Insgesamt beobachtete Mehr Demokratie im Jahr 2002 auf Landesebene 18 direktdemokratische Verfahren. Die meisten Volksinitiativen zählte Hamburg (fünf), gefolgt von Brandenburg (drei), Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (je zwei) sowie Bremen und Sachsen (je eine). Vor allem Bürgerinitiativen und Oppositionsparteien, aber auch Verbände nutzen die direkte Demokratie.
Obwohl es zu keiner Volksabstimmung kam, waren mehrere Anträge erfolgreich. Die von 18.400 Bürgern unterstützte Volksinitiative "Sonntag ist nicht alle Tage" bewegte den Hamburger Senat dazu, statt der geplanten 28 nur vier verkaufsoffene Sonntage zuzulassen. Schon während der Unterschriftensammlung kam der Brandenburger Landtag einer Volksinitiative entgegen, die Bargeld statt Sachleistungen für Asylbewerber fordert. Die bayerische CSU reagierte frühzeitig auf ein Volksbegehren der Freien Wähler und legte einen eigenen Vorschlag für die Reform der Gemeindefinanzen vor.
Auch in den Gemeinden und Städten starteten die Bürger in der Gesamtschau aller Länder mehr Initiativen als in den Vorjahren. So hat sich die Zahl der Bürgerbegehren in Bayern auf 102 verdoppelt, in NRW nahm sie um ein Fünftel auf 43 zu. In einigen Bundesländern ist der Trend rückläufig. So wurden z.B. in Baden-Württemberg nur drei lokale Initiativen eingeleitet. In den 14.000 deutschen Kommunen finden pro Jahr etwa 250 Bürgerbegehren und 120 Bürgerentscheide statt. Ein wichtiges Thema ist die Privatisierung von Krankenhäusern, Stadtwerken, Wohnungen oder Müllabfuhr. In zahlreichen Bürgerentscheiden stoppten die Wähler Verkaufspläne ihrer Stadträte.
Der "Volksbegehrens-Bericht" kritisiert, dass die direkte Demokratie häufig behindert wird. Bei einem für die Ratsmehrheit unliebsamen Bürgerentscheid über den Verkauf städtischer Wohnungen in Aachen wurden nur eine Handvoll Wahllokale geöffnet, die Briefabstimmung verweigert und keine Benachrichtigung verschickt. Bei drei Verfassungsreferenden in Hessen informierten Regierung und Parteien die Bürger zu spät und nur unzureichend.
Zu den erfreulichen Entwicklungen zählt der Bericht den Trend zur Reform der direkten Demokratie. Gleich mehrere Länder senkten 2002 die Hürden. So verringerte Nordrhein-Westfalen das Unterschriftenquorum beim Volksbegehren von zwanzig auf acht Prozent. In Sachsen hat erstmals ein Verfassungsgericht erklärt, dass die Wähler auch über die Verwendung öffentlicher Gelder entscheiden dürfen und damit das sogenannte "Finanztabu" gekippt.
Aufgrund der vielen neuen Initiativen könnte es in diesem Jahr zu mehreren Volksabstimmungen kommen. Gute Chancen, die nötigen Unterschriften zu erreichen, haben das sächsische Volksbegehren "Zukunft braucht Schule" für kleine Klassenstärken und gleich drei Hamburger Initiativen, die sich für eine "familienfreundliche Kita-Reform", ein neues Wahlrecht und für den Verbleib mehrerer Krankenhäuser im Besitz der Stadt einsetzen. Bayern_ wird wahrscheinlich im Herbst über die Aufnahme des Konnexitätsprinzips in die Landesverfassung abstimmen.