"Denkt man also über einen Einsatz deutscher Soldaten in 10 bis 15 Jahren im Nahen Osten, aber auch in jeder anderen Krisenregion der Welt nach, wird man den Soldaten die Frage beantworten müssen, wie sie vor Angriffen mit Raketen wirksam geschützt werden", argumentierte Leonhard. Mit MEADS könnten auch Flughäfen, Häfen oder andere sensible Projekte wirkungsvoll geschützt werden.
Hinter MEADS verbirgt sich die Entwicklung einer bodengestützten Flugabwehrrakete, die laut Projektangaben neben der Bekämpfung von Hubschraubern, Flugzeugen und Marschflugkörpern auch gegen taktische ballistische Raketen mit einer Reichweite von 1000 Kilometern eingesetzt werden kann. Die Abkürzung steht für "Medium Extended Air Defence System". MEADS soll in den USA und in Deutschland das Luftverteidigungssystem Patriot sowie das Nike Hercules System in Italien ersetzen.
EADS: "Hit-to-Kill"
MEADS soll auch mit Transportflugzeugen in Kriegsgebiete geflogen werden können und dort "über eine bisher nicht vorhandene taktische Beweglichkeit" verfügen. "MEADS integriert den erprobten 'Direkttreffer (Hit-to-Kill)'-Flugkörper PAC-3 in ein System, bestehend aus Überwachungs- und Feuerleitsensoren, Gefechtsführungs-/Kommunikationszentren und Startgeräten mit hoher Feuerkraft", schrieb der zu DaimlerChrysler gehörende Rüstungskonzern EADS am 14. August 2003 in einer Pressemitteilung. "Das Waffensystem vereint Überlegenheit auf dem Gefechtsfeld mit beispielloser Flexibilität und kann dadurch in der Rolle der Heimatverteidigung eingesetzt werden, als auch den Schutz von Manöverkräften vor Angriffen von taktischen ballistischen Flugkörpern, Marschflugkörpern, Drohnen (UAVs) und Flugzeugen gewährleisten."
"Die Lektionen, die man in bezug auf Luftverteidigung aus dem vor kurzem geführten Irak-Krieg gelernt hat", so heißt es bei EADS weiter, "bestätigen einmal mehr die MEADS-Systemforderungen, die entscheidende Verbesserungen an Gefechtsführung (BMC4I), strategische und taktische Mobilität, 360-Grad-Abdeckung, Lagekenntnis des Bedieners und Zielbestimmung, -unterscheidung und -identifizierung (CDI) fordern."
Nach Ansicht der SPD-Politikerin Leonhard eröffnet MEADS die Chance, "an einem einzigartigen Aufklärungsverbund der Amerikaner beteiligt zu werden". Für die deutsche Industrie gehe es außerdem um High-Tech-Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung und um den Zugang zu amerikanischem Know-how. Gerade dieser Wissenstransfer mache das Projekt für deutsche Firmen so attraktiv, hob Leonhard hervor. Auch für den SPD-Verteidigungsexperten Hans-Peter Bartels stellt MEADS "das Maximum dessen dar, was den deutschen und verbündeten Truppen in Einsätze mitgegeben werden kann".
"Weiterer Schritt der Militarisierung der Außenpolitik"
Die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG-VK) und die Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) fordern mit Nachdruck, die Zustimmung zu MEADS im Haushaltsausschuss zu verweigern. "Die Befürwortung von MEADS würde einen weiteren Schritt der Militarisierung der Außenpolitik darstellen. Mit MEADS werden mehrere Milliarden Euro an Steuergeldern verschwendet, die wiederum im Bereich der Sozial- und Bildungspolitik oder der Zivilen Konfliktbearbeitung fehlen werden", meint Joachim Thommes von der DFG-VK.
Alle Sparappelle der Bundesregierung im Sozialbereich würden damit Lügen gestraft. Neben den jetzt zu beschließenden 847 Millionen Euro Entwicklungskosten stünden den deutschen Steuerzahlern nach Angaben des Bundesrechnungshofes weitere sechs Milliarden Euro Beschaffungskosten ins Haus", sagte Thommes.
"Handlanger der Rüstungsindustrie"
Weitere immense Kosten erwarteten Experten für die Bedienung und Wartung. "Im Falle der endgültigen Zustimmung zu MEADS machen sich Bündnis 90/Die Grünen zu Handlangern der Rüstungsindustrie, insbesondere des Rüstungsriesen DaimlerChrysler-EADS. MEADS ist ein aktiver Beitrag zur Kriegspolitik und steht in eklatantem Widerspruch zu den Vereinbarungen des Rot-Grünen Koalitionsvertrags", so Jürgen Grässlin von der DFG-VK. Grässling ist zugleich "Kritischer Aktionär" der DaimlerChrysler AG. Er resümiert: "Die Grünen verabschieden sich bei Zustimmung zu MEADS vollends von ihren friedenspolitischen Wurzeln."
Laut den beiden mitgliederstärksten Friedensorganisationen in der Bundesrepublik sei MEADS völlig ungeeignet für die genannten Zwecke. Innerhalb eines Radius von 1000 Kilometern rund um Deutschland seien keinerlei Raketenangriffe zu erwarten. "Gegen den Überraschungseffekt von terroristischen Angriffen sind Raketenabwehrsysteme grundsätzlich unbrauchbar. Und auch für Auslandseinsätze von Bundeswehrsoldaten - die eher Angriffen mit Kleinfeuerwaffen und Artillerie ausgesetzt sind - taugt MEADS nicht viel", meint Xanthe Hall von den Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges.
Klausel zum Nachschießen von Geld
Für Entwicklung des MEADS-Systems haben Deutschland, Italien und die USA eine Kostenobergrenze von drei Milliarden Euro vereinbart. Davon soll Deutschland rund 850 Millionen Euro aufbringen. Doch das Vorhaben könnte sehr viel teurer werden. Laut Bundesrechnungshof haben die Rüstungsfirmen das Recht, ihre Arbeit an dem Projekt einzustellen, sobald das bereitgestellte Geld aufgebraucht ist, wie "Der Spiegel" schreibt.
Nahezu zwangsläufig müssten die Regierungen daher im Zweifelsfall Geld nachschießen, damit das Projekt nicht unvollendet liegen bleibe. Konventionalstrafen seien nicht vorgesehen. Lediglich der Gewinnzuschlag könne auf 3,75 Prozent des Entwicklungspreises gekürzt werden. Der Rechnungshof warne angesichts dieses Modells vor "unkalkulierbaren finanziellen Risiken".
Parteispenden vom Rüstungskonzern
Nach Angaben in den Rechenschaftsberichten der Parteien für das Jahr 2002 spendete der Rüstungskonzern EADS 26.000 Euro an die SPD und 18.000 Euro an die CDU. EADS-Großaktionär DaimlerChrysler spendete gut 211.000 Euro an die SPD, 150.000 Euro an die CDU, gut 63.000 Euro an die CSU, gut 60.000 Euro an die FDP und 15.000 Euro an die Grünen. Insgesamt floß 2002 also rund eine halbe Million Euro an die Parteien.