Beteiligt sind neben den beiden die Untersuchungen leitenden gerichtsmedizinischen Instituten von Hamburg und Bordeaux auch die Institute von Wien, Köln, Liège und Leipzig. Am Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig obliegt die Zusammenfassung und Interpretation der gewonnenen Daten der Ärztin Britta K. Gahr. "Daraus entstehen statistisch tragbare Aussagen über die Ausprägung von Gewaltpotential und -profil. Präventiv wirkt die Studie zudem, indem sie für die Gefahr von Wiederholungs-Straftaten sensibilisiert", so Gahr. "Alle Beteiligten werden so sicherer in der Entscheidung, ob beispielsweise ein Kind aus der Familie genommen werden muss oder ob man einer Frau zur Trennung raten sollte. Das ist auch wichtig, um zu intervenieren und dem Opfer zu seinem Recht zu verhelfen."
In die Studie einbezogen werden alle körperlichen Untersuchungen von Gewaltopfern, die Rechtsmediziner der beteiligten Institute von Oktober 2003 bis Oktober 2004 durchgeführt haben. Es werden schätzungsweise 3000 bis 4000 Fälle zusammenkommen, wobei die Großstädte ebenso analysiert werden wie deren ländliches Umfeld. Die Leipziger Rechtsmediziner bringen in die Statistik rückwirkend noch alle Untersuchungen seit Beginn des Jahres 2003 ein, so dass rund 250 Fälle aus dem Regierungsbezirk erfasst werden.
"Ziel der 'Daphne'-Studie ist es, eine umfassende Datenbank zu erstellen", so Britta K.Gahr. "Aus der können möglichst präzise Aussagen über Täter, Opfer, die Beziehung zwischen beiden und das Profil der Straftat insgesamt abgeleitet werden." Dazu wird sofort nach jeder körperlichen Untersuchung vom Gerichtsmediziner ein fünf Seiten umfassender Fragebogen ausgefüllt. Dieser anonymisiert das Opfer, so dass absolut keine Rückschlüsse auf die Identität zu ziehen sind, hält aber detailliert alle Fakten zur Tat und deren Auswirkungen fest.
Das sind unter anderem Geschlecht, Nationalität und Alter der Geschädigten und deren Beziehung zur beschuldigten Person, die Art der ausgeübten Gewalt, der Ort der Gewalttat und die Beteiligung von Alkohol, Medikamenten und Betäubungsmitteln. Besonders detailliert werden die körperlichen Folgen des Übergriffs dokumentiert, so zum Beispiel Stich-, Schuss- oder Bissverletzungen, Frakturen, Fesselungsspuren, thermische oder chemische Einwirkungen.
Aus dieser Zustandsanalyse soll außerdem eine Art Handbuch für den Umgang mit Gewaltopfern entstehen, dass die Art und Weise der Dokumentation festlegt und den Weg des Opfers optimiert. Diejenigen, die den Betroffenen zuerst begegnen, sind - auch wenn dies Teil ihrer Arbeit ist - oftmals nicht ganz sicher, was im konkreten Fall getan werden muss. Die Polizei ruft zu selten den gerichtsmedizinischen Experten, um die Verbrechensfolgen fachmännisch zu dokumentieren und eventuelle Spuren zu erkennen und zu sichern.
Mediziner in den Notaufnahmen beginnen in ihrer vollkommen korrekten Absicht schnell zu helfen, oft umgehend mit der Behandlung, denken allerdings selten oder zu spät an die zu sichernden Beweise, also an Fotos, Abstriche, Blutproben oder Material unter den Nagelrändern. In vielen Fällen ist für einen an den Umgang mit Gewaltopfern nicht so sehr gewöhnten Kollegen auch die Differenzierung zwischen Folgen eines Unfalls und einer Gewalttat schwierig zu treffen. Wenn das Opfer es sich nach dem Schock vielleicht anders überlegt hat und Anzeige erstatten will, ist ihm kaum noch zu helfen, weil keine Beweise vorliegen. Nicht zuletzt soll "Daphne" den Erstbetreuern dabei helfen, ihre Aufgabe als Glied einer ganzen Kette zu sehen. Sie müssten bewirken, dass das Gewaltopfer, das Polizeiwache oder Krankenhaus verlässt, nicht hilflos in seinen zerstörten Alltag zurückkehrt.
Und noch eine drittes Ziel verfolgen die an der "Daphne"-Studie mitarbeitenden Institute. "Wir wollen Modelle entwickeln, wie das Optimum an Betreuung aussehen könnte", erläutert Britta K. Gahr. "Eine Anregung kommt aus Bordeaux. Dort wird der Betroffene in dieser schlimmen Situation nicht zwischen Büros, Praxen und Labors hin- und hergeschickt, sondern er findet in einem Haus mit allen notwendigen Institutionen Unterschlupf . Wie in einem Kokon kann er dort ausruhen, kann bei einem Polizeibeamten seine Aussagen machen, sich von Rechtsmedizinern untersuchen und vom Notarzt behandeln lassen. Er findet im Psychologen einen Gesprächspartner und er bekommt, wenn nötig, auch Essen und neue Kleidung."
Auch wenn die Auswertung der internationalen Studie erst im Oktober beginnt, kann Britta K. Gahr schon jetzt einige Trend-Aussagen treffen: "Gewaltopfer sind am häufigsten Frauen, mehrheitlich zwischen 15 und 40 Jahren; die Hälfte der Übergriffe auf sie ist mit Sexualität verbunden. In reichlich zwei Dritteln der Fälle kennt das Opfer den Täter, zu etwa 10 Prozent war es der aktuelle Partner, häufiger jedoch der Ex-Partner. Zu einem knappen Drittel wird der Täter als unbekannt angegeben."