DIE Internet-Zeitung
Soziale Sicherung

Gemeinsame Mobilisierung gegen den Sozial-Kahlschlag

Am

Rund 50 Attac-Mitglieder aus zwölf Städten und vier Bundesländern haben am vergangenen Wochenende in Könnern bei Halle gemeinsame Aktionen vorbereitet. In Vorträgen, Workshops und Seminaren informierten sich die Teilnehmer im Alter von 17 bis 70 Jahren in der Attac-Villa Könnern zunächst über Hintergründe von Sozialabbau. Fachautor Dr. Harald Klimenta aus Regensburg stellte in seinem Referat dar, warum die Privatisierung von Renten- und Gesundheitssystem unsinnig ist und was die Alternativen sind: "Die Regierung bittet nur Alte, Arme, Kranke und Arbeitslose zur Kasse. Dabei ist der Reichtum in Deutschland größer als je zuvor. Wir müssen dafür sorgen, dass bei der Finanzierung der Sozialsysteme alle Einkünfte berücksichtigt werden."


Neben der inhaltlichen Arbeit stand die Vorbereitung konkreter Aktionen auf dem Programm: Alle Gruppen, die bei der Regionalkonferenz vertreten waren, mobilisieren zur Demonstration gegen sozialen Kahlschlag am 3. April in Berlin. Aus Leipzig, Dresden, Magdeburg, Halle, Erfurt, Chemnitz, Jena, Plauen fahren Busse nach Berlin; vielerorts sind zudem Informationsveranstaltungen geplant. "Gerade weil es in den Parlamenten keine Opposition gegen die unsoziale Politik gibt, müssen wir auf der Straße ein deutliches Zeichen setzen", sagte Anett Pfeiffer von Attac Leipzig als Organisatorin der Konferenz.

Auch lokale Themen spielten eine wichtige Rolle: Gegen die Privatisierung von Fernwasserleitungen und Talsperren in Sachsen-Anhalt und Sachsen, die die Versorgungssicherheit für große Teile der Bevölkerung gefährdet, sind vielerorts Proteste geplant. Auch an den Aktionen gegen die Aussaat von Gen-Weizen in Sachsen-Anhalt wird sich Attac in den nächsten Wochen beteiligen. Stefan Paschke, Teilnehmer aus Halle, zog ein positives Fazit: "Die Zusammenarbeit und gegenseitige Weiterbildung stärkt Attac nach innen und außen."

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac, das 1998 in Frankreich gegründet wurde, hat in Deutschland mehr als 14.000 Mitglieder, die in über 200 regionalen Gruppen arbeiten. In diesem Jahr ist der Zusammenhang von Globalisierung und Sozialabbau ein Schwerpunkt der Arbeit.

Am 3. April Demonstration in Stuttgart für sozial gerechte Reformen

Europäischer Aktionstag

10 Euro Praxisgebühr, sinkendes Rentenniveau, verschlechterter Kündigungsschutz, gekürzte Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld, eine mickrige Geldleistung beim Arbeitslosengeld II und eine Steuerreform, die hauptsächlich große Einkommen entlastet und durch Kürzung der Pendlerpauschale sowie Pauschbeträge etc. durch kleine Einkommen finanziert wird. Dies und vieles mehr sind die Grausamkeiten der Agenda 2010. Dagegen rufen der DGB und andere Organisationen wie Attac zur Großdemonstration am 3. April nach Stuttgart. Arbeitgeber, Wirtschaftsverbände, CDU/CSU sowie die FDP wollen den Sozialstaat am liebsten gleich ganz abschaffen. Manche von denen wollen alten Menschen Hüftoperationen verweigern, über 50jährigen den Kündigungsschutz nehmen und mit einer Steuerreform die Spitzenverdiener ganz entlasten. Tarifverträge sollen eingeschränkt werden, betriebliches Unterlaufen von Tarifverträgen ermöglicht und Beschäftigte weitestgehend rechtlos gestellt werden.

Unter dem Motto: Aufstehen damit es endlich besser wird!,fordern die Gewerkschaften: eine solidarische Gesundheitsversicherung, statt Extragebühren für Arztbesuche und Medikamente, Renten, die ein würdiges Leben im Alter sichern, statt unzumutbarer Rentenkürzungen, eine Politik, die Arbeit schafft, statt Arbeitslose zu bestrafen, Erwerbsarbeit, von der Mann und Frau leben kann, statt Mini-Jobs, mehr Geld für Kindergärten, Schulen und Hochschulen statt Steuergeschenke für Wohlhabende, eine Beteiligung aller an der Finanzierung des Sozialstaates nach ihrer Leistungsfähigkeit, statt immer neue Kürzungen, eine Politik, die für Ausbildungsplätze sorgt, statt Jugendliche in Warteschleifen abdrängt, eine Politik, die Frauen vorwärts bringt, statt Steuererhöhungen für Alleinerziehende, Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst, die Arbeit sichern und schaffen, statt Arbeitsplatzvernichtung durch Arbeitszeitverlängerung, einen leistungsfähigen Öffentlichen Dienst statt einer Verwaltungsreform zulasten von BürgerInnen und Beschäftigten!

Der DGB stellt zur Kundgebung Sonderzüge ein (Es entstehen keine Fahrtkosten).

Am 24-03-2004

Größte soziale Proteste in der Geschichte der Bundesrepublik erwartet

Demo am 3. April

Bei den Demonstrationen gegen den Sozial-Kahlschlag, die am kommenden Samstag in Berlin, Stuttgart und Köln stattfinden werden, erwartet das globalisierungskritische Netzwerk Attac eine Rekordbeteiligung: "Wir werden vermutlich die größten Proteste zu sozialer Gerechtigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik erleben", sagte Sven Giegold vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. "Möglich ist das durch ein politisches Bündnis, das es in dieser Breite noch nie gegeben hat." Bei den europaweiten Aktionstagen für soziale Rechte am 2. und 3. April, die von den sozialen Bewegungen beim Europäischen Sozialforum in Paris initiiert und vom Europäischen Gewerkschaftsbund aufgegriffen wurden, demonstrieren in Deutschland erstmals Gewerkschaften gemeinsam mit globalisierungskritischer Bewegung, kirchlichen Gruppen, Arbeitsloseninitiativen, Sozialverbänden, Studierenden und linken politischen Initiativen. Das Demonstrations-Motto "Aufstehn, damit es endlich besser wird" steht dabei für die Wut der Menschen über den Sozialabbau, der von rot-grünen Bundesregierung mit Unterstützung der Opposition vorangetrieben wird.

Für das Attac-Netzwerk, das auf allen drei Demonstrationen mit Rednerinnen vertreten ist, spielt der internationale Charakter der Proteste eine zentrale Rolle. "Wir erleben einen globalen Angriff auf soziale Rechte. Diesen können wir nur mit einer breiten, internationalen Gegenbewegung aufhalten", sagte Sven Giegold. Aus diesem Grund rufen auch entwicklungspolitische Organisationen wie Weed und medico international zu den Protesten auf.

Am 31-03-2004

Europäischer Aktionstag gegen Sozialabbau am Samstag

Demonstrationen in vielen Städten

Ein breites Bündnis hat für Samstag im Rahmen eines "Europäischen Aktionstages" zu Kundgebungen in mehreren deutschen Städten gegen die "Agenda 2010" aufgerufen. Allein in Berlin erwarten die Gewerkschaften mehr als 100 000 Teilnehmer der Demonstration unter dem Motto "Aufstehen! Für Arbeit und soziale Gerechtigkeit". Weitere Proteste sind unter anderem in Köln und Stuttgart geplant. Für die Berliner Kundgebung (ab 10.00 Uhr) werden Demonstranten aus Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und den neuen Ländern erwartet. Auf der Abschlusskundgebung um 12.00 Uhr vor dem Brandenburger Tor wollen neben DGB-Chef Michael Sommer auch SPD-Bundestagsmitglied Ottmar Schreiner und der Generalsekretär der französischen Gewerkschaft CGT, Bernhard Thibault, sprechen.

Unter dem Motto "Aufstehen, damit es endlich besser wird!" steht die DGB-Kundgebung (ab 11.00 Uhr) in Stuttgart. Bayerns DGB-Chef Fritz Schösser sagte am Freitag in München: "Wir wollen einen Politikwechsel hin zu sozialer Gerechtigkeit". Allein aus Bayern werden den Angaben zufolge 25 000 Demonstranten erwartet. In Köln rechnen die Organisatoren mit bis zu 50 000 Teilnehmern. Dort werden unter anderem der Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Peters, und der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) reden.

Unterdessen forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Gewerkschaften in einem WDR-Interview dazu auf, auch gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. "Sie sagen, sie seien ihren Mitgliedern verpflichtet. Das stimmt ja auch. Und ich sage ihnen: Eure Mitglieder haben auch Kinder, und denen bin ich auch verpflichtet - nicht nur der heute aktiven Generation."

Am 02-04-2004

Über 500.000 Menschen demonstrierten gegen Sozialabbau

3. April 2004

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac betrachtet die Demonstrationen gegen Sozialabbau, an denen in Berlin, Stuttgart und Köln heute weit mehr als 500.000 Menschen teilgenommen haben, als überwältigenden Erfolg. "Jetzt hat Schröder ein Problem. Denn diese Demonstrationen setzen ein massives Zeichen für einen wirklichen Politikwechsel", sagte Ilona Plattner vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis bei der Kundgebung in Berlin. "Mit der Agenda 2010 übertrifft die Rot-Grüne Bundesregierung alles, was sich ihre Vorgänger jemals geleistet haben. Noch nie ist eine Bundesregierung den Interessen der Unternehmen und Reichen so zu Diensten gewesen wie die von Schröder, Fischer, Clement und Co." Der angeblichen Alternativlosigkeit dieser Politik setzte Ilona Plattner konkrete Forderungen entgegen: "Wir wollen international verbindliche soziale und ökologische Regeln. Wir wollen eine drastische Arbeitszeitverkürzung. Wir wollen eine geschlechtergerechte Verteilung der Erwerbs- und Familienarbeit. Wir wollen eine wirklich solidarische Bürgerversicherung. Wir wollen existenzsichernde Löhne und Steuergerechtigkeit - Steuerparadiese müssen geschlossen werden. Noch nie gab es so viel Reichtum wie heute! Es ist genug für alle da!"

Bei den europaweit koordinierten Aktionstagen, die auf Initiative der sozialen Bewegungen beim Europäischen Sozialforum und des Europäischen Gewerkschaftsbunds zustande gekommen waren, gingen die Menschen in vielen Ländern gleichzeitig auf die Straße. Astrid Kraus vom Attac-Koordinierungskreis betonte bei ihrer Rede in Stuttgart die Notwendigkeit von internationalen Protesten: "In ganz Europa wetteifern die Regierungen um den radikalsten Sozialkahlschlag. In dem mörderischen Wettbewerb um die besten Anlagebedingungen bleiben die Interessen der Mehrheit der Menschen auf der Strecke. Wir wollen, dass Politik nicht für die Interessen von Reiche und Unternehmen gemacht wird."

Auch Martina Wasserlos-Strunk vom Attac-Rat forderte in Köln weltweite Solidarität: "Solidarität heißt für uns auch Solidarität mit den künftigen Generationen und Solidarität mit denjenigen deren Armut durch Umweltzerstörung und Klimakatastrophen noch verstärkt wird."

Am 05-04-2004

Initiativen und Sozialverbände haben wachsende Mitgliederzahlen

Kritik an der Regierungspolitik

Die maßgeblich von bayerischen SPD-Mitgliedern ins Leben gerufene "Initiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit"verwies darauf, dass die Initiative immer mehr Zulauf erhalte. So sei deren Aufruf bereits von rund 1800 Menschen unterzeichnet worden. Außerdem ist nach den Worten Händels nun die Gründung von regionalen Gruppen in rund 60 Städten geplant. Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) verzeichnet derzeit monatlich eine Zunahme. So traten 15 000 Personen dem Verband bei, wie Verbands-Vizepräsidentin Marianne Saarholz sagte. Beim Sozialverband VdK wächst ebenfalls die Anhängerschaft. "Allein in den letzen zwei Jahren sind bei uns 200 000 neue Mitglieder hinzugekommen so VdK-Präsident Walter Hirrlinger. Die ins Leben gerufene "Initiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit" sieht sich durch die Massendemonstrationen der Gewerkschaften gegen Sozialabbau bestätigt. Ihr Mitgründer Thomas Händel sagte der Nachrichtenagentur ddp, viele Menschen wollten Korrekturen an der Reformpolitik der Bundesregierung. Allerdings seien die bisherigen Reaktionen der rot-grünen Koalition auf die Proteste vom Wochenende mehr als enttäuschend. Dies sei Politik nach dem Motto "Augen zu und durch".

Händel betonte, die "Option" zur Gründung einer neuen Linkspartei stehe weiter im Raum. Sie hänge auch nicht davon ab, ob die SPD die Reformkritiker aus der Partei ausschließe. Entscheidend sei vielmehr die Frage, ob sich die Bundesregierung zu einer sozialeren Politik bereit erkläre. Die Möglichkeit einer Parteigründung sei hierfür das "Druckmittel" der Initiative.

Die Unsicherheit über die Renten und der Unmut über die Sozialreformen treibe den Sozialverbänden neue Mitglieder zu. So hat der Sozialverband Deutschland (SoVD) derzeit rund 500 000 Mitglieder. Der VdK hat derzeit rund 1,3 Millionen Mitglieder.

Als Grund für den Boom ihrer Organisationen gaben beide an, die zahlreichen Einschnitte für Rentner mobilisierten die Ruheständler. Der SoVD stellt Rentnern etwa Vorlagen zur Verfügung, mit denen sie Widerspruch gegen ihre Rentenkürzungen einlegen können. "Die gehen weg wie warme Semmeln", sagte Saarholz.

Am 06-04-2004

Arbeiterwohlfahrt gegen Ausbildungsplatz-Abgabe für soziale Einrichtungen

Nicht sinnvoll

Eine Ausnahme von der geplanten Ausbildungsplatzumlage hat die Arbeiterwohlfahrt (AWO) für soziale Einrichtungen gefordert. Für freie gemeinnützige Einrichtungen und Unternehmen mache eine Ausbildungsplatzumlage als Druckmittel für mehr Lehrstellen keinen Sinn, weil sie zumeist selbst gar nicht ausbilden könnten, sagte AWO-Bundesgeschäftsführer Rainer Brückers. Die AWO verlangte von Rot-Grün, dies in dem geplanten Gesetz zu berücksichtigen. Da die meisten sozialen gemeinnützigen Einrichtungen mit öffentlichen Mitteln gefördert oder aus Sozialbeiträgen (wie der Pflegeversicherung) finanziert werden, sei eine Ausbildungsplatzabgabe widersinnig. "Hier geht es nicht um unternehmerische Gewinnmaximierung, sondern um einen öffentlich geförderten, gesellschaftlichen Versorgungsauftrag", erklärte Brückers. Im Übrigen würde die Abgabe etwa in die Pflegesätze eingerechnet und somit letztlich den jeweiligen Kostenträgern in Rechnung gestellt - häufig also der öffentlichen Hand. Dies könne nicht im Sinne des Gesetzgebers sein.

Doch selbst wenn sie wollten, könnten die meisten sozialen Einrichtungen gar keine Ausbildungsplätze anbieten. "Kindertagesstätten und Jugendhilfeeinrichtungen können in der Regel nur Praktikumsplätze zur Verfügung stellen, was diese auch reichlich tun", so Brückers.

Außerdem gebe es etwa für AltenpflegerInnen gar nicht zu wenig Ausbildungsmöglichkeiten. "Das Problem des Pflegekräftemangels liegt nicht an der zu geringen Zahl an Ausbildungsplätzen, sondern in der mangelnden Bereitschaft junger Menschen, sich für den Pflegeberuf zu entscheiden", erklärte Brückers. Doch dafür dürften die Einrichtungen nicht mit einer Ausbildungsplatzabgabe bestraft werden.

Am 14-04-2004

Wirtschaft klagt über mangelnde soziale Kompetenz von Berufseinsteigern

Gute Erziehung bleibt unverzichtbar

Am Mittwoch hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) die Ergebnisse einer Umfrage unter ihren Mitgliedsfirmen zu den Erfahrungen mit Berufseinsteigern veröffentlicht. Der entscheidende Befund: "Erschreckend(e) /.../Defizite bei den persönlichen und sozialen Kompetenzen vieler Berufseinsteiger." Ein Viertel der Unternehmen sieht Selbstüberschätzung des Mitarbeiters, und ein weiteres Viertel mangelndes Sozialverhalten und Integrationsunfähigkeit als Probleme an. 13 Prozent gaben an, die fachlichen Qualifikationen des Mitarbeiters seien nicht ausreichend gewesen. Nur 9 Prozent trennten sich von einem Mitarbeiter, weil dieser zu überzogene Gehaltsvorstellungen hatte. Dass exzellentes Fachwissen von Mitarbeitern als alleiniges Kriterium für den Erfolg von Unternehmen und der Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht genügt, bewiesen gerade teilweise "hochgebildete" Manager im In- und Ausland jeden Tag aufs Neue, schreibt das Heidelberger Familien Büro (HBF). Angefangen von den milliardenschweren Betrügereien und Manipulationen von Börsenkursen im In- und Ausland [z.B. Vodafone/Mannesmann (Deutschland), Vivendi (Frankreich) oder Enron und Worldcom (USA)], über die Beihilfe deutscher Banken zur Steuerflucht, dem Verkauf von "Schrottimmobilien" deutscher Geldhäuser an tausende gutgläubige Geldanleger oder auch die alltägliche Erpressung ganzer Betriebsbelegschaften durch die Androhung von Standortverlagerungen.

Dass die Unternehmen die gravierenden Mängel an sozialer und persönlicher Kompetenz bei Berufseinsteigern den Schulen und Hochschulen anlasten, sei unter drei Gesichtspunkten bemerkenswert:

  1. Werde die Entwicklung der sozialen und persönlichen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen - nicht zuletzt dank der Dauerinterventionen der Wirtschaft - in unseren "turbo"schnellen und hochselektiven (Hoch)Schulen immer weiter an den Rand gedrängt.
  2. Verkennen die meisten Unternehmen genauso wie weite Teile der tonangebenden Experten, Medien, Verbandsvertreter und der Bevölkerung, dass Erziehung und Persönlichkeitsbildung nicht in den Schulen oder Kindergärten, sondern vorrangig in den Familien und deren persönlichem Umfeld stattfindet.
  3. Sei es vor diesem Hintergrund nicht weiter verwunderlich, wenn die Wirtschaft in der Existenzkrise unseres Gemeinwesens einerseits die Universallösung in der "Stärkung der Eigenverantwortung der Bürger" sieht; andererseits ganz unverdrossen die Politik anfeuere in ihrem Bemühen um "mehr Staat" bei der Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Dass dies ein folgenschwerer Irrtum sei, darauf hätten sowohl die Vordenker der sozialen Marktwirtschaft als auch renommierte Fachleute immer wieder hingewiesen.

Am 24-06-2004

Mehr übergewichtige Kinder in Deutschland

Soziale Herkunft beeinflusst Essverhalten

Rund ein Fünftel aller Kinder sind übergewichtig, acht Prozent sogar fettleibig. Diese Zahlen gehen aus einer aktuellen Statistik des Ministeriums für Verbraucherschutz hervor. Demnach belaufen sich die Folgekosten für die Behandlung ernährungsbedingter Krankheiten auf jährlich 71 Milliarden Euro. 11- bis 15-jährige Mädchen aus sozial schwachen Familien seien dabei dreimal so oft übergewichtig sind, wie aus wohlhabenden Familien. Bei den 11- bis 15-Jährigen Jungen seien es gut doppelt so viele. "Die Adipositas-Epidemie belastet in ungeheurem Maße unsere Gesundheitssysteme. Es muss ein großes politisches und volkswirtschaftliches Interesse bestehen, dieses Problem anzugehen und zwar im Kindesalter" ao Wolfgang Meyerhof, Abteilungsleiter für molekulare Genetik beim Deutschen Institut für Ernährungsforschung.

Dass übergewichtige Kinder häufig auch ihre Zähne schlecht pflegten, erklärt der wissenschaftliche Leiter der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, Helmut Heseker mit mangelnder Kenntnis und fehlendem Interesse.

Heseker bestätigt, dass seit mehr als 20 Jahren die Zahl übergewichtiger Kinder langsam, aber stetig nach oben gehe.

Einschulungsuntersuchungen belegten dies: "Seit 1982 ist deren Zahl von 7,5 Prozent auf 12,5 Prozent gestiegen." Viele dieser Kinder hätten nicht nur ästhetisch, sondern gesundheitliche Probleme. "Jeweils 35 Prozent haben entweder mit Bluthochdruck, frühen Gichtsymptomen oder erhöhten Bluttfettwerten zu kämpfen", sagt Heseker. Bei weiteren 35 Prozent machten sich bereits orthopädische Folgestörungen bemerkbar.

Am 01-07-2004

Europäisches Sozialforum endet mit enttäuschten Teilnehmern

Globaler Protest

Das dritte Europäische Sozial Forum (ESF) ist zu Ende: Für viele Teilnehmer waren die Vorträge und Diskussionen eine Enttäuschung. Nicht weil es an den drei Tagen an interessanten Persönlichkeiten fehlte oder zu wenig über Globalisierung berichtet wurde. Es war enttäuschend, weil die groß angekündigten Vorträge nicht hielten, was sie versprachen - Viele Veranstaltungen blieben in ihren politischen Visionen gefangen. Unter dem Motto "Another World is possible" (Eine andere Welt ist möglich) pilgerten über 20.000 Menschen für drei Tage in die britische Hauptstadt London. Das sind weit weniger Teilnehmer als in den Jahren zuvor. Teilnehmer gaben an, dass der Eintrittspreis von drei Euro in Paris auf 30 Euro in London gestiegen war. Betroffene der Globalisierung zahlten knapp die Hälfte. Trotzdem blieben Menschen aus Süd- und Osteuropa fern.

Die Mehrheit der Foren-Besucher kamen aus der politischen Linken. Es schien, als ob sich die Revolution des 19. Jahrhunderts in London neu formieren wollte: Vor jeder Veranstaltung stand eine resistente Schar Sozialisten und verteilte Zeitungen. Und über allem stand das Symbol "Bush" als Inbegriff für das Unrecht der Welt. Vergleichbar war die politische Richtung der Informationsstände in der größten Veranstaltungshalle: Mindestens die Hälfte der Infostände waren entweder sozialistisch, kommunistisch oder auf dem Weg dahin. Den restlichen Platz teilten sich kommerzielle Verkaufsstände und die großen Nichtregierungs-Organisationen wie der Umweltverband Greenpeace. Wieder kleinere Organisationen waren durch die Standgebühr von 200 Pfund verhindert.

Täglich gab es über 50 Veranstaltungen, die im zwei Stunden Rhythmus wechselten. Aus dieser Fülle an Informationen zogen die komplexen Titel der Groß-Veranstaltungen an: "Soziales Europa", "Globalisierung", "Die Macht der Öl-Firmen". Doch den Titel fehlte der Schwerpunkt. Zum Ende der Veranstaltung nutzten Aktivisten das Mikrofon, um ihre eigenen Meinungen vorzustellen. Höhepunkte waren Berühmtheiten, die entweder populistisch Atmosphäre schaffen konnten oder aus erfolgreichen Aktionen bekannt waren. Eine Frau aus Kolumbien berichtete über die Gefahren für Gewerkschaftler in ihrem Land mit dem Satz "It is better to die for something than to live for nothing." (Es ist besser für etwas zu sterben, als für nichts zu leben.).

Kleinere Veranstaltungen und die Workshops dagegen stellten konkret die Situation und die Probleme vor. So sprachen in den Workshops die Betroffenen selbst über ihr Leben als Asylanten oder Gewerkschaftler. Sprecher und Hörer kamen ins Gespräch. Das Sozial Forum machte, wofür es da war: Es vernetzte Aktivisten in ganz Europa; Es besprach konkrete Ideen für Aktionen. Das Sozial Forum war kein Ort mehr für die Sprachrohre der Betroffenen - die Organisationen. Es wurde ein Ort für die Betroffenen.

Am 19-10-2004

1,6 Millionen Menschen in besonderen Krisen - 2,8 Millionen Sozialhilfeempfänger

Mehr Krisen

Immer mehr Menschen sind auf staatliche Unterstützung in besonderen Krisenzeiten wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit angewiesen. Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag in Wiesbaden mitteilte, erhielten 2003 rund 1,6 Millionen Menschen Unterstützung aus dem größten Sozialhilfetopf "Hilfe in besonderen Lebenslagen". Das waren 3,3 Prozent mehr als 2002. Insgesamt wurden für diese Hilfeart mit 13,8 Milliarden Euro 5,1 Prozent mehr als im Vorjahr ausgegeben. Davon zu unterscheiden sind Sozialhilfeempfänger. Deren Zahl stieg nach früheren Angaben des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr auf den höchsten Stand seit 1998. Offiziell bezogen 2,81 Millionen Menschen Sozialhilfe. Das waren 54 000 Betroffene oder zwei Prozent mehr als 2002. "Hilfe in besonderen Lebenslagen" erhalten Menschen, die etwa wegen Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. 2003 machten diese Ausgaben den Statistikern zufolge 61 Prozent der gesamten Sozialhilfeausgaben der öffentlichen Hand aus, 2002 waren es 60 Prozent. Auf die "Hilfe zum Lebens­unterhalt", die zweite Haupthilfeart der Sozialhilfe, entfielen im vergangenen Jahr 39 Prozent aller Sozialhilfeausgaben.

Dem mit 40 Prozent größten Teil der Sonderhilfe-Empfänger wurde die Unterstützung wegen Krankheit gewährt. Dies waren 650 000 Personen, 4 Prozent mehr als 2002. In der Regel profitierten davon Menschen, die keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz besitzen. An sie gingen 1,5 Milliarden Euro Sozialhilfe.

Die Hilfe zur Eingliederung behinderter Menschen nahmen im vergangenen Jahr 593 000 Personen in Anspruch und damit 2,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Durchschnittsalter der Empfänger liegt bei 32 Jahren, der Ausländeranteil bei 5 Prozent. Diese Hilfeart beträgt 37 Prozent der Sonderhilfe.

Die Hilfe zur Pflege macht mit 320 000 Empfängern 20 Prozent an der "Hilfe in besonderen Lebenslagen" aus, 3,1 Prozent mehr als im Vorjahr. 235 000 von ihnen befanden sich in vollstationärer Pflege, das Durchschnittsalter lag bei 73,5 Jahren und wird zu 69 Prozent von Frauen in Anspruch genommen. Dafür wurden laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr 2,4 Milliarden Euro aufgewendet.

Am 25-11-2004

85 Prozent der älteren Ostdeutschen lehnen das vereinte Deutschland ab

"Sozialreport 50+ 2005"

Die Mehrheit der 50- bis 65-jährigen Ostdeutschen fühlt sich am Arbeitsmarkt ausgegrenzt. "Durch die zunehmende Ausgliederung vom Arbeitsmarkt wächst die Angst vor der Zukunft und das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden", sagte der Präsident der Volkssolidarität, Gunnar Winkler, am Montag in Berlin bei der Vorstellung des "Sozialreport 50+ 2005". 71 Prozent wollen weder das alte DDR-System wiederhaben, noch fühlen sie sich als Bundesbürger integriert. 14 Prozent sehnen sich nach der DDR zurück. Insgesamt sind also 85 Prozent mit dem wiedervereinigten Deutschland unzufrieden. Nur 13 Prozent der älteren Ostdeutschen haben das Gefühl, "richtige" Bundesbürger zu sein. Den 2,7 Millionen Bürgern dieser Altersgruppe stehe ein Defizit von 830 000 Arbeitsplätzen in Ostdeutschland gegenüber, betonte der Vorsitzende des größten ostdeutschen Wohlfahrtsverbands. Nur noch 41 Prozent der 50- bis 65-Jährigen im Osten befinden sich dem Report zufolge in einem Arbeitsverhältnis, 31 Prozent sind bereits in Rente oder in Altersteilzeit beschäftigt. Und 27 Prozent sind arbeitslos gemeldet beziehungsweise in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen integriert (5 Prozent).

Aus dem Report ergibt sich ein hohes Maß an Zukunftsängsten. 68 Prozent der befragten Gruppe ist mit der sozialen Gerechtigkeit in den neuen Bundesländern höchst unzufrieden. Allerdings geben nur 18 Prozent der Befragten an, mit ihrem Leben generell unzufrieden zu sein. Für 65 Prozent haben sich die Erwartungen seit der Wende jedoch nicht erfüllt.

Die Volkssolidarität legt seit 1990 alle zwei Jahre einen Report zur sozialen Situation älterer Menschen in Ostdeutschland vor. Für den vorgestellten 8. Report wurden vom Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Berlin-Brandenburg im vergangenen Jahr 1358 Bürger befragt.

Am 10-01-2005

Sozialverband gegen Ein-Euro-Jobs in der Privatwirtschaft

"Moderne Sklavenarbeit"

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) hat den Vorschlag des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Martin Wansleben kritisiert, Ein-Euro-Jobs auf die Privatwirtschaft auszudehnen. Adolf Bauer, Präsident des SoVD, bezeichnete den Vorschlag als "hoffentlich untauglichen Versuch", die "Einführung moderner Sklavenarbeit in Deutschland zu verschärfen". "Es ist schon unglaublich, was sich Arbeitgebervertreter in Deutschland erlauben in dem Ziel, die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter zu vertiefen", sagte SoVD-Präsident Bauer. Dieser Vorschlag gehe noch über die Forderung nach Niedriglöhnen und Sozialdumping hinaus. "Herr Wansleben stellt sich ein Armutszeugnis aus, wenn er eine solche Ausbeutung der Betroffenen und der Steuerzahler als 'kreative Lösung' bezeichnet", sagte Bauer. "Sein klares Ziel ist es, die Langzeitarbeitslosen als billigste Arbeitskräfte zu benutzen." Das sei verwerflich und werde der Verantwortung der Arbeitgeber in Deutschland in keiner Weise gerecht.

Niemand dürfe eine solche unsoziale und einseitige Arbeitsmarktpolitik unterstützen, meinte Bauer im Hinblick auf die Stiftung Marktwirtschaft, die nach einer Meldung im Handelsblatt den Vorschlag von Wansleben befürwortet habe. Der SoVD-Präsident forderte Regierung und alle politischen Parteien auf, sich von derart "unakzeptablen billigsten Vorschlägen" klar und dauerhaft zu distanzieren.

Der SoVD erinnerte daran, dass Ein-Euro-Jobs keine Beschäftigungsverhältnisse begründen, sondern nur begrenzte Arbeitsgelegenheiten darstellen dürfen. "Die Ein-Euro-Jobs dürfen nicht reguläre Arbeit verdrängen und müssen für die Betroffenen die Ausnahme bleiben", forderte Bauer. "So sieht es das Gesetz vor."

Der SoVD wies auch auf die überdurchschnittlichen Gewinne der Unternehmen in Deutschland in jüngster Zeit hin. Bauer: "Die Arbeitgeber in Deutschland können und müssen endlich normal sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt schaffen, statt Vorschläge zu unterbreiten, wie sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland vernichtet werden kann."

Am 12-01-2005

"Partei für Arbeit und soziale Gerechtigkeit - die Wahlalternative"

Politik aus einer anderen Küche?

Die "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (ASG) hat sich als neue Linkspartei gegründet. Einen entsprechenden Beschluss fasste am Samstag der Länderrat des bisherigen Vereins einstimmig in Göttingen. Der neue Name soll lauten. Zudem stimmte die Gründungsversammlung mit großer Mehrheit dafür, dass die neue Linkspartei bei der Landtagswahl Ende Mai in Nordrhein-Westfalen antritt. Bislang habe es in Deutschland an einer wahlfähigen Alternative gefehlt, sagte das Mitglied des geschäftsführenden Parteivorstandes, Thomas Händel, am Sonntag in Göttingen, wo die Parteigründung erfolgte. Die Politik von Rot, Grün, Schwarz und Gelb lasse sich nur noch nach Geschmacksnuancen unterscheiden, komme aber "aus ein und derselben Küche". Aus Protest gegen die rot-grüne Reformagenda hatten unzufriedene SPD-Mitglieder und kritische Gewerkschafter zunächst eine "Wahlalternative" und eine "Initiative ASG" gegründet, die sich im vergangenen Sommer zum Verein "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" zusammenschlossen. Im Dezember vergangenen Jahres hatten die WASG-Mitglieder mit großer Mehrheit für die Bildung einer Partei votiert. Derzeit hat die Wahlalternative nach eigenen Angaben rund 6300 Mitglieder.

An der Spitze der neuen Partei stehen die bisherigen Walalternative-Vorstandsmitglieder Axel Troost, Thomas Händel, Sabine Lösing und Klaus Ernst. Sie wurden als neuer geschäftsführender Parteivorstand gewählt. Der Länderrat verabschiedete zugleich das Statut und das Gründungsparteiprogramm. Damit sind die formalen Voraussetzungen für den Eintrag in das Parteienregister erfüllt.

Als Hauptziel formuliert die ASG eine solidarische Umgestaltung der Gesellschaft, die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit sowie die Schaffung eines leistungsfähigen Sozialstaates. Endgültig beschlossen werden soll das Programm auf dem ersten Parteitag (Bundesdelegiertenkonferenz) am 7. und 8. Mai. Zuvor soll es ab Ende Februar einen bundesweiten Programmkonvent geben.

Händel betonte, mit der neuen Partei wolle man künftig auf den Wahlzetteln präsent sein. Bislang habe es in Deutschland an einer wahlfähigen Alternative gemangelt. Zugleich erwartete er nach der Parteigründung einen Mitgliederschub. Händel räumte ein, dass man im Westen derzeit noch besser als im Osten aufgestellt sei. Er ging davon aus, dass viele PDS-Wähler durchaus bereit seien, künftig der neuen Linkspartei ihre Stimme zu geben.

Die neue Linkspartei steht nach eigenen Angaben in Verbindung zum früheren SPD-Chef Oskar Lafontaine. "Wir haben lose Kontakte, man kennt sich natürlich über längere Zeit", sagte Vorstandsmitglied Händel. Aus seiner Sicht wäre es "eine eindeutige Unterstützung unserer Bewegung", wenn Lafontaine zur neuen Partei stieße. Zwar habe sich dieser noch nicht entschieden, man sei aber immer noch guter Hoffnung, sagte Händel. In SPD-Kreisen in Saarbrücken hieß es nach einem Zeitungsbericht allerdings, Lafontaine habe nicht die Absicht, sich für die "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" wirklich zu engagieren.

Kritik kam derweil von der SPD. Bundestags-Fraktionsvize Ludwig Stiegler warnte vor einer möglichen Spaltung der sozialdemokratischen Bewegung. Eine solche Parteigründung und eine Beteiligung an Wahlen würde lediglich "konservativen und reaktionären Parteien und Kräften" nutzen, sagte der SPD-Politiker.

Am 24-01-2005

Wirtschaftsforschungsinstitut kann Abbau des Sozialstaates nicht erkennen

Armut nimmt zu

Nach dem aktuellen Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist seit dem Jahr 2000 in Deutschland ein neuerlicher Anstieg der Ungleichheit der Einkommen und der "relativen Einkommensarmut" zu beobachten. Einen "weitreichenden Abbau des Sozialstaates" kann das Forschungsinstitut allerdings nicht erkennen. Es zeige sich auch, "dass das sozialstaatliche Transfer- und Umverteilungssystem in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit nach wie vor funktioniert", schreibt das DIW in einer Pressemitteilung. "Es kompensiert die Unterschiede zwischen den am Markt erzielten Einkommen weiterhin sehr stark." Insofern könne "von einem tiefgreifenden Abbau des Sozialstaats nicht die Rede sein". Die These wird in der Pressemitteilung mit keinerlei Zahlen untermauert. Auf Nachfrage von ngo-online beim DIW zeigte sich, dass bei den zugrunde liegenden Zahlen nicht zwischen verschiedenen Einkommensschichten unterschieden wurde. Selbst Kindergeld und Rentenleistungen für Reiche flossen als "Sozialleistungen" in die Berechnungen mit ein. Eine Aussage darüber, ob bei ärmeren Schichten, die existenziell auf Sozialleistungen angewiesen sind, ein Abbau der finanziellen Leistungen stattgefunden hat, könne mit den DIW-Zahlen demnach nicht getroffen werden, räumte ein Mitarbeiter des Instituts ein. Man habe nur eine "globale Betrachtung" vorgenommen. Hinsichtlich des Anteils der in "relativer Armut" lebenden Menschen ergaben die Berechnungen des DIW, dass dieser im langjährigen Vergleich von 13,2 Prozent 1985 auf 15,3 Prozent im Jahre 2003 angestiegen ist. Im gleichen Zeitraum ist der Bevölkerungsanteil mit höherem und gehobenem Einkommen von 16 Prozent auf 20 Prozent gestiegen.

Trotz dieser zunehmenden Schere zwischen Arm und Reich wendet sich das DIW gegen den "Ruf nach weiterer Umverteilung". Anstelle von stärkerer sozialer Sicherung müsse die Arbeitslosigkeit als "Wurzel des Übels" bekämpft werden. Die Rezepte des DIW: "Langfristig muss im internationalen Wettbewerb auf eine bessere Bildung und Ausbildung insbesondere der am wenigsten Qualifizierten und eine sich daraus ergebende Verbesserung der Beschäftigungschancen geachtet werden", meinen die Wirtschaftsforscher, obwohl die Arbeitslosigkeit auch bei den gut ausgebildeten, hochqualifizierten Akademikern ständig zunimmt.

Am 26-01-2005

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