Aus einem Bericht der Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) vom Februar diesen Jahres geht hervor, dass die abgeworfenen Clusterbomben eine "Misserfolgsrate" von 20 Prozent hätten. Das bedeute, dass Hunderte von Blindgängern überall im Land verstreut lägen und eine gefährliche Bedrohung für die Zivilbevölkerung darstellten.
Nach Angaben des Friedensratschlags hat die US-Regierung bis heute keine eigenen Daten über die Kriegstoten und die durch den Krieg verursachten sonstigen Schäden herausgegeben. Die vorhandenen Daten beruhten auf Berechnungen von unabhängigen Experten. Marc Herold, Professor für Wirtschaftswissenschaften, habe in einem akribischen Verfahren errechnet, dass bereits im Dezember 2001, zwei Monate nach Kriegsbeginn, rund 5.000 Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder bei Bomben- und Raketenangriffen ums Leben gekommen seien. Zähle man die Taliban-Soldaten oder Al-Qaida-Kämpfer hinzu, die bis zum heutigen Tag bei Kampfhandlungen oder in Gefangenschaft getötet wurden, so steige die Zahl der Toten dieses Krieges auf über 20.000.
Darunter befänden sich auch jene bis zu 3.000 Kämpfer, die bei Mazar-i-Sharrif gefangen genommen worden waren und anschließend spurlos verschwunden seien. Wie die Zeitung "Le Monde diplomatique" im September berichtete, hat der britische Journalist Jamie Doran Beweise gesammelt, wonach diese 3.000 Männer einem Massaker zum Opfer gefallen sind, verübt von Soldaten der Nordallianz unter den Augen von US-Armeeangehörigen.
Hamid Karsai, der Ende Dezember 2001 in Kabul die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, bewertete das erste Jahr des "Transformationsprozesses" - ebenso wie der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joseph Fischer - weitgehend positiv. Die "Meilensteine" der ersten Petersberg-Konferenz seien umgesetzt und die Übergangsgremien aufgebaut worden. Er kündigte tief greifende Reformen der Verwaltung und der Finanzen an sowie einen stärkeren Kampf gegen das "Krebsgeschwür" der Korruption.
Der Bundesausschuss Friensratschlag bewertet die Situation weit weniger positiv. Kein Problem in Afghanistan sei durch den Krieg gelöst worden. "Die geringen Fortschritte im Land beschränken sich fast ausschließlich auf die Hauptstadt Kabul, eine Art UNOtop, das der Welt zu beweisen versucht, dass die militärische Intervention zur Befriedung einer Region beitragen könne."
Der Friedensratschlag verweist auf Zahlen der UN-Kinderhilfsorganisation UNICEF und der UN-Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR vom 4. Oktober 2002. Demnach ist die Hälfte der Kinder in Afghanistan chronisch mangelernährt.
"Es fallen weiter Bomben - manchmal auf friedliche Hochzeitsgesellschaften", beklagt der Friedensratschlag. "Und es wird weiter gestorben in Afghanistan." Deutschland sei seit dem Entsendebeschluss vom 16. November 2001 mit einer nicht exakt bekannt gegebenen Zahl von Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) mit von der Partie. Sämtliche Fragen nach Auftrag, Art, Umfang und Ergebnis der Einsätze der KSK-Einheiten seien bisher vom Bundesverteidigungsminister unbeantwortet geblieben. Auch die Frage, wie viele Gefangenen bisher gemacht und wie viele davon den US-Streitkräften zur weiteren "Behandlung" übergeben wurden, bedarf einer Antwort, meint der Friedensratschlag. "Die Friedensbewegung fordert ein sofortiges Ende des Krieges in Afghanistan" und den Abzug der deutschen KSK-Truppen aus Afghanistan.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bekräftigte auf der Afghanistan-Konferenz einen weiteren substanziellen deutschen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes. Zu dem eintägigen Treffen auf Außenministerebene waren Delegationen aus 32 Ländern angereist, darunter alle Nachbarstaaten Afghanistans sowie Vertreter der UNO und der Europäischen Union. Laut Außenminister Joseph Fischer werden die finanziellen Leistungen des Auslands für Afghanistan in diesem Jahr die Grenze von einer Milliarde Euro erreichen. Die EU möchte 2,3 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau bereitstellen.
Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hatte bereits am 13. November im Bundeskabinett Bilanz über die deutsche Hilfe in Afghanistan gezogen. Sie berichtete, dass die Bundesregierung im Jahr 2002 insgesamt 126 Millionen Euro für den Wiederaufbau in Afghanistan bereitgestellt hat. So seien 34 Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen instandgesetzt und ausgestattet worden. Auch wurde die Trinkwasserversorgung "verbessert". Zusammen mit anderen nicht staatlichen Trägern seien rund 80 Schulen wieder aufgebaut worden. Mit 18 Millionen Euro habe Deutschland seit Januar 2002 über 45.000 afghanische Lehrer und Polizisten bezahlt.
Das Bundeskabinett will am Dienstag in Berlin die Fortsetzung der Bundeswehreinsätze in Afghanistan und Mazedonien beschließen. In Afghanistan möchte Deutschland im Februar gemeinsam mit den Niederlanden die Führungsrolle für die im Großraum Kabul stationierte ISAF-Schutztruppe übernehmen. Das deutsche Kontingent wird daher von derzeit 1280 Mann aufgestockt. Für die genaue Zahl zusätzlicher Kräfte will die Bundesregierung eine "Truppenstellerkonferenz" abwarten. Als Größenordnung hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder vergangene Woche die Stationierung von rund 2000 deutschen Soldaten in Kabul und Umgebung genannt.
Keine Rolle mehr spielte die einstige Forderung Karsais, die Soldaten der internationalen "Schutztruppe ISAF" auch außerhalb Kabuls einzusetzen. Diese Forderung erhebe er nicht mehr, sagte der afghanische Präsident. Zuvor hatte Fischer angekündigt, für die Sicherheit in den Provinzen Afghanistans werde es "andere Lösungen" geben. Details nannte der Minister nicht.
Auf dem Petersberg hatten sich Anfang Dezember 2001 zahlreiche afghanische Gruppen auf einen Friedensprozess verständigt, der Mitte 2004 in freie Wahlen münden soll. Seit Juni ist eine von der so genannten Großen Ratsversammlung bestätigte afghanische Übergangsregierung unter Leitung von Karsai im Amt. Ende 2003 soll eine neue afghanische Verfassung vorliegen.