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"Unechte Vertrauensfrage"

Verfassungsgericht verhandelt über Klagen gegen vorgezogene Neuwahlen

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Mit einer rund sechsstündigen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfasungsgericht ist am Dienstag der Streit über die Rechtmäßigkeit der vorgezogenen Bundestagswahl in die entscheidende Phase getreten. In dem Organstreitverfahren muss der Zweite Senat unter der Leitung von Gerichtspräsident Winfried Hassemer insbesondere klären, ob die am 1. Juli von Schröder gestellte Vertrauensfrage, die er wunschgemäß verlor, mit Artikel 68 des Grundgesetzes vereinbar war. Die Bundestagsabgeordneten Jelena Hoffmann und Werner Schulz rechtfertigten ihre Klagen in Karlsruhe mit dem Einwand, Bundeskanzler Gerhard Schröder habe stets über eine ausreichende Parlamentsmehrheit verfügt. Sowohl Schulz als auch Hoffmann werfen Schröder vor, er habe mit einer "unechten" Vertrauensfrage ohne plausible Begründung Neuwahlen erzwingen wollen.


Formal richten sich ihre Klagen gegen Bundespräsident Horst Köhler, dessen Anordnung, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen, die beiden Abgeordneten als verfassungswidrig bewerten.

Hoffmann betonte, die rot-grüne Koalition "stand und steht fest hinter dem Kanzler wie eine deutsche Eiche". Es gebe keine Beweise für die Vermutung Schröders, er verfüge nicht mehr über das "stetige Vertrauen" der Parlamentsmehrheit.

Schulz sprach von einer "haltlosen Prognose" und einem "reinen Verdacht" des Kanzlers. Die Kritik an Schröders Reformkurs innerhalb der rot-grünen Koalition sei lediglich Ausdruck einer "lebendigen Demokratie". "Es gab eine parlamentarische Mehrheit, es gibt eine parlamentarische Mehrheit und sie ist auch für die Zukunft gegeben", sagte der Grünen-Abgeordnete.

Schon Kohl scheiterte absichtlich an einer Vertrauensfrage

Über Neuwahlen musste das Verfassungsgericht bereits 1983 entscheiden, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl ebenfalls absichtlich eine Vertrauensfrage verloren hatte. Das Bundesverfassungsgericht billigte damals vorgezogene Wahlen und legte zugleich die Voraussetzungen in einem Präzedenz-Urteil fest.

Hassemer deutete an, dass die Richter die frühere Entscheidung als zentrale Grundlage für das aktuelle Verfahren werten. Mit Blick auf die Kompetenzen des Gerichts fügte er hinzu, es sei eine "wichtige Frage", wie weit das Verfassungsgericht "in fremde Einschätzungsspielräume" eindringen dürfe. Schön häufiger ist das Bundesverfassungsgericht unter Verweis auf andere Staatsorgane einer eigenen Entscheidung auf Basis des Grundgesetzes aus dem Weg gegangen, sagen Kritiker.

Für die Bundesregierung traten vor Gericht Innenminister Otto Schily und der Staatsrechtler Bernhard Schlink auf. Köhler ließ sich von seinem Präsidialamtschef Michael Jansen und dem Verfassungsrechtler Joachim Wieland vertreten. Jansen sagte, Köhler habe den Antrag des Kanzlers "ergebnisoffen" geprüft und in seine Entscheidung alle Hinweise einbezogen. Er hätte den Bundestag nicht aufgelöst, wenn damit eine "Prämie auf den legalen Machtbesitz", also Vorteile für den Kanzler bei einer vorgezogenen Wahl, verbunden gewesen wäre, sagte er.

Schily verwies darauf, dass das Verfahren zur Parlamentsauflösung von Bundestag, Bundeskanzler und Bundespräsident gebilligt worden sei. Auch sei die aktuelle politische Lage mit der von 1983 vergleichbar. Bei Kohl sei die notwendige Unterstützung nicht sicher gewährleistet gewesen, und dies treffe nach den verlorenen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen auch auf Schröder zu.

In der Verhandlung wurden auch die möglichen Auswirkungen einer Entscheidung für oder gegen Neuwahlen erörtert. Dabei warnten die Anwälte der Kläger vor "verheerenden verfassungsrechtlichen Folgen". Weise das Gericht die Klagen zurück, würde die Frage von Neuwahlen künftig weitgehend allein vom Kanzler entschieden. Schulz warnte in seinem Schlusswort vor einem "grenzenlosen Parlamentsauflösungsrecht" für den Kanzler.

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