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Justizvollzug

Mehr Hilfe für Opfer statt immer härtere Strafen für Sexualstraftäter

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Vier von fünf schweren Sexualstraftaten werden von Ersttätern begangen. Trotz erheblich gestiegener Anzeigebereitschaft ist die Gesamtzahl der Sexualstraftaten gegen Kinder zudem in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gesunken. In den 50er und 60er Jahren gab es fast doppelt so viele Fälle von Kindesmissbrauch wie heute. Mit diesen Zahlen schaltet sich der Berliner Vollzugsbeirat in die Diskussion um immer schärfere Strafen für Sexualverbrecher ein. Das Gremium aus ehrenamtlichen Fachleuten, die den Berliner Senat beraten, fordert statt dessen, mit Sinn und Augenmaß zu strafen und den Opfern mehr Hilfe zu Teil werden zu lassen.


Alleine für Staatsanwaltschaft und Gefängnisse werden in Berlin jährlich über 200 Millionen Euro ausgegeben - hinzu kommen noch die Kosten der Gerichtsverfahren. Dem stehen nur 70.000 Euro für die Opferberatung gegenüber. "Diejenigen, deren Schmerz uns angeblich am meisten berührt, kommen zu kurz", beklagt sich Heischel. "Der Ruf nach immer härteren Strafen ist ein Irrweg, der den Opfern nicht hilft und auch keine künftigen Verbrechen verhindert. Der Ruf nach immer härteren Strafen ist eine teure und wahnhafte Sackgasse."

Auch die Anzahl der Sexualmorde an Kindern ist seit den siebziger Jahren von durchschnittlich neun pro Jahr auf durchschnittlich drei pro Jahr zurückgegangen - obwohl die Bevölkerungszahl der Bundesrepublik aufgrund der Wiedervereinigung deutlich größer wurde. Die Zahl der durch sonstige, meist elterliche Kindesmisshandlungen getöteten Kinder ist dagegen sechs- bis zehnmal so groß. Die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Kinder beträgt wiederum ein Vielfaches davon: 1995 waren es 402, im Jahr 2000 240 Kinder.

"Jede Verletzung, insbesondere von Kindern, ist eine zuviel", sagt Dr. Olaf Heischel, Vorsitzender des Vollzugsbeirats. "Das Bild, das teilweise pogromartige Veröffentlichungen verbreiten, darf jedoch nicht dazu führen, dass der Verstand ausgeschaltet wird." In den überfüllten Berliner Haftanstalten befinden sich wegen der genannten geringen Fallzahlen wenige Sexualstraftäter. "Die Anstrengungen der Strafvollzugsbehörden sind allerdings enorm, diese Täter zu einem veränderten Verhalten zu bringen, bevor sie nach Strafverbüßung wieder entlassen werden müssen", berichtet Heischel. So gab es in Berlin, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, schon lange vor Inkrafttreten der gesetzlichen Pflichtregelung am 1. Januar 2003 eine Spezialabteilung zur Behandlung von Sexualstraftätern in Haft und ein ausdrückliches Behandlungskonzept auf der Grundlage der Erkenntnisse von Therapeuten und Strafvollzugspraktikern.

Mit der Senatsverwaltung für Justiz und der Landesregierung setzt sich der BVB auch für die Umsetzung einer therapeutischen `Ambulanz´ für entlassene Sexualstraftäter ein. "Die Anzahl der Missbräuche von Vollzugslockerungen in der Form, dass Sexualstraftäter während der Haft erneut Sexualstraftaten begehen, liegt nahe Null", berichtet Heischel. "Dies beruht auf gründlichen, fachlich hoch qualifizierten Vorbereitungen und Prüfungen entsprechender Fragen. Vollzugslockerungen sind allerdings unverzichtbar, da sie die einzige Möglichkeit darstellen, noch Einfluss auf die Verurteilten auszuüben während sie gleichzeitig mit ihren späteren Lebensumwelt konfrontiert sind. Die künstliche (Männer-)Welt der Gefangenen in der Haft kann zwar deren guten Willen trainieren, nicht aber Fähigkeiten", so der Beiratsvorsitzende.

Der Berliner Vollzugsbeirat (BVB) ist ein unabhängiges vollzugspolitisches Gremium aus ehrenamtlichen Vertreter/inne/n gesellschaftlicher Institutionen (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, Berliner Ärztekammer, Freie Wohlfahrtspflege, Medien u.ä.). Seine Aufgabe ist es, sich für die Ziele und die Fortentwicklung des Strafvollzugs in den Haftanstalten und in der Öffentlichkeit zu engagieren.

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