Besonders eng verfilzt mit der Industrie sei die designierte Wettbewerbs-Kommissarin Neelie Kroes aus den Niederlanden, die gleich in zwölf Aufsichtsräten gesessen habe, etwa bei McDonald's, Lucent, Volvo und MMO2. Sie soll auch für das US- Rüstungsunternehmen Lockheed tätig gewesen sein. "Eine konzernkritische Politik ist von dieser radikalen Privatisierungs-Befürworterin nicht zu erwarten", meint Fette.
Auf Kritik stoßen auch Äußerungen des künftigen Industrie-Kommissars Günter Verheugen, wonach die Interessen der Wirtschaft künftig Vorrang vor Umweltbelangen haben sollten.
Vorhaben in der Binnenmarkt-Politik sind Anlass der Kritik an Irlands früherem liberalen Finanzminister Charlie McCreevy. Dieser wolle die Umsetzung der EU-Binnenmarktrichtlinie seines Vorgängers Bolkestein zu seinem persönlichen Anliegen machen. Die Richtlinie bedroht nach Auffasung von attac und WEED einen Großteil der europäischen Sozial- und Umweltstandards. Zudem lehne der Ire sämtliche Bestrebungen zu Mindeststeuersätzen in Europa entschieden ab.
In einem offenen Brief an den neuen Kommissions-Präsidenten José Manuel Durão Barroso haben über 50 Organisationen, darunter Attac und WEED, kürzlich "den mächtigen und undurchsichtigen Industrielobbyismus in Brüssel" kritisiert. Die meisten der über 15.000 EU-Lobbyisten würden Industrieinteressen vertreten. Die Organisationen verlangen, dass "deren Privilegien demokratisch kontrolliert werden, damit europäische Politik stärker dem öffentlichen Gemeinwohl verpflichtet ist".
Die Forderungen der Wirtschaftslobby
Der einflussreiche Brüsseler Wirtschaftslobbyverband "UNICE - The Voice of Business in Europe" hat bereits am 9. September auf einer Pressekonferenz seine Erwartungen an die neue EU-Kommission formuliert. Zu den von UNICE-Vizepräsident Ernest-Antoine Seillère skizzierten zentralen Forderungen zählt ein Moratorium für Sozialvorschriften, sofern diese mit zusätzlichen Verpflichtungen für Unternehmen verbunden wären.
Weiterhin verlangen die Lobbyisten eine Revision der derzeitigen Klimaschutzpolitik und der unter der Abkürzung "REACH" bekannten neuen Chemiepolitik. Die unter Beteiligung von UNICE und wichtigen Branchenverbänden durchgeführte Folgenabschätzung von REACH solle beim Gesetzgebungsprozess der EU Berücksichtigung finden.
Um die Innovationsfähigkeit zu verbessern solle zudem das Gemeinschaftspatent eingeführt werden, "ein Werkzeug, das die europäischen Unternehmen wirklich brauchen". Auch solle die Dienstleistungsrichtlinie angenommen werden, um in diesem Sektor das Herkunftslandprinzip durchzusetzen.
Schließlich sollen nach Auffassung von UNICE die Richtlinien des so genannten "Lisssabon-Prozesses" dringend in nationales Recht umgesetzt werden. Hierzu zählen die Richtlinie für Wettbewerb auf dem Markt für elektronische Kommunikation, die Richtlinie für Wettbewerb bei Postdiensten und die Richtlinie für Rechtsschutz für biotechnologischen Erfindungen.
UNICE-Präsident Professor Jürgen Strube prangerte auf der Pressekonferenz exzessive Regulierungen an, die eine Last für die Unternehmen darstellten und die Freiheit der Unternehmen beeinträchtigen würden. Länder mit mehr ökonomischen Freiheiten wie die USA, Dänemark und Schweden seien viel reicher als hochregulierte Länder. Am Nachmittag des 9. September trafen sich die UNICE-Lobbyisten mit Barroso.
Strube stand viele Jahre an der Spitze des deutschen Chemiekonzerns BASF. Heute ist er Aufsichtsratschef des Chemiegiganten aus Ludwigshafen. Neben seinen Mandaten im eigenen Konzern und in Brüssel sitzt er in den Aufsichtsräten der Allianz Lebensversicherungs-AG, der Commerzbank, von Hapag-Lloyd, Linde, Fuchs Petroclub, BMW und des Medienriesen Bertelsmann.