"Die Dunkelziffer liegt vermutlich viel höher. Polizisten, Militärs oder Mitglieder der von Staat bewaffneten Bürgermiliz haben während der vergangenen Dekade die Betroffenen zu Hause, am Arbeitsplatz, selbst mitten auf der Straße ergriffen. Danach wurden sie in der Regel nie wieder gesehen", sagte Ali Al-Nasani, ai-Algerien-Experte. "Bei der Suche nach den 'Verschwundenen‘ stoßen deren Angehörige auf eine Mauer des Schweigens. Kein Fall wurde bisher zufriedenstellend aufgeklärt."
ai sammelt Informationen über "Verschwundene" in Algerien seit 1992, als das Militär die Parlamentswahlen absagte und den Notstand verhängte. "Viele 'Verschwundene' werden verdächtigt, mit einer bewaffneten Gruppe oder mit der verbotenen islamistischen Partei FIS zu sympathisieren", so Al-Nasani. Die algerische Regierung hat inzwischen zugegeben, dass das Schicksal Tausender Menschen ungeklärt ist. Präsident Abdelaziz Bouteflika hat kurz vor der Präsidentschaftswahl 2004 eine Untersuchungskommission eingerichtet.
"Präsident Bouteflika muss nun sicherstellen, dass die Kommission unabhängig, gründlich und im Interesse der Opfer handelt. Außerdem müssen die Verantwortlichen vor Gericht gebracht werden, denn das 'Verschwindenlassen' ist eine schwere Menschenrechtsverletzung", so Al-Nasani. Darüber hinaus fordert ai, dass Algerien die UN-Arbeitsgruppe zu "erzwungenem oder unfreiwilligem Verschwinden" in das Land einlädt.
Weltweit sind laut UN-Schätzungen fast 50.000 Menschen "verschwunden". Um diesen schweren Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen, arbeitet die UN-Arbeitsgruppe an einer Konvention zum "Schutz vor erzwungenem Verschwinden". ai begrüßt dieses Vorhaben. Von Deutschland als Mitglied der UN-Menschenrechtskommission erwartet ai ein deutlicheres Engagement für eine solche Konvention. "Der Beitrag Deutschland bisher war wenig konstruktiv. Die Bundesregierung sollte die Fortschritte bei der Ausarbeitung der Konvention nicht unnötig behindern", sagte die ai-Referentin für internationale Organisationen, Silke Voß-Kyeck.