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Proteste angekündigt

Länder dürfen Studiengebühren einführen

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Die Bundesländer dürfen künftig allgemeine Studiengebühren an den Hochschulen einführen. Das Bundesverfassungsgericht hob am Mittwoch das von der Bundesregierung erlassene Studiengebührenverbot auf und erklärte die entsprechende gesetzliche Regelung für nichtig. Dem Bund fehle dafür "jedenfalls gegenwärtig das Gesetzgebungsrecht", sagte Gerichtsvizepräsident Winfried Hassemer. Studentenorganisationen kündigten bereits bundesweit massive Protestaktionen an.


Mit der Möglichkeit, allgemeine Studiengebühren einzuführen und auszugestalten, könnten die Länder "die Qualität der Hochschulen und eine wertbewusste Inanspruchnahme ihrer Ausbildungsleistungen fördern". Der Bund habe "diesen Aspekt vernachlässigt und ausschließlich die Risiken" von Studiengebühren gesehen. Die Karlsruher Richter mahnten aber zu einer sozialverträglichen Ausgestaltung von Studiengebühren.

Die Normenkontrollklage von sechs Unions-geführten Bundesländern hatte damit Erfolg. Sie richtete sich gegen eine Novellierung des Hochschulrahmengesetzes vom August 2002, die den Ländern bislang die Gebührenfreiheit des Erststudiums vorschrieb.

Der Bund sei im Hochschulbereich zu einer "außerordentlich zurückhaltenden" Rahmengesetzgebung verpflichtet, betonte Hassemer. Eine bundesgesetzliche Regelung zu Studiengebühren sei derzeit aber weder zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse noch zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im Bundesgebiet erforderlich, heißt es in dem Urteil.

Verfassungsrichter: 500 Euro pro Semester "von nachrangiger Bedeutung"

Für die Wahl des Studienorts und der Hochschule sei eine "Vielzahl von Faktoren von Bedeutung", heißt es in dem 45-seitigen Urteil weiter. Soweit dabei finanzielle Erwägungen überhaupt eine Rolle spielten, seien "Studiengebühren in der bislang diskutierten Größenordnung von 500 Euro pro Semester im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten von nachrangiger Bedeutung", sagte Vizepräsident Hassemer.

Die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts teilte auf Anfrage von ngo-online mit, dass sich das monatliche "Grundgehalt" des Vizepräsidenten des Verfassungsgerichts auf rund 12.600 Euro beläuft. Studierende hingegen haben Studien zufolge durchschnittlich nur zwischen 600 und 800 Euro monatlich im Geldbeutel.

Es sei vor allem davon auszugehen, dass die Länder bei der Einführung von Studiengebühren "den Belangen einkommensschwacher Bevölkerungskreise angemessen Rechnung tragen werden", betonte der Zweite Senat. Zwar könne es zu einer Belastung einzelner Studierender über Gebühr kommen, dies rechtfertige aber keine bundesgesetzliche Regelung.

Verpflichtung zur Chancengleichheit

Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hatte davor gewarnt, mit Studiengebühren eine "neue Hürde für den Hochschulzugang" zu errichten. Das Verfassungsgericht verwies darauf, dass die Länder bundesrechtlich verpflichtet seien, "den Hochschulunterricht auf geeignete Weise jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Befähigungen zugänglich zu machen". Es sei zudem nicht ausreichend belegt, dass Studenten den Studienort "maßgeblich unter dem Aspekt möglicher Studiengebühren wählen". Selbst wenn man von "Wanderungsbewegungen" ausginge, müsse ein Land daraus resultierende Nachteile grundsätzlich in eigener Verantwortung bewältigen, urteilten die Richter.

Derzeit befinden sich nach Angaben des Statistischen Bundesamts rund 1,7 Millionen der insgesamt etwa 1,96 Millionen Studenten in Deutschland im Erststudium.

Der Zweite Senat erklärte neben dem Studiengebührenverbot auch die bundesgesetzliche Regelung zur Bildung verfasster Studentenschaften für nichtig. Es könne nicht angenommen werden, dass die Bundesregierung ohne eine bundesweit institutionalisierte Interessenvertretung der Studenten Gefahr liefe, Problemlagen "nicht angemessen zu erfassen". (AZ: 2 BvF 1/03 - Urteil vom 26. Januar 2005)

Das Deutsche Studentenwerk bedauert die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Zulassung von Studiengebühren. Es sei zu befürchten, dass Gebühren "auf Studierwillige aus einkommensschwachen und Mittelstandsfamilien abschreckend wirken und die soziale Selektion im deutschen Hochschulwesen weiter verschärfen", sagte DSW-Präsident Hans-Dieter Rinkens am Mittwoch in Berlin.

Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Ludwig Eckinger, forderte einheitliche Rahmenbedingungen. "Alles andere würde zu einer ruinösen Konkurrenz zwischen den Ländern führen", warnte er. Ein "Wettrennen zwischen reichen und armen Bundesländern" im Bildungsbereich würde zur Schwächung der Bundesrepublik führen und den Kulturföderalismus grundsätzlich in Frage stellen. Zudem warf Eckinger den klagenden Ländern vor, "unter dem Vorwand des Kulturföderalismus die Haushaltssanierung im Blick" zu haben.

Studierende kündigen Proteste an Studentenorganisationen hatten für den Fall der Aufhebung des Studiengebührenverbots bundesweit massive Protestaktionen angekündigt. Der bundesweite Studierendendachverband "freier zusammenschluss von studentinnenschaften", auf dessen Stellungnahme im Urteil des Bundesverfassungsgericht Bezug genommen wurde, teilte am gestrigen Dienstag mit, er bleibe unabhängig von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei seiner Ablehnung von Studiengebühren egal in welcher Form. Wenn die Novelle kippe und Studiengebührenpläne umgesetzt werden sollten, werde es zu massiven Protesten kommen. "Die Studiengebührenfreiheit ist eine zentrale Errungenschaft auf dem Weg zu sozialen und demokratischen Hochschulen", so die Auffassung des Verbandes. "Weder wir, noch unsere BündnispartnerInnen, werden diese Errungenschaft so einfach aufgeben."

Im Rahmen einer bundesweiten Unterschriftenaktion seien allein in den letzten Wochen rund 15.000 Unterschriften gegen Studiengebühren gesammelt worden. Für den Verband ist das ein "deutliches Zeichen, dass die eventuell erforderliche Mobilisierung zu Protesten erfolgreich sein wird".

An mehreren Universitäten habe es anlässlich des Urteils bereits Vollversammlungen gegeben, erläuterte Katharina Volk vom studentischen "Bündnis für Politik und Meinungsfreiheit" auf Anfrage von ngo-online. Für den 3. Februar seien bereits Demonstrationen in Hamburg, Mannheim und Leipzig angekündigt worden. Man sei sehr gut vernetzt, der Unmmut sei groß, daher sei mit scharfen Protesten zu rechnen.

Volk, die auch für "freien zusammenschluss von studentinnenschaften" spricht, zeigte sich sehr bestürzt über das Urteil. Die Aussage des Gerichtsvizepräsidenten, Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester seien von von nachrangiger Bedeutung, hält sie für "absurd". Studierende würden großteils von ihren Eltern finanziert, da wären 500 Euro nicht mehr zu vertreten.

RCDS begrüßt Urteil und warnt zugleich vor "unüberlegten Schnellschüssen"

Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) begrüßt in einer Pressemitteilung die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sechsten HRG-Novelle. "Die Richter gaben damit der Klage unionsgeführter Länder statt und sprachen dem Bund Kompetenzen zur Erhebung eines Studiengebührenverbotes ab." Mit der Entscheidung werde die Länderzuständigkeit für Hochschulen erneut gestärkt, so die Bundesvorsitzende des RCDS, Dorlies Last. Der Wettbewerb der Länder sowie der Hochschulen untereinander sei ein wichtiger Motor auf dem Weg zu mehr Leistungsfähigkeit.

Der RCDS warnt andererseits "vor unüberlegten Schnellschüssen". Die Länder müssten erst die entsprechenden Voraussetzungen für Studienbeiträge schaffen. Neben der Gewährleistung, dass die Einnahmen zu 100 Prozent der erhebenden Hochschule zufließen, müsse auch die Zentrale Vergabe von Studienplätzen (ZVS) vollständig abgeschafft werden. "Von Bedeutung ist aber insbesondere die Etablierung eines sozial gerechten Systems der Studienfinanzierung und ein deutlicher Ausbau des Stipendiensystems. Studienbeiträge sind erst der zweite Schritt", meint der RCDS. Weiterhin fordert der RCDS nun "die unionsgeführten Länder" auf, eine generelle Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der verfassten Studentenschaft anzustreben.

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