bezog in der Öffentlichkeit Prügel und wurde als ungerecht beschimpft. Dabei waren die einzelnen Reformen, z.B. die Zusammenlegung der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe zu dem Arbeitslosengeld II, mehr als lobenswert. Die Sozialhilfeempfänger, die zur Arbeit in der Lage sind, wurden dadurch angeregt, sich in die Arbeitswelt zu integrieren. Die Arbeitslosigkeit ist u.a. dadurch statistisch stark angestiegen, aber die Statistiken zeigen nun zum ersten Mal die wahren Ausmaße der Misere. Doch bewahrheitet sich hier wieder einmal die Regel, dass der Überbringer der schlechten Nachrichten geprügelt wird. Die Pflicht, einen Job anzunehmen, ist ebenfalls ein sehr wichtiger Bestandteil der Reform. Das Konzept "Fördern und Fordern" muss als Grundidee tief verankert werden. Erst das Zusammenspiel des Förderns und des Forderns ermöglicht, den brachliegenden Teil des Erwerbspotenzials wieder in den Wirtschaftskreislauf einzubringen. Die Verkrustung des Arbeitsmarktes selbst wurde nicht angegangen. Der Ausdruck der deutschen Gründlichkeit findet immer noch seinen Niederschlag in der starren Tarifpolitik und dem rigiden Kündigungsschutz. Hier wurde eine große Möglichkeit verpasst, den deutschen Arbeitsmarkt von seinen Fesseln zu befreien und ihm die Möglichkeit zu geben, zu Stärke zurückzufinden.

Fazit

Es hat sich in der Schröder-Zeit in Deutschland etwas bewegt. Doch es war nicht der geradlinige Marsch eines zielstrebigen Menschen, sondern mehr ein Schwanken in die richtige Richtung. Oftmals blieben die Reformen auf halbem Weg stecken, und es gibt immer noch viele heilige Kühe, die ungeschlachtet blieben. Handwerksfehler und das Hüh und Hott der Politik trugen auch nicht gerade zu einem Bild der Geschlossenheit und Berechenbarkeit bei. Aber der eingeschlagene Weg ist richtig. Es gilt ihn mit größerer Konsequenz fortzusetzen.

Von Norbert Walter

In sieben Jahren hat die Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder Deutschland stark verändert. Unter dem Titel "Meilensteine der Reformpolitik" gibt die Bundesregierung eine Übersicht "über alle großen Vorhaben der Bundesregierung". Ngo-online hat Personen und Institutionen mit den verschiedensten politischen Auffassungen gebeten, sich zu den "Reformen" der vergangenen sieben Jahre zu äußern. Wolf von Fabeck vom Solarenergie-Förderverein Deutschland kommentierte am 10. August in einem ersten Gastbeitrag die rot-grüne Energiepolitik. Johannes Plotzki von der Informationsstelle Militarisierung kommentierte am 6. September die Außen- und Verteidigungspolitik der Bundesregierung. Prof. Dr. Bernd Senf von der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin kommentierte am 16. August die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Der Entwicklungsingenieur Darwin Dante kommentierte am 15. September die rot-grüne Wirtschaftspolitik. Der "Bundesverband der Deutschen Industrie" und die "Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände" lehnten es ab, sich zur rot-grünen Wirtschaftspolitik zu äußern.