Umweltprobleme haben meistens vielschichtige Ursachen. Allein durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse und technische Entwicklungen lassen sie sich oft nicht lösen. So spielten zum Beispiel auch bei der Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes politische und soziale Probleme eine entscheidende Rolle: Siedler und Kleinbauern, die in die Regenwaldgebiete eingewandert sind, haben häufig stark zur Degradierung des Bodens beigetragen, leiden aber auch selbst unter den ökologisch katastrophalen Folgen. Dr. Martina Neuburger vom Geografischen Institut der Universität Tübingen hat im Rahmen des Forschungsschwerpunktes Lateinamerika die wirtschaftlich-sozialen Lebensbedingungen in der Pantanal-Region untersucht.
"Die brasilianische Regierung hat in den 1960er Jahren begonnen, die wirtschaftliche Dynamik im Landesinneren zu fördern, um Amazonien stärker in den Staat einzubinden, aus geopolitischen Gründen wie auch zur Grenzsicherung", erklärt Neuburger. Neue große Fernstraßen verbanden Südbrasilien mit den nördlichen Regionen, Einwohner des Südens ohne Landbesitz sollten im Norden angesiedelt werden. Die Region in der Umgebung des Pantanal als "Tor zu Amazonien" wurde dabei bereits am Anfang dieser Entwicklung erschlossen. Anderthalb Jahre lang hat Neuburger einen Landesteil im Westen an der bolivianischen Grenze untersucht, das Hinterland von Cáceres.
In der hügeligen Landschaft war der sonst übliche Sojaanbau nicht möglich. In der Region, die ursprünglich von kleinbäuerlicher Produktion geprägt war, entstand eine auf den Export ausgerichtete mittelbetriebliche Viehwirtschaft. Die Forscherin hat untersucht, mit welchen Strategien der Krisenbewältigung die wenigen Kleinbauern, die sich trotz der zunehmenden Landbesitzkonzentration in der Region halten konnten, zu überleben versuchen. Bei ihrer Analyse in drei Dörfern zeigten sich große Unterschiede in den Überlebensstrategien.
Besitz- und kapitallose Kleinbauern, die in den 1970er Jahren in die Pantanal-Region kamen, besetzten Land mit schlechter Bodenqualität. Nur kurze Zeit war der Anbau von Grundnahrungsmitteln wie Reis, Bohnen und Mais möglich. Dann war der Wald gerodet, der Boden weggeschwemmt.
Die Bauern säten Weidegräser aus und stellten auf Milchwirtschaft um. Sie konnten allerdings kein eigenes Milchvieh kaufen, sondern nutzten das Zeburind, das eigentlich für die Mast gezüchtet worden war. "Der Milchertrag war sehr gering. Das Einkommen war so klein, dass die jungen Leute weiter nach Amazonien hinein oder in die Städte abwandern mussten", berichtet Neuburger. Die verbleibenden Menschen in dem abgelegenen Gebiet gerieten durch die Globalisierung in Probleme: "Der brasilianische Staat baute Handelsschranken ab, sodass ein italienischer Hersteller von Milchprodukten massiv in die Region drängte, die örtliche Milchkooperative kam unter Druck, die Milchpreise sanken weiter", sagt die Forscherin. Außerdem machte sich selbst auf den lokalen Absatzmärkten die im Zuge der Globalisierung weltweite Vereinheitlichung der Konsummuster und das veränderte Gesundheitsbewusstsein bemerkbar, das keinen Platz mehr für die traditionellen kleinbäuerlichen Produkte wie Schweineschmalz und Rohrzucker ließ.
So wurden die geringen Einkommensmöglichkeiten weiter reduziert. "Die Menschen wurden schließlich aus allen Lebensbereichen hinausgedrängt. Denn auch die Gemeinden hatten Finanzprobleme beim Straßenbau, die Dörfer wurden von den regionalen Märkten abgeschnitten."
Die Siedler des zweiten, von Martina Neuburger untersuchten Dorfes kamen aus Kaffeebauregionen. Mit ihrem wenigen Kapital bauten sie auch in der Pantanal-Region Kaffee an. "Bereits Ende der 1980er Jahre waren sie am Ende, das Mikroklima war für Kaffee nicht geeignet. Außerdem hat der brasilianische Staat die Kaffeepreise nicht länger aufrecht erhalten", berichtet die Geografin. Doch nicht alle Bauern begannen nun mit Milchwirtschaft. "Einige der Bauern hatten noch Kontakte in die alten Kaffeeregionen um Sao Paulo und konnten beobachten, dass dort die Großbetriebe zunehmend auf Ananas, Papaya, Zitronen und Orangen setzen. Sie wollten nun selbst Obst für die eigene Region produzieren, hier gab
es also unternehmerisches Denken", hat die Forscherin beobachtet. Die Bauern haben sich dann zu kleinen Handelsgesellschaften zusammengeschlossen und den Obstanbau modernisiert, um den Supermärkten immer gleiche Mengen in gleicher Qualität bieten zu können. Im nächsten Schritt hat die Handelsgesellschaft Maschinen angeschafft, um das Obst zu Konzentrat zu verarbeiten und dieses selbst zu vermarkten. "Damit haben die Kleinbauern den Großhändlern einen gewissen Raum abgetrotzt", fasst Neuburger zusammen.
Im dritten Dorf erging es den Kleinbauern zunächst ähnlich wie in den anderen Dörfern. Die ursprünglichen Kaffeebauern lebten nun von dem geringeren Einkommen der Milchwirtschaft. "Hinzu kam hier eine deutliche Verschlechterung der Infrastruktur bei Gesundheit und Bildung, zum Beispiel reichte die Krankenversorgung nicht mehr für alle. Diese Entwicklungen hatten vor allem für die Frauen Konsequenzen, da sie sich um Kinder und Alte kümmern", sagt Martina Neuburger.
Durch Abwanderung verschlechterten sich Nachbarschaftshilfe und soziale Netze. Die Frauen ergriffen dann selbst die Initiative und gründeten mit Hilfe von Sozialarbeiterinnen, die in Brasilien eine sozial-landwirtschaftliche Beratung bieten, eine eigene Vereinigung. "Das war ein Novum und hat für Furore gesorgt", erzählt die Forscherin. Die Frauen haben aus eigener Kraft die Ernährungssituation und die Gesundheitsversorgung verbessert. "Überraschend war auch für die Frauen selbst, dass sie damit auf einmal politisches Gewicht erhielten." Insgesamt war das aber ein labiler Erfolg. Das zeigte sich, als ein neuer Bürgermeister antrat, der die Aktionen nicht mehr so stark unterstützte.
Welches Entwicklungskonzept könnte den Menschen in der Pantanal-Region nun helfen? "Bis in die 1980er Jahre ging man in der Entwicklungszusammenarbeit davon aus, dass die Menschen auf dem Land nicht wissen, wie man produziert und dass man sie schulen müsste", erklärt Neuburger. Doch häufig sei die Vermarktung der Produkte das eigentliche Problem. Die Forscherin hat außerdem festgestellt, dass die Kleinbauern aus ihrem eigenen Lebenszusammenhang heraus durchaus logisch vorgehen. "Anfang bis Mitte der 1990er Jahre bekamen die Kleinbauern billige Kredite oder sogar Zuschüsse vom Staat angeboten. Die Agrarbehörden stellten fest, dass die Bauern dieses Geld nicht wollten", erzählt die Geografin. Denn die Bauern hätten beobachtet, wie andere trotz der Kredite gepfändet wurden, weil sie zu viel riskiert hatten.
Auch seien die allgemeinen Erfahrungen mit dem Staat immer schlecht gewesen. Wieder andere Bauern haben die Kredite im Sinne der Behörden nicht vernünftig verwendet. "Statt fünf Stück Vieh wurden vielleicht nur drei gekauft, der Rest ging in Fernseher oder Feste. Damit stieg das Ansehen im Dorf - für den Lebenszusammenhang ist das logisch und für die Sicherung der Unterstützung durch Nachbarn in Krisensituationen mindestens so wichtig wie monetäres Einkommen", sagt die Forscherin. Sie hat nur drei Fallstudien in einem relativ kleinen Gebiet gemacht und ist bei den Kleinbauern auf drei unterschiedliche Strategien gestoßen, mit Krisen fertig zu werden. "Ein einziges nationales Programm zur Entwicklung für alle erscheint nicht sinnvoll", zieht Martina Neuburger Bilanz.