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Der Senat hätte sich in der gesundheitlichen Versorgung von Gefangenen deutlich von den europäischen Standards entfernt. "Die Empfehlungen des Europarats sind eindeutig: Menschen in Justizvollzugsanstalten stehen die gleichen medizinischen Leistungen zu wie Menschen außerhalb der Gefängnismauern. Gefangene haben wie alle anderen das Recht auf adäquate Aufklärung, das Einhalten der ärztlichen Schweigepflicht, die Erreichbarkeit eines Arztes rund um die Uhr sowie ein Zustimmungsrecht vor allen diagnostischen und therapeutischen Eingriffen." sagt Dr. Dorothee Freudenberg, gesundheitspolitische Sprecherin der GAL-Fraktion.
Ein Drittel der Hamburger Strafgefangenen ist nach Auskunft des Senates drogenabhängig.
Substitution
Drogenabhängigkeit ist eine behandlungsbedürftige Krankheit. Eine etablierte Behandlungsmethode der Opiatabhängigkeit ist die Substitution mit Methadon, die nach den seit 01.01.03 gültigen Richtlinien der Bundesärztekammer in vielen Fällen auch langfristig medizinisch geboten ist. Im letzten halben Jahr ist die Anzahl der substituierten Gefangenen in Hamburger Justizvollzugsanstalten jedoch um über ein Drittel von 300 auf 195 gesenkt worden. Nur noch für Kurzinhaftierte, HIV-Kranke und Opiatabhängige mit bösartigen Tumoren wird im Einzelfall die dauerhafte Substituierung bewilligt. Während Justizsenator Kusch stolz auf diesen Behandlungsrückgang ist, übt die Grüne Abgeordnete heftig Kritik: "Die auch von den Krankenkassen anerkannte Therapie der schweren Opiatabhängigkeit wird im Hamburger Justizvollzug der ideologischen Verblendung des Senats geopfert".
Methadon würde in den Gefängnissen meist zu rasch abgesetzt. Die Psychiaterin Dr. Freudenberg befürchtet, dass die angemessene Behandlung von Entzugssymptomen nicht gewährleistet ist. "Der zwangsweise Entzug ist auch wegen der zentralen Bedeutung der Motivation bei der abstinenzorientierten Suchttherapie fragwürdig. Und er ist nachgewiesen gefährlich wegen der Gefahr der Überdosierung nach der Haftentlassung".
Prävention gegen Infektionen
Der Abbau der Spritzenautomaten und die Beendigung der Ausgabe von sterilen Spritzen durch Krankenpflegepersonal birgt die Gefahr von Spritzenabszessen und der Übertragung von HIV- und Hepatitisinfektionen. Der Senat hält den weitgehend drogenfreien Justizvollzug und die Erwirkung des Ausstiegs aus der Sucht für die wirksamste Maßnahme zur Vermeidung der drogenbezogenen Übertragung von HIV und Hepatitis im Strafvollzug. Er gibt gleichzeitig an, die mit Hepatitis infizierten Gefangenen würden statistisch nicht erfasst.
Angesichts der allgemein großen Verbreitung von Spritzengebrauch und Drogenkonsum in Haftanstalten sei es unerlässlich, sich über Infektionsrisiken und Schutzmöglichkeiten Gedanken zu machen. "Von den gesundheitlichen Folgen seiner Handlungen will der Senat offensichtlich nichts wissen, sonst würde er die Daten erheben", kritisiert Freudenberg.
Justizsenator Kusch propagiert den drogenfreien Knast. Neben der gewollten und auch umgesetzten Repression wurden mehr therapeutische Angebote für drogenabhängige Strafgefangene angekündigt. Davon ist noch fast nichts umgesetzt.
Grundlagen der Substitutionsbehandlung
Eine Abschaffung der Substitutionsbehandlung würde zu einem Anstieg von Elend, Kriminalität und tödlichen Krankheiten führen. Die Substitutionsbehandlung ist internationaler Standard seit mehreren Jahrzehnten: Sie ist die am weitesten verbreitete und erfolgreichste Behandlung der Heroinabhängigkeit, sie reduziert die Sterblichkeit und das Infektionsrisiko für Hepatitis und HIV wesentlich.
Die Substitution ist Teil der vertragsärztlichen Versorgung auf die Patienten Anspruch haben. Auch wenn keine weiteren Erkrankungen vorliegen, erkennen die neuen BUB-Richtlinien, gültig ab dem 01.01.2003, die manifeste Opiatabhängigkeit als Behandlungsgrund an. Demzufolge würde es dem Gleichheitsgrundsatz der Gleichbehandlung inhaftierter und nicht-inhaftierter Patienten widersprechen, wenn diese Richtlinie für vertragsärztliche Behandlung gemäß §135 des SGB V für Haftinsassen nicht gilt. Ein erzwungener Entzug während der Haft erhöhe das Sterblichkeitsrisiko durch Überdosierung massiv. In den letzten zehn Jahren hätte die Substitutionsbehandlung in den Haftanstanstalten die Zahl der Überdosierungen und Todesfälle reduziert, die Ausbreitung von HIV und Hepatitis C unterbunden und den Gefängnisalltag entspannt. Beispielweise konnte in Frankreich das Risiko einer erneuten Inhaftierung von heroinabhängigen Häftlingen durch eine Substitutionsbehandlung von 40 auf 20 Prozent gesenkt werden. Darüber hinaus würde durch alle diese Maßnahmen die Resozialisierung der Haftentlassenen gefährden.
Spritzenvergabe im Gefängnis
Besonders gefährlich für die Insassen sei die Abschaffung der Spritzenautomaten: das Infektionsrisiko wird vergrößert, aber der Drogenkonsum geht nicht zurück; sie seien aber grundsätzlich die wirksamste Maßnahme zur Begrenzung von HIV und Hepatitis und zur Vermeidung von Spritzenabszessen.