Die Niederlande gehörten neben der Bundesrepublik zu den EU-Mitgliedsstaaten, die am 18. Mai in einer Probeabstimmung einer Richtlinie für die Patentierbarkeit computer-implementierter Erfindungen zustimmten. Damit sollten Softwarepatente in der EU legalisiert werden.
Eine Mehrheit des niederländischen Parlaments forderte nun Wirtschaftsminister Brinkhorst und Staatssekretärin Van Gennip dazu auf, bei der formalen Abstimmung im Ministerrat die vorher signalisierte Zustimmung der Niederlande zurückzuziehen. Die Parlamentarier sahen sich von Wirtschaftsminister Brinkhorst getäuscht, der zuvor schriftlich mitgeteilt hatte, der Vorschlag stelle einen Kompromiss zwischen dem ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission und der Position des Europaparlaments dar. Tatsächlich unterscheiden sich die Entwürfe des Parlaments und der Kommission diametral.
Die zweite Kammer fasste daher eine Resolution, dass die Niederlande ihre Zustimmung in eine Enthaltung umwandeln sollten. Dies ist möglich, da die offizielle Abstimmung noch nicht erfolgt ist. Diese kann erst vollzogen werden, wenn der Richtlinientext in allen 20 Amtssprachen der EU vorliegt. Damit wird nicht vor September gerechnet.
"Wir haben von Anfang an gesagt, dass die angebliche politische Einigung im EU-Rat am 18. Mai eine Farce war, eine bittere Stunde für die europäische Demokratie", erklärte Hartmut Pilch, Präsident des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII). "Wenn die Niederlande ihre Stimme zurückziehen, gibt es im EU-Rat keine qualifizierte Mehrheit mehr für einen Raubzug großer Konzerne und produktloser Abkassierer gegen kleine und mittelständische Softwareentwickler auf Basis von Softwarepatenten." Die Position vom 18. Mai habe schon lange ihre Legitimation verloren. "Es gab eine ganze Reihe von Täuschungen und Unregelmäßigkeiten", berichtet Pilch. "Der polnische Vertreter beschwerte sich, nicht einmal gefragt worden zu sein."
Dem Deutschen Bundestag liegt ein Entschließungsantrag der FDP vor, der die Bundesregierung auffordert, der Richtlinie nicht zuzustimmen. Über diesen Antrag wird vermutlich nach der parlamentarischen Sommerpause entschieden werden.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries verliert in dieser Frage offenbar immer mehr den Rückhalt innerhalb der Regierungskoalition. Unmittelbar nach der Ratssitzung vom 18. Mai erklärten die Grünen, dass sie mit der deutschen Zustimmung nicht einverstanden seien. In den letzten Tagen gab es eine ausführliche Erklärung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ), die sich ebenfalls gegen den Vorschlag des Rats aussprach, sowie eine dahingehende Resolution auf dem Parteitag der Münchner SPD. Die Münchner SPD hatte durch die Entscheidung der Stadt München zum Umstieg auf das freie Betriebssystem Linux weltweit von sich reden gemacht. Der IT-Experte der SPD-Fraktion, der Bundestags-Abgeordnete Jörg Tauss, hat einen Aufruf des FFII gegen die Ratsposition unterzeichnet.
"Wir hoffen, der deutsche Bundestag sieht sich nun ermutigt, ebenfalls klar gegen Softwarepatente zu votieren", sagte Florian Müller von MySQL AB, einem führenden Open-Source-Softwarehersteller. "Man kann nicht gleichzeitig für freie Software und für Softwarepatente sein. Das Bundesinnenministerium empfiehlt allen öffentlichen Verwaltungen, auf Linux umzusteigen, und das Bundesjustizministerium gibt Linux zum Abschuss frei - wo ist da die Logik?"
Das Europaparlament hatte im September 2003 einen ersten Richtlinienentwurf der EU-Kommission so stark abgeändert, dass Softwarepatente ausgeschlossen wurden. Damit ging die Gesetzesinitiative an den Rat zur Findung einer "Gemeinsamen Position". Die irische Ratspräsidentschaft änderte wiederum den Vorschlag des Europaparlaments so, dass dieser effektiv wieder der Fassung der EU-Kommission entsprach.