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Amazonas-Regenwald

Neue brasilianische Regierung plant Bauten mit katastrophalen Auswirkungen

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Heftige Kritik an Erschließungsmaßnahmen, welche die neue brasilianische Regierung unter Staatspräsident Lula in den Regenwäldern Amazoniens plant, übt die Internationale Expertenkommission (International Advisory Group) IAG, welche das Pilotprogramm zur Rettung der Wälder Brasiliens begleitet. Sie übergab ihr Gutachten im Juli in der Hauptstadt Brasilia dem brasilianischen Umweltministerium.


Die 5 brasilianischen und 2 deutschen Wissenschaftler befassten sich mit dem im Mehrjahresplan 2004-2007 der Regierung Lula vorgesehenen Ausbau des Rio Madeira als Wasserstraße, der Asphaltierung der Bundesstrasse BR 163, die von Cuiaba nach Belem quer durch Amazonien führen soll, einer Gaspipeline von Urucu nach Porto Velho sowie zwei großen Staudammvorhaben zur Stromgewinnung.

"Wir mussten in unserem Gutachten die Regierung Lula auffordern, all diese Vorhaben grundlegend zu überdenken, denn wir konnten nachweisen, dass im Falle der Realisierung katastrophale Folgen für die dort lebende Bevölkerung und für die Wälder Amazoniens vorprogrammiert sind" begründet Prof. Dr. Manfred Niekisch, Mitglied der Kommission und Vizepräsident des Deutschen Naturschutzringes DNR, die ungewöhnlich scharfe Formulierung des Gutachtens.

Als Beispiel für die Unsinnigkeit der Vorhaben führt Niekisch den Ausbau des Rio Madeira zur Wasserstraße an. "Das brasilianische Konsortium begründet die Pläne unter anderem damit, bei verbesserten Transportmöglichkeiten könne die Sojaproduktion von derzeit 3 auf dann 28 Millionen Tonnen gesteigert werden.

Dazu benötigt man bei den vorgesehenen 500 Quadratkilometern Staufläche weitere 80.000 Quadratkilometer Anbaufläche, und zwar vor allem in bisher intakten Waldgebieten. Davon ist nirgends die Rede. Sogar Indianerschutzgebiete wären betroffen" rechnet Niekisch vor. Die Experten wiesen auch darauf hin, dass zehntausende von Kleinbauern, die bisher an den Flussufern wirtschaften und viele Dörfer, die vom Fischfang leben, durch die Staumaßnahmen ihre Lebensgrundlage verlören und dann in neu zu erschließende Waldgebiete ausweichen müssten.

"Die Lage vor allem im Süden Amazoniens ist schon jetzt völlig chaotisch" charakterisiert Manfred Niekisch, der an der Universität Greifswald internationalen Naturschutz lehrt, die aktuelle Situation. "Allein die Aussicht auf die geplanten Maßnahmen führt in großem Stil zu illegaler Landbesitznahme und zum Kahlschlag auch geschützter Primärwälder. Bei Überfliegungen in den Bundesstaaten Amazonas und Rondonia letzte Woche stellten wir fest, dass es nicht arme Kleinbauern sind, die

dort die Wälder zerstören, sondern agroindustrielle Großbetriebe, die mit schwerem Gerät große Waldflächen illegal freischlagen. Die brasilianischen Behörden sind so weit weg, dass sie noch nicht einmal zusehen können, geschweige denn handeln".

In Gesprächen mit den Experten bestätigten die staatlichen Naturschutzbehörde IBAMA und die Landvergabe- und Katasterbehörde INCRA, dass sie weder über genügend Personal noch über Fahrzeuge verfügen, um die Lage auch nur einigermaßen unter Kontrolle zu halten. "In Brasilien gibt es noch nicht einmal ein funktionierendes Katastersystem" ergänzt Niekisch.

Ein weiteres Beispiel für Fehlplanung ist die geplante Gaspipeline zur Versorgung der 400.000 Einwohner-Stadt Porto Velho mit Strom. "Die Pipeline würde durch noch ungestörten Regenwald führen, ist aber völlig unsinnig. Es gibt Alternativen, beispielsweise die Verlängerung einer schon bestehenden Stromleitung. Dies wäre ökonomisch viel sinnvoller und ökologisch unbedenklich" gibt Niekisch das Ergebnis der

Expertenanalyse wieder. "Wir haben also keineswegs nur kritisiert, sondern in allen Fällen Wert darauf gelegt, bessere Lösungen aufzuzeigen." Im übrigen sei bei hier nicht einmal geklärt, wem die Flächen an der 520 km langen Trasse gehören.

Ähnlich schlampig sei die erste Umweltverträglichkeitsstudie zu den Staudämmen durchgeführt. "Hier werden Fischarten genannt, die nur mehr als tausend Kilometer entfernt in den Küstenwäldern vorkommen, aber sicher nicht in Zentralamazonien, wo man die Staudämme plant" kritisiert der Biologe Niekisch.

Die neue brasilianische Umweltministerin Marina Silva versicherte dem Expertenteam, dass sie sich der Problematik bewusst sei und die Vorschläge intensiv prüfen werde. Die aus einfachsten Verhältnissen stammende Ministerin war früher selbst Kautschuk-Zapferin und lernte erst im Alter von 16 Jahren Schreiben und Lesen. Sie gilt als in der Regierung einflussreich. "Wir wünschen Frau Silva, dass sie sich in der Regierung Lula durchsetzen kann, doch ist Eile geboten" fasst Niekisch die Stimmung des Teams zusammen, welches im Rahmen des Pilotprogramms zur Rettung der Wälder Brasiliens tätig ist.

Deutschland ist an der Finanzierung dieses seit 10 Jahren bestehenden Programmes mit rund 350 Millionen US-Dollar beteiligt. "Nach brasilianischen Regierungsangaben ist die Abholzungsrate in den Regenwäldern des Amazonas in den letzten Jahren weiter stark angestiegen. 16 Prozent der Wälder gelten offiziell als vernichtet" führt Niekisch aus, "doch ohne dieses Programm wäre die Situation wohl noch viel schlimmer.

Gerade jetzt dürfen sich die internationalen Geber nicht aus Brasilien zurückziehen. Aber natürlich wollen wir einen auf Dauer funktionierenden, innerbrasilianischen Finanzierungsmechanismus für den Schutz der Amazonaswälder entwickelt sehen. Deshalb schlagen wir, nach dem Modell der Alaska Permanent Fund Corporation, eine `Amazonas-Steuer` auf alle Produkte von dort vor. Damit könnte Brasilien seine Tropenwälder erhalten. Dies liegt im nationalen und internationalen Interesse". Im Dezember diesen Jahres wird das Expertenteam ein weiteres Gutachten zum Stand der Umsetzung des Pilotprogrammes vorlegen.

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