Am 7. April 1994 war das Flugzeug des damaligen Hutu-Präsidenten Juvenal Habyarimama von einer Boden-Luft-Rakete getroffen worden und abgestürzt. Alle Insassen kamen ums Leben. Hayarimama's Nachfolger Paul Kagamé, ein Tutsi, wurde beschuldigt, für den Mord verantwortlich zu sein, bestreitet dies aber. Der Absturz war der Auslöser für den Mord an mindestens 800.000 Menschen und für die Flucht von rund zwei Millionen. Der 100 Tage anhaltende Genozid hinterließ rund 60.000 von Kindern geführte Haushalte, deren Eltern und Verwandten ermordet wurden. Heute ist es tabu, sich Hutu oder Tutsi zu nennen.
Emmanuel Murangira, 48, arbeitet als Touristenführer. Immer wieder zeigt er Besuchern die 24 Klassenräume der Murambi Technical School in Gikongoro, in denen immer noch die Skelette derer zu besichtigen sind, die hier 1994 auf brutale und systematische Weise getötet wurden. 15.000 waren es. Auch die sterblichen Überreste von Emmanuel's Frau und seinen fünf Kindern sind vermutlich darunter. Emmanuel war damals einer der vier Überlebenden, als die Angreifer die wehrlosen Zivilisten zerschossen. Ein Granatsplitter blieb in seinem Kopf stecken. Noch heute hat er eine etwa ein Zentimeter tiefe Narbe an seiner Stirn. Doch Emmanuel lebt, und er lebt mit seiner Erinnerung. "Für mich ist das Gedenken nichts Neues. Ich denke jeden Tag an meine Lieben, und am 7. April natürlich auch." Hat er den Mördern verziehen? "Ich habe ihnen nicht vergeben, denn keiner von ihnen hat mich je darum gebeten."
Noch heute kann die 22-jährige Concesa Mahoro aus Nyamata ohne die Hilfe von Beruhigungstabletten nicht schlafen. Immer wieder verfolgen sie die Bilder von damals. "Männer kommen. Sie haben Macheten. Sie zerren mich, meine Eltern und meine Geschwister aus dem Haus. Sie schlagen meiner Mutter den Kopf ab, meinem Vater erst die Beine, dann die Arme. Irgendwann lassen sie von uns. Ich darf leben, mein Bruder Alphonse ebenfalls. Meine ältere Schwester wird vor meinen Augen in Teile gehackt", beschreibt Concesa ihren Albtraum. Statt Hass empfindet sie nur Leere - und die Last der Verantwortung für den jüngeren Bruder, für den sie allein sorgen muss, seit ihr Vater 1999 an Aids starb.
Dennoch: Das Leben in Ruanda geht weiter. Die Hoffnung blüht langsam wieder auf. Und WORLD VISION gehört zu den Organisationen, die mithelfen, Normalität wieder herzustellen. "In den letzten fünf Jahren haben wir Tausende von Frauen, Männern und Kindern auf dem Heilungs- und Versöhnungsprozess begleitet," sagt Solomon Nsabiyera von WORLD VISION .
Fachlich geschulte Mitarbeiter moderieren Einzel- und Gruppengespräche in Gemeinden und Gefängnissen und tragen so dazu bei, die Gesellschaft zu rehabilitieren. "Die Menschen wollen die Vergangenheit verarbeiten, ohne dabei ihre Augen zu verschließen", sagt Nsabiyera. "Dabei hilft ihnen WORLD VISION." Auch kümmert sich das Kinderhilfswerk um zahlreiche kindgeführte Haushalte, um Witwen und andere Bedürftige, etwa durch Ausbildung oder Kleinkredite. Durch Patenschaftsprogramme in acht der zwölf Provinzen sorgt WORLD VISION auch für eine langfristige Verbesserung der Lebensumstände. Eine verbesserte wirtschaftliche Situation ist eine wichtige Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben.