Hintergrund des Eilverfahrens ist die neue Verwaltungsvorschrift der Bundeswehr vom Juli 2003, wonach Wehrpflichtige nicht einberufen werden, die über 23 Jahre alt, verheiratet oder in der Tauglichkeitsstufe T 3 gemustert sind. Dadurch werden Schätzungen zufolge jährlich 70.000 Wehrpflichtige aus Altersgründen und 20.000 Wehrpflichtige, die mit T 3 gemustert wurden, nicht einberufen. Begründet werden die Ausnahmen mit den neuen Aufgaben der Bundeswehr, der Krisenprävention und ?bewältigung, und mit der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Lage.
Der 22-jährige ledige Antragsteller wurde mit T 1 gemustert und zum Kriegsdienst einberufen. Dagegen wehrte er sich mit der Begründung, er werde gegenüber den nicht einberufenen Wehrpflichtigen benachteiligt. Der 9-monatige Grundwehrdienst führe dazu, dass er auf dem Arbeitsmarkt strategisch erheblich schlechter stehe. Dafür gebe es keine sachlichen Gründe.
Die Koblenzer Richter entschieden, dass es im Ermessen der Kreiswehrersatzämter liege, wen sie zum Wehrdienst einberufen. Sie müssten sich dabei an der Eignung des Wehrpflichtigen und dem Personalbedarf der Bundeswehr orientieren. Die Entscheidung diene allein dem öffentlichen Interesse an einer optimalen Personalbedarfsdeckung, nicht dem privaten Interesse eines Wehrpflichtigen. Deshalb könne der Wehrpflichtige keine Rechte aus der Auswahl ableiten. Der Antragsteller werde nicht willkürlich diskriminiert. Denn die Auswahlkriterien der Kreiswehrersatzämter orientierten sich an der Eignung und am Personalbedarf der Bundeswehr.
Das Verwaltungsgericht ließ allerdings die Frage offen, ob der Grundsatz der Wehrgerechtigkeit verletzt sei, da aufgrund der Ausnahmeregelung jährlich eine große Zahl der Wehrdienstpflichtigen nicht einberufen werde. Diese schwierige Rechtsfrage könne im Eilverfahren nicht geklärt werden. Bei offener Rechtlage müsse jedoch das private Interesse des Antragstellers hinter dem öffentlichen Interesse an der ungehinderten Einberufung zurücktreten. Denn das Wehrpflichtgesetz regele den Grundsatz, dass der Wehrpflichtige den Wehrdienst auch antreten müsse, wenn er Rechtmittel einlegt.
Dass der Gesetzgeber in § 1 Wehrpflichtgesetz eine allgemeine Wehrpflicht vorschreibt, werde dabei vom Verwaltungsgericht genauso ignoriert wie die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, kritisierte die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär. Doch der Wortlaut des Bundesverfassungsgerichts vom 13. April 1978 könne eindeutiger nicht sein: "Die Einberufungsanordnungen des Bundesministers der Verteidigung (§ 21 WPflG) haben sich strikt im Rahmen des Wehrpflichtgesetzes zu halten. Es ist nicht zulässig, einzelne Wehrpflichtige oder Gruppen von Wehrpflichtigen über die gesetzlich vorgezeichneten Wehrdienstausnahmen hinaus (...) von der Wehrdienstleistung grundsätzlich auszunehmen."
"All dies war dem Verwaltungsgericht Koblenz noch nicht einmal eine Erwähnung wert", moniert Kampagnen-Sprecher André Lange. Die allgemeine Wehrpflicht sei durch die Koblenzer Richter in eine Auswahlwehrpflicht umgedeutet worden.
"Das Ergebnis ist absurd", meint Lange: "Durch die unterschiedliche Sichtweise der Gerichte wird der Wohnort des Wehrpflichtigen zu einem entscheidenden Auswahlkriterium dafür, ob er dienen muss oder nicht. Während Köln de facto zur wehrpflichtfreien Zone geworden ist, haben im Raum Koblenz die Wehrbehörden nahezu freie Hand bei der Entscheidung, wen sie zum Zwangsdienst verpflichten dürfen."
Der Kläger hat jetzt nur noch die Chance, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, da der Beschluss des Verwaltungsgerichts rechtskräftig ist.
(VG Koblenz, Beschluss vom 10. März 2004; Az.: 7 L 616/04.KO)