"Wir verwenden bewusst solche Zitate, mit denen sich die Täter zu rechtfertigen versuchen", sagt Werner Holzwarth, Professor für Visuelle Kommunikation an der Bauhaus-Universität. Holzwarth hat gemeinsam mit dem Hochschuldozenten Peter Gamper die 15 Studierenden des Projektes "Opfer" betreut. Herausgekommen ist eine außergewöhnliche Kampagne, die "bewusst eine drastische, unbequeme Sprache verwendet", wie Holzwarth sagt, und die sich gleichzeitig scharf von den mitunter ritualisiert anmutenden, alljährlichen Aufklärungsaktionen abhebt.
Holzwarth und Gamper haben beide vor ihren Uni-Dozenturen jahrzehntelang für Werbeagenturen gearbeitet und wissen nur zu gut, dass so manche Hilfsorganisation - nicht nur der "Weiße Ring" - Probleme mit der Eigenpräsentation haben. "Die leisten zwar viel für ihre Klientel, aber sie sind trotzdem in der Öffentlichkeit kaum bekannt, weil die PR-Arbeit etwas schnarchnasig ist", wird Holzwarth deutlich.
Der "Weiße Ring" ist mit dem Ergebnis hoch zufrieden: "Wir wollen mit dieser radikalen Aktion eine Kontroverse lostreten", sagt Angelika Landmann vom Landesverband Thüringen, wo die Idee für das Projekt entstand. Von der "vorher stillen, freundlichen, zurückhaltenden Öffentlichkeitsarbeit" sei man damit erst einmal abgerückt.
Ein exemplarischer Blick auf die einschlägige Kriminalstatistik Thüringens zeigt, wie dringend nötig und gerechtfertigt die Kampagne ist: 2003 registrierte die Polizei im Freistaat rund 1000 Fälle sexuellen Missbrauchs, 96,5 Prozent der Täter waren Männer. Bei Körperverletzungen im Bereich häuslicher Gewalt waren 86 Prozent der Täter männlich.
Über die Wirkung der drastischen Kampagne machen sich die Organsiatoren keine Illusionen: "Damit werden wir keinen Sexualstraftäter zum sensiblen Familienvater bekehren und versuchen das auch gar nicht", stellt Holzwarth klar. "Wichtiger ist uns, den Opfern zu zeigen, dass es für solche Verbrechen kompetente Stellen gibt, an die sie sich wenden können." Und: "Die Wegseher und Weghörer werden aufgefordert, sich nicht aus der Verantwortung zu stehlen", fügt Gamper hinzu.
Ein zweiter wichtiger Punkt: Alle Plakatmotive sprechen zwar die gleiche unmissverständliche Sprache, haben aber - je nach Milieu - einen unterschiedlichem Tonfall: Plakatwände mit Sprüchen wie "Ich schlag dir gleich die Fresse ein" gehören genauso dazu wie die subtile Modezeitschriften-taugliche Anzeige mit einer jungen Frau, die ihr blaues Auge mit einer Mütze kaschiert - dazu der Reklameslogan: "Dezente Veilchenblende".
Um sich in die Befindlichkeit der Opfer hineindenken zu können, haben sich die Weimarer Studenten gründlich vorbereitet. Sie sprachen mit Missbrauchsopfern, Polizeiexperten, Kinderschutzbund und Frauenbeauftragten, durchforsteten Internet-Foren, in denen sich die Opfer sexueller und häuslicher Gewalt äußern. "Viele Studenten waren bei den Schilderungen geschockt. Manche Männer konnten die Brutalität, die ihnen berichtet wurde, nicht fassen", sagt Gamper.
Die Kampagne mit rund 100 Fotos, Anzeigen, Poster, Videos, Radiospots und Handzetteln und Aktionskonzepten ist gegenwärtig als Ausstellung bis zum 11. April in Erfurt zu sehen. "Danach ist eine Wanderausstellung quer durch Deutschland geplant", kündigt Landmann an.