Regierungssprecher Bela Anda sagte am Freitag in Berlin, nach Auffassung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) müsse die EU-Kommission "berechtigte Schutzanliegen der Mitgliedsstaaten ernster nehmen". Grüne, Gewerkschaften und Union schlossen sich der Kritik an. Die FDP warnte hingegen, das Ziel eines gemeinsamen Binnenmarktes in Europa dürfe nicht durch Abschottung erschüttert werden.
Bislang müssen sich Unternehmen stets an die Bedingungen des Landes halten, in dem sie ihre Leistung erbringen. Künftig sollen für sie auch im EU-Ausland die Regeln des Landes gelten, in denen das Unternehmen seinen Sitz angemeldet hat. Nach diesem so genannten Herkunftslandprinzip könnte ein portugiesischer Krankenpfleger seine Dienste in Deutschland nach portugiesischem Recht anbieten.
Anda: Bundesregierung ist weiterhin für die Richtlinie
Die Bundesregierung begrüßt laut Anda, dass die EU am Mittwoch angekündigt hatte, "Schutzbelange" einiger Mitgliedsstaaten stärker zu berücksichtigen. Anda fügte hinzu, die Bundesregierung sei weiter für eine "ambitionierte Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie". Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Dienstleistungen biete auch deutschen Unternehmern große Wachstumschancen.
SPD-Chef Franz Müntefering pflichtete dem Kanzler bei, eine bedingungslose Öffnung des europäischen Binnenmarktes für Dienstleistungen sei nicht sinnvoll. Es müssten einige Branchen ausgenommen werden. Deutschland sei ein Hochlohnland und müsse das auch bleiben. Ausnahmen vom grenzenlosen Wettbewerb forderte Müntefering ausdrücklich für die Baubranche sowie Bereiche, in denen es um den Dienst am Menschen gehe.
DGB-Chef Michael Sommer befürchtet, dass die Arbeitnehmer einem "gnadenlosen und ruinösen Wettbewerb um immer niedrigere Einkommen und Sozialstandards" ausgesetzt würden. Solange es in der EU keine gemeinsamen Standards gebe, müsse gelten, dass sich Firmen im Ausland nach dem dortigen Recht richten müssen.
Wahlkämpfer befürchten "Niederlassungsoasen" und sehen "Verhandlungsbedarf"
Auch Grünen-Wirtschaftsexperte Fritz Kuhn warnte, nach den bisherigen EU-Plänen könnten theoretisch an einem Ort Dienstleistungen nach den Rechtsgrundlagen von 25 Mitgliedsstaaten erbracht werden. Zudem drohten ähnlich den Steueroasen "Niederlassungsoasen", wo Firmen ihren Hauptsitz hinverlagern, um zu niedrigen Qualitäts- und Haftungsregeln ihre Dienste EU-weit anzubieten.
Der Unions-Europaexperte Matthias Wissmann (CDU) pflichtete bei, das so genannte Herkunftslandprinzip müsse gestrichen werden. FDP-Vize Rainer Brüderle sieht zwar auch noch "Verhandlungsbedarf", warf dem Bundeskanzler aber zugleich "Protektionismus" vor.