DIE Internet-Zeitung
Bayerischer Umweltminister warnt

Auch nach 18 Jahren noch radioaktive Belastung durch Tschernobyl

Am

Auch 18 Jahre nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl sind in Bayern Waldpilze und -beeren sowie Wildfleisch oftmals noch radioaktiv belastet. Darauf verwies Umweltminister Werner Schnappauf (CSU) in einem ddp-Interview in München. Es gebe jedoch sowohl regional als auch zwischen den einzelnen Arten deutliche Unterschiede.


Betroffen sind dem Minister zufolge vor allem der Südosten des Freistaats und der Bayerische Wald. Den höchsten Gehalt an Radiocäsium wiesen bei den Pilzen die Röhrlinge, insbesondere die Maronenröhrlinge auf. Schnappauf warnte aber generell vor einem übermäßigen Waldpilze-Verzehr. Wer ganz sicher gehen wolle, müsse auf unbelastete Zuchtpilze zurückgreifen. Beim Wildbret überschreite in der Regel nur noch das Wildschweinfleisch den Orientierungswert von 600 Becquerel pro Kilogramm.

Um Gefahren für Verbraucher durch importierte Waren auszuschließen, werden Schnappauf zufolge Pilze im Handel während der Saison verstärkt überwacht. Er wies darauf hin, dass im vergangenen Jahr bei Importen aus Bayerns östlichen Nachbarländern keine Überschreitungen des Grenzwertes festgestellt wurden. Auch in den in Bayern erzeugten Lebensmitteln finde man heute keine künstliche Radioaktivität mehr.

Weitgehend abgeklungen ist dem Minister zufolge auch die radioaktive Belastung im Boden. Untersuchungen des Landesamtes für Umweltschutz hätten bereits 2001 ergeben, dass sich hier die Folgen von Tschernobyl gegenüber der natürlichen Umgebungsstrahlung kaum noch nachweisen lassen.

Schnappauf forderte zugleich eine Anpassung der Sicherheit der Atomkraftwerke im Osten an die westeuropäischen Standards. Neben die technische Sicherheit müsse eine hohe Sicherheitskultur beim Betrieb treten. Nur wenn beides gewährleistet sei, sei ein weiterer Betrieb zu verantworten.

Am 26. April 1986 war es im Reaktorblock 4 des ukrainischen Atomkraftwerks Tschernobyl zu einer Kernschmelze und in deren Folge zu einer Explosion gekommen. In ganz Europa wurden wenig später erhöhte radioaktive Werte gemessen.

b 1. Mai Reaktoren vom Tschernobyl-Typ in der EU

Hohe Energiespar-Potentiale im Osten

Zum 18. Jahrestag der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die EU-Beitrittsländer Litauen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien aufgefordert, die Bemühungen zum Abschalten ihrer Atomkraftwerke zu verstärken. Die fünf Länder brächten mit der Erweiterung am 1. Mai zusätzliche atomare Risiken in die Gemeinschaft, die niemand verantworten könne. Die Reaktoren an den Standorten Ignalina, Temelin, Dukovany, Bohunice, Mochovce, Paks und Krsko seien schnellstmöglich durch alternative Stromerzeugung zu ersetzen. Der bisherige Zeitplan zur Abschaltung von Ignalina und Bohunice müsse verkürzt, die anderen Atomkraftwerke in die Pläne einbezogen werden. Mit der Erweiterung verschärfe sich in der Gemeinschaft auch das Problem der Entsorgung und Endlagerung des radioaktiven Atommülls. Jeder weitere Betriebstag der Atommeiler vergrößere den nuklearen Abfallberg. Zwischenlager müssten über lange Zeiträume gesichert werden, nirgendwo gebe es ein Endlager für hochradioaktiven Müll.

"Tschernobyl mahnt jedes Jahr erneut dazu, im Kampf gegen die Atomkraft nicht nachzulassen", sagte Renate Backhaus, BUND-Atomexpertin. Von den neunzehn Atomreaktoren in fünf neuen EU-Staaten gehörten zwei zum Tschernobyl-Typ: Ignalina 1 und 2 in Litauen. Die beiden slowakischen Reaktoren in Bohunice ähnelnten den in Greifswald aus Sicherheitsgründen Stillgelegten vom Typ WWER 440-230. Der slowenische Druckwasserreaktor Krsko stehe in einem Erdbebengebiet. Alle diese Risiken seien enorm. "Was wir brauchen ist der schnelle Atomausstieg in den neuen wie in den alten EU-Staaten", forderte Backhaus. Hier setzten nur noch Frankreich, England und Finnland auf die Atomkraft.

Die neuen EU-Staaten hätten enorme Potentiale an erneuerbaren Energien wie Wasser, Wind und Biomasse. Große Reserven gebe es auch bei der Energieeinsparung. So werde die gleiche Einheit vom Bruttosozialprodukt in den Beitrittsländern mit durchschnittlich dreifach höherem Energieeinsatz erzeugt wie in den alten EU-Ländern.

Der BUND forderte die Bundesregierung auf, die Bemühungen der mittel- und osteuropäischen Staaten beim Ausstieg aus der Atomstromerzeugung stärker zu unterstützen. Auf keinen Fall dürften deutsche Industrieunternehmen dazu beitragen, die Laufzeiten für die gefährlichen Atomreaktoren zu verlängern.

Am 26-04-2004

Noch immer 16 Reaktoren vom Tschernobyl-Typ am Netz

19 Jahre Tschernobyl

Am 26. April jährt sich die Atomkatastrophe von Tschernobyl zum 19. mal. Das Umweltinstitut München wies darauf hin, dass derzeit noch immer 16 Atomreaktoren vom Tschernobyl-Typ in Betrieb seien. Von den 16 Stück stünden 15 in Russland und einer in Litauen. Insgesamt seien weltweit 441 Atomreaktoren in Betrieb, von denen rund zwei Drittel (291) bereits eine Laufzeit von 20 Jahren und mehr hinter sich hätten. 90 von diesen 291 seien sogar schon 30 Jahre und länger in Betrieb. Auch die Anzahl von "maroden" und aus technischen oder finanziellen Gründen nicht nachrüstbaren Atomreaktoren sei groß. Ungeachtet dessen und obwohl die Auswirkungen des Unglücks auch 19 Jahre später noch präsent seien, versuche die Atomlobby eine "Renaissance" der herbeizureden. Nach Ansicht des Umweltinstituts ist Kernkrafttechnik nicht nur nicht beherrschbar. Sie hänge vielmehr auch eng mit der Entwicklung von Kernwaffen zusammenhänge. Riesige Landflächen in der Umgebung des Unglücksreaktors seien unbewohnbar geworden, schildert das Institut die Lage. Säuglingssterblichkeit, Totgeburten und Fehlbildungen waren nach Angaben des Instituts in Folge des Unfalls in mehreren Ländern deutlich erhöht, die Schilddrüsenkrebsrate sei beispielsweise noch heute bei Kindern in Weißrussland drastisch gestiegen.

Noch lebende Aufräum- und Löscharbeiter, seien zum Teil schwerkrank und kämpften sogar mit Hungerstreiks um ihre Rechte. Karin Wurzbacher, Physikerin am Umweltinstitut München ergänzte: "Auch bei uns in Südbayern ist Tschernobyl noch längst nicht gegessen: Nach wie vor müssen wir mit zum Teil hohen Cäsium-137 Werten bei Pilzen, Waldbeeren und Wildfleisch rechnen."

Das Umweltinstitut kritisiert, dass in Russland derzeit ein weiterer Reaktor vom "Typ Tschernobyl" gebaut werde. Die Finanzierung solle unter anderem mit Mitteln der Europäischen Atomgemeinschaft EURATOM bestritten werden. Dies sei "eindeutig vertragswidrig", da EURATOM-Kredite nur für die Erhöhung der Sicherheitsstandards von Atomreaktoren vergeben werden dürften, meint das Umweltinstitut München.

Christina Hacker vom Vorstand des Umweltinstituts kritisiert den Versuch der Atomlobby, "eine Renaissance der Atomkraft herbeizureden". Sie glaube, nun den Durchbruch geschafft zu haben, da Finnland als erstes europäisches Land nach dem Tschernobyl-Unglück einen neuen Atomreaktor bauen will. Dabei handelt es sich um den von Siemens und Framatome entwickelten, so genannten Europäischen Druckwasser-Reaktor (EPR). Hacker betonte, auch bei dieser Reaktorart seien katastrophale Unfälle nicht ausgeschlossen. "Auch hier bleibt das Entsorgungsproblem ungelöst, da es weltweit nach wie vor kein Endlager für hoch radioaktive Abfälle gibt."

Statt Atomkraft werde "eine nachhaltige Energiewende" benötigt. Mit dem Umsteigen auf regenerative Energiequellen kombiniert mit konsequentem Energiesparen und effektiverer Energienutzung könne "auf die gefährliche Atomenergienutzung" verzichtet werden, hieß es vom Umweltinstitut. Tschernobyl habe eindrücklich gezeigt, dass Atomtechnik nicht beherrschbar sei und Radioaktivität keine Grenzen kenne.

Ausserdem seien zivile und militärische Nutzung der Atomtechnik eng verflochten. "Wir brauchen weder ein zweites Tschernobyl noch neue High-Tech-Atomwaffen, wie sie in den USA derzeit entwickelt werden."

Am 22-04-2005

Kostenlose Radioaktivitäts-Messung von Pilzen, Waldfrüchten und Wildfleisch

Tschernobyl-Folgen

Auch 19 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sind nach Angaben des Münchener Umweltinstituts die Folgen von Tschernobyl in Deutschland noch messbar. In den durch Fallout belasteten Regionen, wie beispielsweise im Münchner Umland oder in den Alpen, seien noch immer hohe Werte an künstlicher Radioaktivität in Wildpilzen und anderen Waldfrüchten zu erwarten. "Die Spitzenwerte bei Röhrenpilzen, wie z.B. Maronen- oder Birkenröhrlingen, aber auch bei Semmelstoppelpilzen können im Münchner Umland durchaus noch 1000 und mehr Becquerel pro Kilogramm Frischmasse an Cäsium-137 erreichen" sagte die Physikerin Karin Wurzbacher aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre. Wildschweine, die sich frei im Wald bewegen könnten und nicht in einem Gehege gezogen würden, könnten noch höhere Belastungswerte aufweisen. Wegen der langen Halbwertszeit von Cäsium-137 von rund 30 Jahren sei eine wesentliche Änderung der Situation auch in den nächsten Jahren nicht zu erwarten.

Ein häufiger und üppiger Verzehr von stark belasteten Pilz- oder Wildmahlzeiten kann nach Auffassung des Instituts zur Anreicherung von Radioaktivität im Körper und damit zu einer zusätzlichen Strahlendosis führen. "Unsere Empfehlung bleibt nach wie vor, dass besonders die so genannten Risikogruppen wie Kinder und Schwangere Waldpilze und andere Waldfrüchte aus ihrem Speiseplan streichen und stattdessen auf unbelastete Zuchtpilze zurückgreifen sollten. Auch Wildbeeren, wie beispielsweise Heidelbeeren und Preiselbeeren sollten gemieden werden", so Wurzbacher.

Vor diesem Hintergrund bietet das Umweltinstitut auch zur diesjährigen Pilzsaison für Privatpersonen wieder kostenlose Analysen an. Pilze, Beeren und Wildfleisch können auf künstliche Radioaktivität untersucht werden.

Die Messergebnisse des letzten Jahres können unter www.umweltinstitut.org/messungen als PDF-Datei heruntergeladen werden.

Am 27-07-2005

Christdemokraten gegen Atomkraft empfehlen DIHK-Chef Domizil nahe Tschernobyl

Leben neben dem Kernreaktor

Eine dauerhafte Stilllegung deutscher Atomkraftwerke würde die Strompreise steigen lassen, behauptete der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Ludwig Georg Braun, gegenüber der "Bild"-Zeitung. Nach Auffassung von Braun arbeiten die Atomkraftwerke in Deutschland mit den "modernsten Sicherheitsstandards". Deshalb hätte der DIHK-Präsident auch "überhaupt kein Problem" damit, neben einem Atomkraftwerk zu wohnen. Auf diese Aussage reagierte der Bundesverband Christliche Demokraten gegen Atomkraft (CDAK) am 25. Juli mit der Empfehlung, Braun solle sich einen "chicen neuen Bungalow in der verstrahlten Sperrzone um das Atomkraftwerk Tschernobyl bauen zu lassen". "Bei einem prominenten und solventen Steuerzahler wie Ihnen, sehr geehrter Herr Prof. Braun, wird es für die Ukraine ein Vergnügen sein, Ihnen und Ihrer gesamten Familie, eine großherzige Ausnahmegenehmigung von der Zuzugssperre zu gewähren", heißt es süffisant in einem Schreiben der Atomkritiker aus den Reihen von CDU und CSU. "Bei Ihrer starken Vorliebe für Radioaktivität, werden Sie, sehr geehrter Herr Prof. Braun, und Ihre gesamte Familie sich in diesem angenehmen Ambiente sicherlich sehr wohl fühlen."

"Vielleicht ließe sich mit den dort sicher reichlich vorhandenen radioaktiven Heilquellen auch ein Kurbetrieb an das dortige AKW Tschernobyl anschließen, zum Beispiel zur Behandlung von Beschwerden aus dem rheumatischen Formenkreis", heißt es weiter in dem Schreiben an DIHK-Präsident Braun.

In der Braun bereits unternehmerisch vertrauten Gesundheitsbranche könne er dann gleichsam "eine Vorreiterrolle einnehmen, bei der Umfunktionierung explodierter Atomkraftwerke. Vielleicht bekämen Sie dafür sogar anschließend den Gründerpreis von ZDF und Porsche, wer weiß?"

"Mit den besten Wünschen für einen reibungslosen Umzug und ein gutes Einleben in der zukünftigen Umgebung" verabschieden sich die atomkritischen Christdemokraten.

Am 25-07-2007

Vulkan-Ausbruch und Tschernobyl

Super-GAU

Der Gletschervulkan auf Island hält Medien, Öffentlichkeit und Flugreisende weiter in Atem. Nach Angaben des Meteorologischen Institutes in Reykjavik stößt der Eyjafjalla-Vulkan immer weniger Asche und dafür mehr Lava aus. Allerdings könnte am Dienstag (20. April) Nordwest-Wind neue Aschemassen nach Deutschland bringen, heißt es in Medienberichten. Aus Angst vor der Vulkanasche verlängerte die Deutsche Flugsicherung (DFS) die Sperrung des Flugraums über Deutschland. Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW weist unterdessen auf gewisse Parallelen zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor 24 Jahren hin. Es geht um Standorte, Windrichtungen, Dampfexplosionen und fehlenden Versicherungsschutz.

Standort und Wetter

Die offenkundigste Parallele zwischen dem aktuellen Vulkanausbruch und der Atomkatastrophe in Tschernobyl ist laut IPPNW der Umstand, dass es vom Standort wie auch vom aktuellen Wetter abhängt, wer die meisten Schäden davonträgt und wie groß der Gesamtschaden letztlich ist. Ebenso wie die derzeitige Asche-Wolke des Vulkans hätten vor 24 Jahren Winde und Niederschläge entschieden, wo die radioaktiven Gefahrenstoffe von Tschernobyl hingetrieben und wo sie niedergegangen seien. Es war nach Angaben der Ärzteorganisation "reiner Zufall, dass damals beispielsweise auch Bayern zu den Gebieten gehörte, über denen noch relativ viele radioaktive Substanzen abregneten, mit der Folge einer erhöhten vorgeburtlichen Sterblichkeit.

Wie Untersuchungen zeigten, könnte ein Super-GAU im deutschen Atomkraftwerk Biblis je nach Wetterverhältnissen auch weiter entfernte Großstädte wie Berlin oder Paris empfindlich treffen und die Gesamtschäden wären wegen der 10fach höheren Bevölkerungsdichte in Deutschland ungleich höher als nach Tschernobyl.

Dampfexplosionen

Bemerkenswert ist laut IPPNW ferner der Umstand, dass bei einem Vulkan ebenso wie beim Super-GAU in einem Atomkraftwerk Explosionen nicht am Anfang stehen müssen, "in der Folge jedoch zu einem katastrophalen Verlauf des Ereignisses beitragen können". So sei der Ausbruch des Eyjafjalla keine explosive Eruption wie etwa beim Vesuv, sondern "nur" der Ausfluss von Lava aus einer Spaltenöffnung. Die Lava schmilzt den Angaben zufolge auf Island dann aber die umliegenden Gletscher und reagiert mit dem Wasser, was zu Dampfexplosionen führt.

Ebenso wird laut IPPNW ein Reaktorunfall im Gegensatz zur Atombombe meist nicht durch eine Explosion ausgelöst. "Wasserstoff- wie auch Dampfexplosionen zählen aber zu den gefürchtetsten Folgeereignissen, die zu frühen und massiven Freisetzungen von Radioaktivität führen können."

Fehlender Versicherungsschutz

Eine weitere wichtige Parallele nicht-technischer Art ist nach Angaben der Atomkritiker "der fehlende beziehungsweise völlig unzulängliche Versicherungsschutz" im Schadensfall. Derzeit wird damit gerechnet, dass die europäischen Fluglinien aufgrund des Vulkanausbruchs einige Hundert Millionen Euro Umsatz und damit auch merklich Gewinn einbüßen könnten, weil sie gegen Flugausfälle nicht versichert sind.

"Ungleich dramatischer" wären laut IPPNW die ökonomischen Folgen eines Atomunfalls in Mitteleuropa, wenn viele Millionen Menschen auf Dauer ihre Wohnungen und Betriebsstätten verlassen müssten. "Die Schäden wären Studien zufolge so immens, dass die globale Versicherungswirtschaft weder dazu in der Lage noch dazu bereit ist, derartige Schäden abzudecken. Beim Super-GAU sind all diejenigen, die ihn zwar überleben, aber von Massenevakuierungen betroffen sind, wirtschaftlich ruiniert", so die IPPNW. "Die deutsche Volkswirtschaft läge am Boden."

"Über Laufzeitverlängerungen neu nachdenken"

Der Vulkanausbruch auf Island bietet nach Auffassung der IPPNW vor diesem Hintergrund die Chance, "nochmals neu über das Risiko der Atomenergie und die von der Bundesregierung beabsichtigten Laufzeitverlängerungen überalterter Atomkraftwerke nachzudenken".

Am 19-04-2010

27 Jahre nach Tschernobyl

Kontaminierte Lebensmittel und neue Forschungsergebnisse

Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW erinnert daran, dass 27 Jahre nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl Lebensmittel noch immer mit radioaktivem Cäsium kontaminiert sind. Ausgerechnet in Japan wurden vor kurzem in deutscher Heidelbeermarmelade rund 22 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm (Bq/kg) gefunden, wie der Informationsdienst „Strahlentelex“ berichtet. Da das kurzlebigere Cäsium-134 nicht enthalten war, ist davon auszugehen, dass es sich in der deutschen Marmelade um Cäsium-137 aus Tschernobyl handelt. Dieses ist mit seiner physikalischen Halbwertszeit von 30 Jahren noch nicht einmal zur Hälfte abgebaut. „In Japan kann die Situation auftreten, dass sich auf dem selben Frühstücksteller Nahrungsmittel befinden, die durch Tschernobyl und durch Fukushima kontaminiert wurden“, so IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Alex Rosen. „Die geltenden Grenzwerte nehmen erhöhte Krebsraten billigend in Kauf. Das Ziehen von ‚sicheren Grenzwerten‘ an sich ist irreführend: Verstrahlung stellt stets ein zusätzliches relatives Gesundheitsrisiko dar.“

Kontaminierte Lebensmittel

In einer Reaktion vom 12. April bestätigte der Hersteller, dass Marmelade auf den Markt gebracht wurde, die radioaktiv kontaminiert war. Man halte jedoch den EU-Grenzwert ein und habe sich hausintern einen niedrigeren Wert zum Ziel gesetzt.

Dass es sich um keinen Einzelfall handelt, zeigen Messergebnisse des japanischen Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 2012, wonach in österreichischen und französischen Heidelbeermarmeladen Belastungen zwischen 140 und 220 Bq/kg Radiocäsium gefunden wurden. Ebenso sind auch Waldpilze und Wildschweine in Süddeutschland wie auch in anderen Regionen Europas teilweise noch immer mit weit mehr als 600 Bq/kg kontaminiert.

Gesundheitliche Folgen von Tschernobyl

Die erschreckenden gesundheitlichen Folgen von Tschernobyl werden in der westlichen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Laut IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Dörte Siedentopf berichten Tschernobyl-Initiativen zunehmend von „sudden deaths“, die mutmaßlich auf Gefäßveränderungen durch kontaminierte Nahrungsmittel zurückzuführen seien. Tatsächlich bestätigen auch neuere wissenschaftliche Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen Strahlenbelastung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein internationales Forscherteam um Mark Little kam in einer Studie zum vorläufigen Ergebnis, dass die strahlenbedingte Mortalität (Sterberate) auf Grund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen etwa genauso hoch sei wie diejenige durch strahlenbedingten Krebs.

Hohes Krebsrisiko

Amtliche Statistiken bieten leider ein nur unscharfes Bild. Dr. Siedentopf weist darauf hin, dass es in der Tschernobyl-Region vermieden wird, Krebs als Todesursache anzugeben. Dennoch zeigen beispielsweise auch die Fallzahlen für Leukämien des „Belarusian Republican Registry of Hemoblastoses“ die Folgen von Tschernobyl. Eine aktuelle Untersuchung von IPPNW-Beiratsmitglied Dr. Alfred Körblein ergab, dass in Weißrussland die Leukämierate bei Kindern im Jahr 1987, ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe, um 33 Prozent angestiegen ist. Einen zweiten Anstieg gab es im Zeitraum 1990 bis 1992. Bei Kindern unter einem Jahr lag die Erhöhung 1987 sogar bei 152 Prozent.

„Atomunfälle wie Tschernobyl und Fukushima verursachen einen schleichenden Tod, der in der öffentlichen Wahrnehmung ignoriert und von den Regierungen sogar abgetan werden kann, weil sich die strahlenbedingten Erkrankungen und das vorzeitige Sterben über Jahre und Jahrzehnte hinziehen“, so Siedentopf. „Wer wie ich seit mehr als 20 Jahre die Tschernobyl-Region regelmäßig besucht, sieht vor Ort, dass es praktisch keine Familie gibt, die nicht durch Krankheit oder Tod betroffen wäre: Tumoren in allen Organen bei Kindern und Erwachsenen, frühkindlicher Diabetes, Linsentrübungen, Karies, Krankheiten durch Gefäßveränderungen, Herzinfarkte und Schlaganfälle im mittleren Lebensalter, Immunschwäche und vieles mehr.

Es darf nicht zu einer weiteren Atomkatastrophe kommen! Deswegen müssen in Deutschland wie auch in unseren europäischen Nachbarstaaten, in Nordamerika und in Asien die noch betriebenen Atomkraftwerke umgehend stillgelegt werden“, fordert Siedentopf.

Am 24-04-2013