DIE Internet-Zeitung
Interview mit Dr. Hermann Scheer

"Die UNO darf sich nicht zum Hilfsorgan eines illegitimen Krieges machen"

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Dr. Hermann Scheer Präsident von EUROSOLAR und Abgeordneter des Deutschen Bundestages (SPD), spricht sich gegen eine UN-Truppe zur Friedenssicherung im Irak aus, wenn gleichzeitig der Irak von Amerikanern regiert wird. "Damit würde sich die UNO nachträglich zum Hilfsorgan eines illegitimen Krieges und einer illegitimen Konstellation machen." Der Träger des Alternativen Nobelpreises sagte im Gespräch mit ngo-online, der Zugang zu den globalen Ressourcen stehe im Zentrum der US-amerikanischen Sicherheitspolitik. Die USA wollten das irakische Erdöl unter ihre Kontrolle bringen und privatisieren. Hermann Scheer fordert eine europäische "Schwerpunktstrategie zur Mobilisierung Erneuerbarer Energien", um Kriege um Ressourcen künftig zu vermeiden.


Warum sind die USA in den Irak einmarschiert?

Hermann Scheer: Das Erdöl geht in etwa 40 Jahren zu Ende, wenn der Weltölverbrauch anhält. Das heißt: Es kann auch früher zu Ende sein, denn der Weltenergiebedarf wächst, siehe China und Indien und die Zunahme der Welthandelsströme durch die WTO. Deshalb die amerikanische Strategie, durch eine Kontrolle der Ölreserven in der Golfregion, die zwei Drittel der Gesamtreserve ausmachen, unter ihre politische Kontrolle zu bringen, um möglichst lange billiges Erdöl zur Verfügung zu haben. Diese Strategie zielt auf den in den nächsten Jahren eintretenden Zeitraum, in dem nicht mehr genug Erdöl für alle da ist und massive Preissteigerungen auf dem Weltmarkt zu erwarten sind. Die Alternative, verstärkt auf Erdgas umzusteigen, hat keine Perspektive. Auch die Erdgasressourcen stehen kaum länger zur Verfügung als die von Erdöl, und es gibt vergleichbare Abhängigkeiten.

Können Sie diese These vom Krieg ums Öl belegen?

Hermann Scheer: Es gibt zwei Grunddokumente, die diese Strategie begründen: Der amerikanische Energiereport aus dem Jahr 2001, der unter Federführung von Vizepräsident Cheney entstand. Dieser empfiehlt, die weltweiten Ressourcenzugänge ins Zentrum der amerikanischen Sicherheitspolitik zu heben. Das zweite Dokument ist die neue Militärstrategie, mit der sich die USA selber ermächtigen, gegenüber vermuteten Bedrohungen ihrer Interessen militärisch zu intervenieren.

Wir sollten zwei hoch offizielle Aussagen von Präsident Bush nicht übersehen. Die erste war in seiner Rede im Januar vor dem US-Kongress, in der er betonte, dass man die weltlebenswichtigen Ressourcen des Irak nicht dem gegenwärtigen Regime überlassen dürfe. Die zweite war das Ultimatum 48 Stunden vor Kriegseröffnung an Saddam Hussein, das Land zu verlassen, damit Amerika ohne Krieg die Okkupation vornehmen könnte.

Die militärische Okkupation stand also von vornherein fest. Das abgegebene Versprechen, dass das Erdöl des Irak dem irakischen Volk gehören soll, steht im unmittelbaren Widerspruch zu der gleichzeitig verkündeten Absicht, unverzüglich das Erdöl zu privatisieren. Es wird kein irakisches Unternehmen geben, das in der Lage ist, die Erdölquellen zu kaufen.

Aus welchen Gründen wollten Großbritannien und Spanien diesen Krieg?

Hermann Scheer: Großbritannien läßt die USA in der Golfregion ohne seine Mitwirkung nichts machen. Zwei der fünf Weltgrößten Erdölkonzerne sind britisch. Das ist die Antwort. Was weitere Länder wie Spanien anbetrifft, so liegt die Antwort darin, durch Mitwirkung von den USA an den privilegierten Zugängen zum Erdöl beteiligt zu werden.

Wie ist die französische Position zu erklären?

Hermann Scheer: Frankreich hat prinzipielle Einwände gegen diesen Krieg, weil dieser zu einer Unterordnung unter die amerikanische Ressourcenstrategie zwingen soll. Außerdem sollte man nicht unterstellen, dass es nicht auch humanitäre Gründe hinter der frazösischen Position gibt.

Warum ist die deutsche Bundesregierung gegen diesen Krieg?

Hermann Scheer: Es sind in erste Linie humanitäre Gründe, weil mit diesem Krieg mehr Unfriede gestiftet wird als Friede und die internationale Rechtsordnung schwerwiegend verletzt wird. Dass eine Ressourcenstrategie hinter der amerikanischen Ambition steckt, haben allerdings viele noch nicht erkannt.

Kann man, muss man von der Bundesregierung verlangen, dass sie den USA Überflugrechte, Fuchs-Spürpanzer, die Beteiligung an der Luftaufklärung über der `Türkei </2019/08/24/tuerkei-nachrichten/>`_ und die Bewachung amerikanischer Stützpunkte in Deutschland verweigert?

Hermann Scheer: Dass die Bundesregierung die Überflugrechte und die anderen Dinge nicht in Frage stellt, hängt allein damit zusammen, dass sie die durch die deutsche Kriegsablehnung getrübten deutsch-amerikanischen Verhältnisse nicht noch weiter zerrütten lassen will.

Deutschland möchte sich im Falle einer Niederlage des jetzigen irakischen Regimes mit einer sogenannten Friedenstruppe im Irak engagieren. Wird Deutschland eine Besatzungsmacht des Irak?

Hermann Scheer: Deutschland kann, darf und wird keine Besatzungsmacht im Irak werden. Die humanitären Hilfsmaßnahmen, die in jedem Fall nötig sind, sollte das Internationale Rote Kreuz und seine Schwesterorganistation, der Grüne Halbmond, in die Hände nehmen. Die Hauptverantwortung für die Behebung der mutwilligen Kriegsschäden im Irak haben diejenigen, die den Krieg geführt haben. Für mich ist eine UN-Truppe zur Friedenssicherung undenkbar, wenn gleichzeitig der Irak von Amerikanern regiert wird. Damit würde sich die UNO nachträglich zum Hilfsorgan eines illegitimen Krieges und einer illegitimen Konstellation machen.

Der französische Ölkonzern Total Fina Elf geht davon aus, nach dem Irak-Krieg an der Ausbeutung der Ölreserven beteiligt zu werden. Kann sich auch die deutsche Wirtschaft auf eine Beteiligung an den Kriegsgewinnen freuen?

Hermann Scheer: Ich halte es für selbstverständlich, dass alle Länder und Unternehmen, die mit der früheren irakischen Regierung Verträge geschlossen haben, einen Anspruch darauf haben, dass diese Verträge erfüllt werden. Wenn die USA dieses Vertragsrecht auch noch brechen, brechen sie auch noch Grundsätze der internationalen Wirtschaftsordnung. Mich würde allerdings nicht überraschen, wenn sie das auch noch tun.

Können sich deutsche Militärtechnik und deutsche Soldaten im Auslandseinsatz im weltweiten Vergleich sehen lassen? Kann Deutschland wieder richtige Kriege führen und Länder erobern?

Hermann Scheer: Es kann und darf kein Ziel deutscher Sicherheitspolitik sein, wieder sogenannte richtige Kriege zu führen und Länder zu erobern. Es soll ein Ziel sein, sich an friedensichernden und friedenerhaltenden Aktionen der UN zu beteiligen, wenn diese Aktionen unter UN-Kommando stehen. Das hat dann aber nichts mit imperialistischen Strategien und klassischen Militäreinsätzen zu tun.

Welche langfristigen strategische Interessen verfolgt Deutschland in der Außenpolitik und auf welche Weise bereitet sich Deutschland darauf vor?

Hermann Scheer: Deutschland muss mit der sogenannten erweiterten Sicherheitspolitik Ernst machen. Das heißt: in funktionsfähige Entwicklungshilfe statt Militärstrategie. Und was die Ressourcenstrategie anbetrifft: Hier kommt es darauf an, dass wir uns endlich unabhängig von den fossilen Ressourcen machen. Dies geht nur durch eine Schwerpunktstrategie zur Mobilisierung Erneuerbarer Energien, als deutsche und europäische Initiative.

Wie sieht die Welt in 100 Jahren aus?

Hermann Scheer: In 100 Jahren wird es nur noch Erneuerbare Energien für die Energieversorgung geben. Die Frage, wann sich endich alle mit der dafür gebotenen Konzentration darauf einstellen, entscheidet darüber, ob und welche Kriege es zwischenzeitlich noch um Ressourcen geben wird.

Wenn dieser Krieg gegen den Irak auch wegen des Öls geführt wird ... bleibt den ölabhängigen Wirtschaftsmächten in Amerika und Europa überhaupt etwas anderes übrig, als sich notfalls auch militärisch den Zugriff auf diesen Rohstoff zu sichern, wenn Sie ihr Wohlstandsmodell aufrechterhalten wollen?

Hermann Scheer: Die Vorstellung, dass man sich notfalls den militärischen Griff auf die Ressourcen sichern müsse, um das Wohlstandsmodell aufrecht zu erhalten, ist abwegig. Sie basiert auf der Energielüge, dass das Potenzial der Erneuerbaren Energien nicht ausreichen würde, die fossilen und atomaren Energieressourcen zu ersetzen.

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