DIE Internet-Zeitung
Tod bei Abschiebung

Hauptverhandlung in Frankfurt am Main nach dem Tod von Aamir Ageeb beginnt

Am

Am 2. Februar 2004 beginnt vor dem Frankfurter Amtsgericht der Prozess gegen drei BGS-Beamte, die den dreißigjährigen Aamir Ageeb am 28. Mai 1999 mit dem Lufthansaflug LH 588 von Frankfurt über Kairo nach Khartum abschieben sollten. Dabei waren eine Vielzahl von Zwangsmitteln, darunter Plastikfesseln, Klettbänder und ein Seil verwendet worden. Aamir Ageeb starb einen qualvollen Erstickungstod - von den BGS-Beamten gefesselt, fixiert, unter einem Helm in den Sitz gepresst.


Flüchtlingshilfsorganisationen wie Pro Asyl nehmen den Prozessbeginn zum Anlass, erneut die späte Eröffnung der Hauptverhandlung und die lange Ermittlungsdauer zu kritisieren. Nach fast 5 Jahren ist es schwierig, den genauen Ablauf des Geschehens festzustellen und die Kette der Verantwortlichkeiten und des Versagens zu rekonstruieren, die zum Tod von Aamir Ageeb geführt hat. Diese Aufklärung aber muss im Strafverfahren geleistet werden, damit der Umfang der persönlichen Verantwortlichkeit der Angeklagten festgestellt werden kann.

Eine große Rolle bei der Rekonstruktion der Verantwortungskette spielen neben dem individuellen Handeln der begleitenden BGS-Beamten und gesetzlichen Regelungen Dienstvorschriften des Bundesgrenzschutzes, die die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei Abschiebungen regeln. Wurde nach dem Tod des Nigerianers Kola Bankole im Jahre 1994 bei einer Abschiebung von Frankfurt aus wirklich alles getan, um Erstickungsrisiken auszuschließen? Die bislang bereits bekannt gewordenen Sachverhalte wecken laut Pro Asyl hieran erhebliche Zweifel.

Aus der Vielzahl der klärungsbedürftigen Fragen: Wurden die eingesetzten BGS-Beamten den damals geltenden Bestimmungen entsprechend ausgebildet? Haben sie sich bei ihrem Einsatz an geltende Dienstvorschriften gehalten? Wurden vor und bei der Abschiebung atembehindernde und erstickungsgefährdende Fesselungsmethoden bis hin zu sogenannten "hogtie"-Stellung (mit rücklings verzurrten Hand- und Fußgelenken) eingesetzt, obwohl vor der Gefahr lagebedingter Erstickungen schon Monate zuvor in Polizeiveröffentlichungen und im Spiegel gewarnt worden war? Gibt es eine Mitverantwortung der befehlsgebenden und der für die Ausbildung zuständigen BGS-Beamten? Wurden Fesselungsmittel eingesetzt, die schon aus Gründen der Flugsicherheit in Verkehrsflugzeugen nicht zulässig sind? Welche Rolle spielt der eingesetzte Integralhelm in Verbindung mit der gegen Aamir Ageeb eingesetzten körperlichen Gewalt? Durfte er verwendet werden, obwohl die notwendige Atemüberwachung so kaum möglich gewesen sein dürfte?

Fragen ergeben sich nicht nur in Bezug auf das Verhalten der eingesetzten BGS-Beamten und ihrer Dienstvorgesetzten, sondern auch hinsichtlich einer möglichen Mitverantwortung des fliegenden Personals der Lufthansa: Hat der eingesetzte Flugkapitän der Lufthansa die Fesselung des auch ihm anvertrauten Passagiers unter dem Gesichtspunkt der Flugsicherheitsvorschriften in Augenschein genommen? Welche Rolle hat das fliegende Personal der Lufthansa zu dem Zeitpunkt gespielt, als deutlich wurde, dass der um Atem ringende Ageeb verzweifelt versuchte, auf seine Situation mit Wimmern und Schreien aufmerksam zu machen? Haben sich die Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter der Lufthansa entsprechend ihrer Dienstvorschriften verhalten, als Ageeb ohnmächtig an den Sitz gefesselt blieb? Haben sie die ärztlichen Wiederbelebungsmaßnahmen unterstützt?

Die justizielle Aufarbeitung vergleichbarer Todesfälle bei Abschiebungen in anderen europäischen Staaten hat laut Pro Asyl gezeigt, wie viele Hindernisse es offenbar für die Rekonstruktion von Verantwortlichkeiten und Versäumnissen gibt und wie lange es in den meisten Fällen gedauert hat, bis Anklage erhoben wurde. Die parlamentarische Versammlung des Europarates hat bereits im Januar 2002 Besorgnis geäußert über die Zahl der Todesfälle, die auf die von den Mitgliedsländern des Europarates bei dem Vollzug von Ausweisungsverfügungen praktizierten Methoden zurückzuführen sind. Diese Methoden sind in Deutschland und der EU inzwischen neu geregelt und beschränkt worden. Allerdings ist in Deutschland zum Beispiel der Einsatz eines - veränderten - Helms wieder zugelassen worden. Darüber hinaus finden Abschiebungen verstärkt in einer Kooperation verschiedener europäischer Staaten mit Charterflügen statt. Zeugen für eine eventuelle lebensbedrohliche Gewaltanwendung gibt es unter diesen Umständen naturgemäß nicht.

Nach dem Grundsatz: "Im Zweifel für die Angeklagten" gehen die Flüchtlingshilfsorganisationen davon aus, dass die Tatbeteiligten den Tod von Aamir Ageeb nicht vorsätzlich herbeiführen wollten. Nach vorliegenden Informationen haben sie jedoch - um ihn gänzlich ruhig zu stellen, denn Widerstand leisten konnte er bereits nicht mehr - gemeinsam mit erheblicher Gewalt auf ihn eingewirkt und somit schwerste Verletzungen und als Folge auch seinen Tod in Kauf genommen. Die Bestimmung der Grenzen der Anwendung unmittelbaren Zwanges gehört zum Polizeialltag. Es geht um das elementare Menschenrecht auf Leben, das Vorrang vor jeder Dienstanweisung haben muss.

Der Tod des Aamir Ageeb verweist auch auf die Notwendigkeit, Vorwürfen über polizeiliche Misshandlungen und den Einsatz von Gewalt, die in keinem Verhältnis mehr zu den vorgeblichen Zwecken steht, immer wieder nachzugehen, wie dies amnesty international in einem Bericht vom Januar 2004 getan hat. Die Reaktionen der Berufsorganisationen der Polizei und der Innenminister belegen laut Pro Asyl, dass das Problem weiterhin einseitig behandelt wird: Es werde verleugnet.

Auswahl an Beiträgen zu den Stichworten