"Was auf den ersten Blick wie ein asylpolitischer Amoklauf aussieht, ist ein wohlkalkulierter Versuch, dem individuellen Asylrecht in Europa den Garaus zu machen", so Kopp. Aus einem individuellen Recht des Flüchtlings soll ein Gnadenakt des Staates werden. Beide Innenminister forcieren das Outsourcing des europäischen Flüchtlingsschutzes, ohne Rücksicht auf bestehende internationale Schutzabkommen, und vor allem ohne Rücksicht auf die jeweilige Menschenrechtssituation in den geplanten "europäischen Außenstellen" in Nordafrika und in der Ukraine zu nehmen.
Ein Blick auf die Situation in Marokko, Libyen, Tunesien und Algerien zeige, welche Gefahren den Schutzsuchenden drohen. Diese Staaten sind immer noch Herkunftsländer von Flüchtlingen. Zum Beispiel Libyen: Dort sind Hunderte Kritiker und Oppositionelle der Gaddafi-Diktatur verschwunden, gefoltert oder hingerichtet worden. Die Grundfreiheiten sind eingeschränkt, die Todesstrafe gilt für eine ganze Reihe auch kleinerer Straftaten. Libyen hat die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert und verstößt eklatant gegen internationale Schutzprinzipien.
In der Ukraine sind Folter und Mißhandlungen noch immer weit verbreitet, vor allem durch Polizeibeamte bei Festnahmen und während Vernehmungen. Die Haftbedingungen entsprechen nicht den internationalen Mindeststandards. In der Empfehlung 1589 (2003) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zum Recht auf freie Meinungsäußerung in den europäischen Medien wird die Ukraine als Negativbeispiel angeführt. Gewalt sei dort weiterhin ein Mittel, um Journalisten einzuschüchtern.
Sowohl der deutsche Innenminister als auch sein österreichischer Kollege planen, ihre "Asylinitiativen" demnächst im Rat Justiz und Inneres vorzustellen. PRO ASYL appelliert im Vorfeld des EU-Innenministertreffens am 30. September 2004 an Politiker aller Bundestagsparteien Schilys Plänen entgegenzutreten: "Setzen Sie sich auf europäischer Ebene für ein gemeinsames Asylsystem ein, das jedem Schutzsuchenden in der EU und an den Außengrenzen künftig zumindest ein faires Asylverfahren in einem Mitgliedstaat gewährt", so Kopp abschließend.