Ebenso vehement kritisierte Lubbers die derzeitige Fassung der Asylverfahrensrichtlinie, die noch nicht verabschiedet ist. Sie enthalte weitgehende Möglichkeiten - nämlich in 23 Kategorien von Fällen - Asylsuchende vom Verfahren ohne rechtliche Überprüfung auszuschließen. Einen Abwärtstrend zu einem immer restriktiveren Asylrecht stellt Lubbers ebenso fest wie die Tatsache, dass Flüchtlinge es immer schwerer haben, überhaupt Schutz in Europa zu finden.
In diesen Trend ordnet sich ein, dass Deutschland mit einigen anderen EU-Staaten eine "Superdrittstaatenregelung" forciert. Sie würde Problemstaaten wie Russland, Weißrussland, die Ukraine, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Kroatien, Mazedonien und die Türkei künftig zu potenziellen "sicheren Drittstaaten" machen. Lubbers übersieht allerdings, dass der Ministerrat in Dublin ungerührt seine Agenda der Restriktionen abarbeitet. Auch Lubbers Vorschläge laufen darauf hinaus, die immer schutzunwilligeren und zahlenmäßig immer weniger belasteten EU-Staaten weiter zu entlasten.
Sollten tatsächlich EU-Aufnahmezentren an den Außengrenzen eingerichtet werden und dort EU-Teams bestimmte Kategorien von Asylsuchenden behandeln, so wäre die Folge, dass abgelehnte Asylbewerber in großer Zahl in den Vorfeldstaaten der erweiterten EU landen würden. Lubbers Vorschlag, anerkannte Flüchtlinge in die EU im Rahmen eines Systems der Lastenteilung aufzunehmen, heißt in der Praxis: die kontrollierte Aufnahme einer vermutlich geringen Anzahl von Flüchtlingen im Rahmen restriktiver Verfahrensregelungen.
Bundesinnenminister Otto Schily hat die Konferenz genutzt, seine Kollegen nochmals darüber ins Bild zu setzen, dass die europäische Harmonisierung auf das Ergebnis der innerdeutschen Auseinandersetzung um das Zuwanderungsgesetz zu warten hat. Währenddessen übernimmt er bei der Durchsetzung weiterer Maßnahmen gegen Flüchtlinge eine offensive Rolle. Die Feststellung, dass die Mehrheit der Asylsuchenden in Deutschland türkische Staatsangehörige sind, hat Schily zum Anlass genommen, sich für ein EU-Rückübernahmeabkommen mit der Türkei einzusetzen. Über die Tatsache, dass Menschenrechtsverletzungen und Folter in der Türkei fortexistieren, ging Schily hinweg.
Ein mit 30 Millionen ausgestatteter EU-Fonds soll gemeinsame Rückführungsmaßnahmen finanzieren, wobei insbesondere an den verstärkten Einsatz von Abschiebungscharterflügen gedacht ist. Der Rat der EU hatte sich bereits darauf geeinigt, die Charterflugpraxis auf Gemeinschaftsebene zu regeln - ohne die Stellungnahme des Europäischen Parlaments abzuwarten.
Die französische Flüchtlingsorganisation Cimade hat sich in einem Appell, den inzwischen viele europäische Organisationen unterschrieben haben, gegen die demütigende Praxis der Charterflüge gewendet. Die Praxis der Sammelabschiebungen in Chartermaschinen führe zwangsläufig dazu, dass die zuständigen Behörden die Prüfung der Einzelsituation vernachlässigen. Auch sei die Zwangsvollstreckung solcher Sammelrückführungen nur durch die Anwendung von Polizeimethoden und -techniken durchführbar, die jederzeit in Brutalität und Gewalt ausarten und zur Verletzung der körperlichen Integrität oder gar zum Tod der Abzuschiebenden führen könnten.
Auf die Tagesordnung gesetzt hat Schily am Rande der Konferenz die Abschiebung afghanischer Kriegsflüchtlinge, die die letzte deutsche Innenministerkonferenz noch für unmöglich hielt. Wo deutsche Polizisten, Soldaten und Angehörige von Hilfsorganisationen zugange seien, so Schily, müssten auch afghanische Flüchtlinge leben können. So schlicht lesen sich auch die Textbausteine in den Ablehnungsbescheiden des ihm unterstellten Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Auf diese Weise animiert Schily von Dublin aus die deutschen Innenminister zu einer verschärften "Rückführungspolitik", die die konkrete Sicherheitslage vor Ort weitgehend ausblendet.