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Lob und Detail-Kritik

Rot-Grün macht neuen Anlauf für Volksentscheide

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Die rot-grüne Koalition will mit einer Verfassungsänderung Volksentscheide ermöglichen. Dazu würde dann auch ein Volksentscheid über die EU-Verfassung gehören. Man habe sich nun auf ein Konzept geeinigt, erläuterten die Vorsitzenden von SPD und Grünen, Franz Müntefering und Reinhard Bütikofer, am Montag nach einer Koalitionsrunde in Berlin. Ein bereits in der vergangenen Legislaturperiode abgelehntes Gesetzesvorhaben zu Volksinitiativen, -begehren und -entscheiden soll laut Müntefering ergänzt um "Referenden von oben" erneut eingebracht werden. Die Bürgeraktion Mehr Demokratie begrüßte die Einigung, sieht aber noch Nachbesserungsbedarf. Insbesondere müsse ein Volksentscheid bei der Abgabe von Souveränität zwingend sein. Die von Rot-Grün beschlossene Ergänzung sieht vor, dass bei einer Entscheidung des Bundestages mit Zwei-Drittel-Mehrheit ein Volksentscheid herbeigeführt werden kann.


"Dass das Gesetz zum Beispiel auch ein Votum zur Europäischen Verfassung erlaubt, ist vernünftig - die dafür vorgeschlagene Regelung eines "Referendums von oben" eher nicht", kommentierte "Mehr Demokratie"-Vorstandssprecherin Claudine Nierth. Mehr Demokratie fordert in Fällen völkerrechtlicher Verträge, die zu einer Übertragung von Hoheitsrechten führen, ein obligatorisches Referendum: "Über die Abgabe von Souveränität sollte doch eigentlich immer der Souverän selbst entscheiden."

Um eine Einigung mit der Opposition zu ermöglichen, wolle er zum jetzigen Zeitpunkt nicht genau benennen, wie viele Unterschriften etwa für ein Volksbegehren notwendig seien, sagte Müntefering. Ihm sei an einer schnellen Verständigung mit der Opposition gelegen, damit noch im ersten Halbjahr 2005 ein Volksentscheid über die EU-Verfassung möglich werde. CSU-Chef Edmund Stoiber hatte sich im Gegensatz zu CDU-Chefin Angela Merkel für ein Referendum über die EU-Verfassung ausgesprochen. Bütikofer schloss aus, dass es etwa zum EU-Beitritt der Türkei einen Volksentscheid geben könnte.

"Rot-Grün hat ein erstes konkretes Angebot vorgelegt", sagte Nierth. "Jetzt muss das Parlament einen Kompromiss finden, der dem Wunsch der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung nach mehr politischer Mitsprache Rechnung trägt."

Die Opposition im Bundestag forderte sie auf, Gesprächsangebote der Koalition anzunehmen: "Wer zumindest in der einen oder anderen Frage offen ist für die Idee der Volksabstimmung, sollte sich jetzt in die Debatte einbringen." Dann gebe es einen Wettbewerb um die besten Vorschläge für mehr direkte Demokratie im Bund. "Gewinnen würden am Ende alle", sagte Nierth, und zwar "das Vertrauen der Bürger." In den Sommermonaten hatten besonders FDP und CSU, aber auch namhafte CDU-Politiker ein Referendum zur Europäischen Verfassung gefordert. "Wer aber Gespräche von vornherein ablehnt, versetzt den Wählern einen Schlag vor den Kopf", ergänzte Nierth mit Blick auf die CDU-Fraktion, deren rechtspolitischer Sprecher Norbert Röttgen in der vergangenen Woche ein rot-grünes Verhandlungsangebot ausgeschlagen hatte.

Rot-Grün plant folgende Stufen der Bürgerbeteiligung: Mindestens 400.000 Wahlberechtigte können mit einer Volksinitiative einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Hat das Parlament diesen Gesetzentwurf nicht innerhalb einer bestimmten Frist verabschiedet, kann ein Volksbegehren eingeleitet werden. Dieses muss eine gewisse Zahl von Wahlberechtigten innerhalb von sechs Monaten unterstützen. Im Gesetzentwurf von 2002, das die Opposition abgelehnt hatte, lag die Quote bei fünf Prozent der Wahlberechtigten.

Ist ein Volksbegehren erfolgreich, findet innerhalb einer gewissen Frist ein Volksentscheid statt. Dieser führt zu einem Gesetz, wenn ihm die Mehrheit der Wahlberechtigten zugestimmt hat. Offen ist bislang, wie hoch die Beteiligung an dem Volksentscheid sein muss, um Gültigkeit zu erlangen.

In einigen Punkten - etwa in der ausdrücklichen Zulassung finanzwirksamer Volksinitiativen - sei der Entwurf erfreulich bürgernah, kommentierte Mehr Demokratie. Allerdings seien, das zeigten Erfahrungen aus den Bundesländern, "auch hier die Quoten zu hoch".