DIE Internet-Zeitung
Gesundheitswesen

Bundesministerin Schmidt will den elektronischen Patientenpass

Am

Bundesgesundheitsministerin Schmidt hat erneut die Einführung eines elektronischen Gesundheitspasses gefordert. Deutschland könne hier eine internationale Vorreiterrolle übernehmen, erklärte die Ministerin am 5. März 2002 auf dem Kongress "ehealth 2002 - Telematik im Gesundheitswesen" in Bonn. Intelligente und effiziente Telematiksysteme verbesserten die Qualität der medizinischen Behandlung, besonders der Arzneimittelsicherheit.


Mit dem Gesundheitspass, einer Chipkarte und den auf ihr gespeicherten Daten, könne sich der Arzt schnell einen Überblick über den Gesundheitsstatus des Patienten sowie die verordneten Medikamente verschaffen. Durch die Anbindung an entsprechende Datenbanken würden beim Schreiben eines Rezeptes mit EDV-Unterstützung in einem automatisierten Verfahren darüberhinaus Informationen über Arzneimittelunverträglichkeiten geliefert, meinte die Minsterin.

Die bisherigen Daten der Krankenversicherungskarte können in den Gesundheitspass integriert werden. Der schnelle Zugriff auf all diese Informationen ist vor allem wichtig für chronisch Kranke und beim Arztwechsel und kann in Notfällen sogar lebensrettend sein. Schmidt betonte, es könne nicht länger hingenommen werden, dass bei der Therapie wertvolle Zeit durch Doppeluntersuchungen verloren gehe. Zudem entstehe durch die bisher bestehenden EDV-Insellösungen, die nicht kompatibel seien, ein unverantwortbar hoher finanzieller Aufwand, um Informationen von Papierform in digitalisierte Form und wieder in Papierform zu bringen.

Schmidt versicherte, es sei selbstverständlich, dass beim Gesundheitspass die Grundsätze des Datenschutzes beachtet werden. Sie vertraue auf die hochentwickelten Sicherheitstechniken. Die Patienten sollten jedoch selbst entscheiden, wer ein "Leserecht" ihrer Daten erhält.

Die Gesundheitsministerin teilte mit, dass die rechtlichen Voraussetzungen zur Erprobung des Gesundheitspasses in Modellprojekten geschaffen werden. Ein entsprechender Antrag, der im Rahmen der Neufassung des Apothekengesetzes beschlossen werden soll, ist in die parlamentarischen Beratungen bereits eingebracht. Schmidt äußerte sich überzeugt, dass der Gesundheitspass trotz der notwendigen Startinvestitionen einen erheblichen Beitrag zur Kostendämpfung leisten und für Arzt und Patienten größere Transparenz bringen werde.

Die Spitzenverbände der Krankenkassen machten auf dem Kongress deutlich, daß sie zusammen mit Ärzteorganisationen, Krankenhäusern und Apotheken eine einheitliche Telematikplattform für das Gesundheitswesen anstreben.

KZV warnt vor Einsparungen im Gesundheitswesen

Laut KZV ist die Jobmaschine NR.1 in Gefahr

Als fehlgeleitet und für die Arbeitsmarkt-Zukunft Deutschlands gefährlich bezeichnet die Kassenzahnärztliche Vereinigung Berlin (KZV) die im Vorfeld der diesjährigen Bundestagswahl geführten gesundheitspolitischen Debatten und Ziele. Das Gesundheitswesen hierzulande sei mit seinen über 4 Millionen Menschen längst Jobmaschine Nr. 1 geworden und damit im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen zu einem Stabilitätsfaktor für den Standort Deutschland. Die niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte beispielsweise seien Arbeitgeber für rund eine Millionen Menschen in Deutschland. Allein in den deutschen Zahnarztpraxen gebe es mehr Arbeitsplätze als bei BMW, AUDI und bei VIAG zusammen. Allein in Berlin gäben die niedergelassenen Zahnärzte über 14.000 Menschen Arbeit.

Der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt sei in 20 Jahren (1980 - 2000) von 5,84 % auf 6,22 % fast konstant geblieben, und das obwohl gleichzeitig der gesamte medizinische Fortschritt und die demographische Entwicklung mitfinanziert worden sei.

Die KZV wolle daher die gesundheitspolitische Diskussion in der heissen Phase des Wahlkampfes mit einer Veröffentlichung neu positionieren oder zumindest die Inhalte so verbreiten, dass die Entscheidungsträger an den Daten nicht vorbeidiskutieren können.

Es müsse ein Umdenken stattfinden, wenn Kürzungen und Restriktionen im Gesundheitsbereich automatisch als positiv betrachtet würden, nur weil sie auf den ersten oberflächlichen Blick Einsparungen bieten - das System sei aber komplexer, Folgen müssten über den Bereich Gesundheitswesen hinaus betrachtet werden.

Die Folgen wären selbst bei einem Verlust von wenigen Prozent der (zahn)ärztlichen Arbeitsplätze ein hoher Anstieg der Arbeitslosenzahlen in Deutschland!"

Am 13-08-2002

Ärzteverbände wollen gegen Einsparungen streiken

Nullrunde im Gesundheitswesen

Der Klinikärzteverband Marburger Bund befürchtet infolge der geplanten Nullrunde im Gesundheitswesen den Abbau von 40 000 bis 50 000 Stellen in Krankenhäusern. Betroffen seien vor allem Arbeitsplätze im Pflegesektor, sagte Verbandspräsident Frank Ulrich Montgomery am Freitag in Berlin. Auch 5000 Ärztestellen seien in Gefahr, obwohl in den deutschen Hospitälern schon jetzt 15 000 Mediziner fehlten. Am Donnerstag hatten bereits Bundesärztekammer, Apothekerschaft und Krankenhausgesellschaft vor einer massiven Verschlechterung der Patientenversorgung infolge des Sparpakets von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gewarnt. Gemeinsam wollen die Verbände am Dienstag eine Großdemonstration vor dem Brandenburger Tor veranstalten. Montgomery begründete den von ihm prognostizierten Stellenabbau mit den erwarteten Lohn- und Gehaltssteigerungen von 3,5 Prozent. Wegen der Ausgabendeckelung sei für die Tarifsteigerungen kein Geld vorhanden. Schon jetzt reiche die Grundlohnsummensteigerung von 0,81 Prozent nicht aus, um die Inflation abzudecken. Montgomery bemängelte weiter, dass "das Eingeständnis einer völlig verhunzten Gesundheitspolitik einer "politischen Bankrotterklärung" gleichkomme.

Am 08-11-2002

Groß-Demonstration gegen das Vorschaltgesetz im Gesundheitswesen

Sparprogramm bei Krankenkassen und Kliniken

Mit einer Großkundgebung protestierten am Dienstag medizinisches Personal, Apotheker und Ärzte in Berlin gegen das Sparpaket rot-grünen Koalition. "Die Regierung will den Sozialstaat vor die Wand fahren. Ich fordere die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt auf, die gesetzliche Krankenversicherung nicht kaputt zu sparen und das geplante Beitragssicherungsgesetz zu stoppen. Kein Patient hat sie gewählt, damit sie medizinische Leistungen reduziert.", erklärte der Erste Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Manfred Richter-Reichhelm, auf der Demonstration. Das "Bündnis Gesundheit 2000" und die Deutsche Krankenhausgesellschaft hatten die Beschäftigten des Gesundheitswesens zum Protest aufgerufen. "Wir Ärzte haben es satt, als Prügelknaben des Gesundheitswesens herzuhalten", so Richter-Reichhelm. Die Umsatznullrunde bedeutet acht Prozent Minus im Nettoinkommen eines Arztes. "Die Regierung lässt uns zur Ader, erhöht sich selbst aber die Diäten um 129 Euro im Monat." Der KBV-Chef verwies auf die einschneidenden Folgen für den Arbeitsmarkt: "Es drohen Praxispleiten, Arbeitsplätze in Kliniken und Arztpraxen werden vernichtet. Auch die Zahl der Ausbildungsplätze in Praxen wird sich verringern", prognostizierte er. Richter-Reichhelm kündigte der Regierung an, dass die Demonstration in Berlin der Auftakt einer Protestoffensive ist: "Wenn Sie den Kampf in unsere Arbeit hineinbringen, dann werden wir mit einem Arbeitskampf antworten."

Mit Beginn der Demonstration um 12.00 Uhr ging in vielen Apotheken in Deutschland das Licht aus. Mit dieser Protestaktion wollten die Beschäftigten ihren Kunden erklären, dass das Gesundheitssparpaket zu einem Apothekensterben führe, sagte der Präsident des Apothekerverbandes Hans-Günther Friese. 20.000 Arbeitsplätze seien gefährdet.

Die Sparpläne von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sehen unter anderem eine Nullrunde für Ärzte und Krankenhäuser vor. Zudem sollen Pharmahersteller, Großhändler und Apotheken den Krankenkassen höhere Rabatte gewähren. Für die Versicherten wird der Wechsel von der gesetzlichen in eine private Kasse erschwert.

Am 12-11-2002

Bundesverfassungsgericht lehnt Eilanträge gegen Gesundheitsreform ab

Gesundheitswesen

Das rot-grüne Gesetz, das zur Stabilisierung der Ausgaben im Gesundheitswesen dienen soll, bleibt vorerst in Kraft. Das Bundesverfassungsgericht wies am Mittwoch mehrere Eilanträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Beitragssatzsicherungsgesetz zurück. Die Anträge waren vom Stuttgarter Pharmahändler Gehe, sowie mehreren Zahntechnikern und Apothekern eingereicht worden. Sie hatten eine Aussetzung des seit 1. Januar geltenden Gesetzes erreichen wollen. Über in Karlsruhe anhängige Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz ist damit noch keine Entscheidung gefallen.

Der Erste Senat begründete seine Entscheidung mit einer Folgenabwägung. Den aus der Ablehnung einer einstweiligen Anordnung resultierenden Nachteilen für die Antragsteller und ihren Berufsstand komme "insgesamt nicht das Gewicht zu, um ein Gesetz vorläufig außer Vollzug zu setzen". Das Anliegen des Gesetzgebers, bis zu einer größeren Reform die gesetzliche Krankenversicherung sofort finanziell zu entlasten, wiege schwerer.

Das Gesetz beinhaltet höhere Rabatte von Pharmaindustrie, Großhändlern und Apotheken zugunsten der Krankenkassen sowie eine Nullrunde für Ärzte, Zahnärzte, Zahntechniker und Krankenhäuser, außerdem die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze. Es soll unter anderem die Finanzgrundlage der Krankenversicherung bis zu einer grundlegenden Reform stabilisieren. Damit sollen Einsparungen in einem Gesamtvolumen von 2,75 Milliarden Euro erreicht werden.

Die Antragsteller halten die Neuregelungen für verfassungswidrig. Dem nur mit der so genannten Kanzlermehrheit im Bundestag verabschiedeten Gesetz fehle es an der erforderlichen Zustimmung durch den Bundesrat, argumentieren sie. Das Gesetz greife unverhältnismäßig in ihr Grundrecht auf Berufsfreiheit ein. Nach Auffassung des Pharmahändlers Gehe durfte der Bund das Gesetz schon deshalb nicht erlassen, weil damit "ein unzulässiger besonderer Sozialversicherungsbeitrag des pharmazeutischen Großhandels" eingeführt werde. Es sei "nicht Aufgabe der pharmazeutischen Großhändler, die gesetzliche Krankenkasse zu finanzieren".

Das Verfassungsgericht wies jedoch darauf hin, dass die negativen Folgen für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung bei einer vorläufigen Aussetzung des Gesetzes sofort eingetreten wären. Sie hätten später "kaum oder nur unzureichend ausgeglichen" werden können und beeinflussten die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.

Bei einer Aussetzung des Gesetzes würde ein Teil der finanziellen Entlastung der Krankenkassen nicht erreicht, heiß es weiter. "Die Mehrausgaben müssten unter Umständen mit Beitragserhöhungen, der Belastung anderer Gruppen oder mit Leistungskürzungen ausgeglichen werden", betonten die Verfassungshüter.

Die Karlsruher Richter wiesen darauf hin, dass der Ausgang der ebenfalls eingelegten Verfassungsbeschwerden offen sei. Das Gericht hat damit außerdem noch nicht über den Eilantrag und den Normenkontrollantrag der baden-württembergischen Landesregierung gegen das Gesetz entschieden. Wann dies geschehe, sei noch völlig offen, sagte eine Gerichtssprecherin. (Az. 1 BvQ 51/02, 1 BvQ 53/02 und 1 BvQ 54/02).

Am 22-01-2003

Kontroverse über Gutachten des Sachverständigenrat zum Gesundheitswesen

Krankenversicherung

Anlässlich der Übergabe des Gutachtens 2003 des Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Helga Kühn-Mengel: „Ich begrüsse die Empfehlung des Sachverständigenrates, unser Gesundheitssystem ohne Systemwechsel auf der Grundlage des Solidarprinzips weiterzuentwickeln.“ Eine Zwei-Klassen-Medizin ist nach Ansicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) längst Realität. Die Aufteilung in ein System von gesetzlichen und privaten Kassen sei dafür verantwortlich, dass gut Verdienende in der Bundesrepublik eine bessere Behandlung bekämen als ärmere Menschen, sagte DIW-Experte Friedrich Breyer am Mittwoch in Berlin.

Der Präsident des Sozialverbandes VdK Deutschland, Walter Hirrlinger, hat Bundesregierung und Union davor gewarnt, die Prinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung zu Lasten der Kassenpatienten auf den Kopf zu stellen. "Generationengerechte Gesundheitssicherung für Familien und ältere Menschen heißt solidarische Krankenversicherung." Geplante Zusatzbelastungen für Zahnbehandlungen und Unfälle seien da angesichts der Tatsache, dass fünfzig Prozent der männlichen Rentner nur eine Rente bis zu 900 Euro monatlich hätten, keine "Peanuts".

Die SPD-Sprecherin verteidigte das bestehende System: „Unser Solidarsystem hat den Charme, dass alle Versicherten unabhängig von ihrem Geldbeutel Zugang zu den medizinisch notwendigen Leistungen haben. Ausserdem kennt unser Gesundheitswesen keine Zuteilungsmedizin. Das Solidarsystem hat sich bewährt und geniesst hohe Akzeptanz. Es ist weiterhin tragfähig, muss aber zukunftsfest gemacht werden. Ein Systemwechsel ist weder notwendig noch den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes vermittelbar.“

Das DIW begründete die Kritik am Zwei-Klassen-System mit den Budgetbeschränkungen im Krankenhaus, die zu Rationierungen führten und von denen Privatversicherte nicht betroffen seien. Auch das Wohl einer Arztpraxis sei heutzutage in erster Linie von der Anzahl der Privatpatienten abhängig. In Deutschland gebe es damit bereits "die intensivste Zwei-Klassen-Medizin, die vorstellbar ist", sagte Breyer.

Der Forschungsprofessor unterstützte zugleich einen Vorstoß des DIW-Sozialexperten Gert Wagner, der sich in der Rürup-Kommission für die Abschaffung der privaten Krankenversicherung stark macht. Breyer plädierte stattdessen dafür, die gesamte Bevölkerung in die solidarische Versicherung einzubeziehen. Es könne nicht angehen, dass sich die Personen mit geringen Krankheitsrisiken aus der Solidargemeinschaft entfernten und die hohen Risiken weiter darin verblieben. Breyer schlug einen Solidarausgleich für die gesamte Bevölkerung nach Schweizer Vorbild vor. An einem solchen System könnten sich dann durchaus auch private, gewinnorientierte Versicherungsunternehmen beteiligten. Damit würden zugleich mögliche verfassungsrechtliche Probleme "umschifft".

Ferner sprach sich Breyer dafür aus, so genannte "verhaltensabhängige Risiken" privat abzusichern, etwa durch Risikosportarten oder Bewegungsmangel. Zudem müsse in Erwägung gezogen werden, bestimmte risikobehaftete "Stoffe" nach Vorbild der Tabaksteuer höher finanziell zu belasten.

Am 26-02-2003

Kassen könnten Millionen sparen

Gesundheitswesen

Im Gesundheitswesen könnten nach Ansicht von Experten durch die Verschreibung gleichwertiger billiger Medikamente Millionenbeträge eingespart werden. Wie eine am Mittwoch in Berlin vorgestellte Studie des Kölner Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach ergab, könnte eine Kasse auf diese Weise allein bei Patienten mit Bluthochdruck 80 Millionen Euro einsparen. Auf sämtliche gesetzliche Krankenkassen hochgerechnet mache dies 720 Millionen Euro aus, so die Studie. Für die im Auftrag der Barmer Ersatzkasse durchgeführte Erhebung wurden mehr als neun Millionen Verordnungen der 1,63 Millionen Barmer-Versicherten ausgewertet. 80 Millionen Euro ließen sich nach Ansicht Lauterbachs sparen, indem statt anderer blutdrucksenkender Präparate ein preiswerteres Diuretikum (harntreibendes Mittel) verschrieben würde. Dies sei mindestens genauso gut und wahrscheinlich besser als die anderen Medikamente. Doch auch eine Umstellung der Bluthochdruck-Patienten auf preisgünstigere Präparate der selben Wirkstoffgruppe würde Einsparungen von 30 Millionen bedeuten.

Lauterbach wies jedoch darauf hin, dass zurzeit ein Drittel der Menschen mit Bluthochdruck gar nicht behandelt würden. Diese Unterversorgung gelte es zu beseitigen, was die einzusparenden 80 Millionen Euro allerdings wieder aufzehren würde. Auf der anderan Seite könne eine Kasse erheblich sparen, weil bei einer adäquaten Bluthochdruckbehandlung die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle reduziert würde.

Am 23-04-2003

Lockerung des Werbeverbots für Medikamente kostet Versicherte Milliarden

Neue Kostenexplosion im Gesundheitswesen?

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat vor einer Kostenexplosion bei Arzneimitteln gewarnt. Sollte der EU-Ministerrat in der kommenden Woche die bisherigen Werbebeschränkungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel lockern, sei mit zusätzlichen Milliardenausgaben für die Krankenkassen zu rechnen. Der vzbv forderte Bundesgesundheitsministerin Schmidt auf, einen entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission abzulehnen. "Wir wollen, dass Patienten auch weiterhin die wirksamsten Arzneimittel verschrieben bekommen und nicht die, für die am meisten geworben wird", sagte vzbv-Vorstand Edda Müller. Der EU-Ministerrat entscheidet auf seiner Sitzung am 2. und 3. Juni über eine Veränderung der Arzneimittelrichtlinie. Bisher ist die Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel europaweit verboten. Eine Aufweichung des Verbots hatte das Europäische Parlament bereits im Dezember mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Doch die Pharmabranche ließ nicht locker: Entgegen dem klaren Votum des Parlaments liegt nun erneut eine Initiative vor, die es den einzelnen Mitgliedsstaaten künftig freistellen soll, an Patienten gerichtete Werbung bei bestimmten Krankheitsbildern zuzulassen. Der Europäische Verbraucherverband BEUC und der vzbv lehnen dies als Einfallstor für eine schleichende Aufweichung der Werbebeschränkungen ab. "Patienten brauchen dringend zusätzliche Informationen über Arzneimittel - diese Informationen müssen aber unabhängig und zuverlässig sein und dürfen nicht von denen kommen, die etwas verkaufen wollen", sagte vzbv-Vorstand Müller.

Eine Lockerung des Werbeverbotes würde nach Ansicht des vzbv den gesundheitlichen Verbraucherschutz verschlechtern und zu weiteren Kostensteigerungen im Gesundheitswesen beitragen. Neue und teure Medikamente, deren Langzeitnebenwirkungen und Wechselwirkungen nicht hinreichend bekannt sind, würden erfahrungsgemäß stärker beworben als bewährte (und günstigere) Medikamente. "Patienten haben ein Recht auf umfassende und objektive Information über Medikamente und Therapieverfahren, und zwar von unabhängigen Institutionen", so Müller. Die Pharma-Industrie solle aufhören so zu tun, als ginge es ihr um objektive Information.

Öffentliche Werbung für Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel ist bisher nur in den USA und Neuseeland erlaubt. Mit negativen Folgen bei den Arzneimittelkosten: So stiegen nach einer Untersuchung der britischen Consumers Association nach Zulassung der Endverbraucherwerbung in den USA von 1993 bis 1998 die Ausgaben für Medikamente um 84 Prozent. Die 50 am meisten beworbenen Präparate verursachten dabei 47,8 Prozent der Mehrkosten. Insgesamt sind die Ausgaben für Endverbraucherwerbung in den USA von 55 Millionen Dollar 1991 auf 2,5 Milliarden Dollar im Jahr 2000 gestiegen. In den USA betragen nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) die gesamten Arzneimittelausgaben nach je Einwohner 628 Euro, in Deutschland 390 Euro. Die Ausgaben für verschreibungspflichtige Arzneimittel haben sich von 1992 bis 2001 verdreifacht: von 53,6 Milliarden Euro auf 156,3 Milliarden Euro. Allein im Jahr 2001 war hier ein weiterer Zuwachs von 15,5 Prozent zu verzeichnen.

Am 30-05-2003

Zusammenbruch des Gesundheitswesens lässt Vergewaltigungsopfer sterben

Kongo

Massenvergewaltigungen im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRC) haben zum völligen Zusammenbruch des dortigen Gesundheitswesen geführt. Das berichtet die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) in einem heute veröffentlichten Bericht. Sie forderte die provisorische Regierung der DRC und die internationale Gemeinschaft auf, mit einem Krisen-Sofortprogramm Zehntausenden Vergewaltigungsopfern Zugang zu medizinischer Versorgung zu verschaffen. Zur Zeit würden viele der Opfer an ihren Verletzungen sterben, weil ihnen jegliche medizinische Betreuung fehle. So bald wie möglich sollte eine Expertenkommission zum Aufbau eines staatlichen Gesundheitswesens in der Region eingesetzt werden, forderte ai. Infolge des bewaffneten Konflikts um die Kontrolle über die Region und ihre Ressourcen (1996-2003) herrsche ein massiver Mangel an Ärzten, Krankenschwestern, medizinischen Geräten und Medikamenten. In den betroffenen Provinzen Ituri, Nord- und Süd-Kivu hätten Geschlechtskrankheiten und HIV-Infektionen stark zugenommen. Viele Frauen müssten dringend psychologisch betreut werden. "Viele Überlebende der Vergewaltigungen benötigen auch plastisch-chirurgische Eingriffe an ihren Geschlechtsorganen, die sie niemals bezahlen können", sagte die ai-Kongo-Expertin Andrea Riethmüller.

Während des Konflikts hätten rund 20 Kriegsparteien aus 4 Ländern Zehntausende von Frauen und Mädchen wie auch Männer systematisch und mit großer Brutalität vergewaltigt. Die sexuelle Gewalt diene vielfach als bewusste Kriegsstrategie. Die zahlreichen Gruppen- und Mehrfachvergewaltigungen zielten darauf ab, den Gegner zu destabilisieren, fundamentale Werte der Gemeinschaft zu zerstören, Vergeltung zu üben, die Opfer und Zeugen zu erniedrigen und sie einzuschüchtern.

So seien Kranke, schwangere oder behinderte Frauen regelmäßig sexueller Gewalt ausgeliefert. Andere seien monate- oder jahrelang in Kampfeinheiten als sexuelle Sklavinnen missbraucht worden. Viele Opfer wurden mit Bayonetten, angespitzten Stöcken, Glasscherben, rostigen Nägeln und Steinen penetriert. Während oder nach den Vergewaltigungen wurden sie angeschossen, oft im Genitalbereich.

Die provisorische Regierung ist vor über einem Jahr mit erheblicher internationaler politischer und finanzieller Unterstützung ins Amt gesetzt worden. "Auch wenn die Probleme in der Region groß sind, ist es höchste Zeit, dass die Regierung wenigstens beginnt, die Leiden der traumatisierten Zivilbevölkerung zu lindern", so Riethmüller.

Am 26-10-2004

Das Gesundheitswesen als "x-beliebige Branche der Wirtschaft"?

"Ware Gesundheit"

"In unserem Gesundheitswesen gewinnen immer häufiger Kommerz und Profit Überhand über Fürsorge und Berufsethos", schreibt eine Initiative junger Ärzte, die von den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) unterstützt wird. Das Gesundheitswesen scheine "zu einer x-beliebigen Branche der Wirtschaft" zu werden. Sein eigentliches Ziel, das Helfen und Heilen, trete dabei zusehends in den Hintergrund. Die Ärzte sprechen von der "Ware Gesundheit". Als Ärztin oder Arzt sei man bei der täglichen Stationsarbeit oft genug hin- und hergerissen zwischen den Bedürfnissen der Patienten und "ökonomischen Erfordernissen". Mit einer Internetkampagne unter dem Titel "1001 Geschichten und kein einziges Märchen – aus dem Alltag eines kranken Gesundheitswesens" wollen die Ärzte "Wahre Geschichten über die Ware Gesundheit" sammeln und öffentlich dokumentieren. Bis Juli 2006 sollen 10011 Geschichten zusammen kommen.

Die gesammelten Geschichten sollen dann den Bundestagsabgeordneten "als Pflichtlektüre" mit in den Sommerurlaub gegeben werden, "bevor es im Herbst womöglich in Sachen Gesundheitsreform in die ganz heiße Diskussionsphase" gehe. "Alle Beschäftigten aus Medizin, Pflege und anderen Gesundheitsberufen sowie ihre PatientInnen und deren Angehörige sind aufgerufen, sich zu beteiligen und ihre eigenen Erlebnisse und Erfahrungen beizutragen."

"Machen Sie halt ..." - Klinik-Alltag?

Es geht um Aussagen wie die folgende, um deutlich zu machen, wie stark bereits ökonomische Zwänge den Alltag in den Kliniken bestimme: "’Machen’ Sie halt dann nächstes Jahr weniger Epilepsien und Multiple Sklerose und dafür 100 Schlaganfälle mehr". Dieser Satz sei in einer Klinik während einer Besprechung zwischen Controlling und Chefarzt über die Leistungsplanung des kommenden Jahres gefallen.

Begebenheiten wie diese sind nach Darstellung der Ärzte-Initiative "im Zuge der zunehmenden Kommerzialisierung unseres Gesundheitswesens längst keine Seltenheit mehr". Diese und ähnlich drastische Begebenheiten sind bereits auf der Internetseite zu lesen.

Wolf: "Wir hoffen, Politiker auf einer emotionalen Ebene ansprechen zu können"

Alle Geschichten sind den Angaben zufolge "wahre Geschichten". Die jeweiligen Verfasser seien der Redaktion von "1001" bekannt. Dennoch würden weder Personen noch Institutionen beim Namen genannt. "Wir wollen niemanden anschwärzen oder diskreditieren. Hier geht es einzig und allein darum, wiederkehrende Muster zu sammeln und damit die Schwächen des gegenwärtigen Gesundheitswesens und seiner Finanzierung freizulegen und erkennbar zu machen", sagte die Redakteurin der Seite, Caroline Wolf. "Wir hoffen, dass wir mit den Geschichten doch den einen oder andern Politiker noch auf einer anderen, vielleicht auch emotionaleren, Ebene ansprechen können." Möglicherweise könne man damit "besser auf die Probleme aufmerksam machen, als wenn man nur Krankenkassenbeiträge und Praxisbudgets hin und her rechnet".

Am 27-04-2006

Rund 130.000 Demonstrierende fordern mehr Geld für Krankenhäuser

"Kollaps" der Kliniken

Rund 130.000 Klinikbeschäftigte haben bei einer Demonstration in Berlin vor einem "Kollaps" der Krankenhäuser gewarnt. Die Veranstalter sprachen am Donnerstag (25. September) von der "größten Demonstration, die das Gesundheitswesen jemals gesehen" habe. Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Rudolf Kösters, nannte das von der Bundesregierung beschlossene Hilfspaket von rund drei Milliarden Euro eine "Mogelpackung". Bis Ende 2009 fehlten den Krankenhäusern etwa 6,7 Milliarden Euro in der Finanzierung. Vertreter von Krankenkassen wehrten sich gegen die Vorwürfe. Zu der Großdemonstration hatten die Krankenhausgesellschaft, der Städtetag, kommunale Arbeitgeberverbände, Ärzteorganisationen und Gewerkschaften aufgerufen. Kösters sagte, die Kliniken hätten "keine Rationalisierungsreserven" mehr. Von den versprochenen drei Milliarden Euro werde weniger als die Hälfte bei den Häusern ankommen. Er forderte eine bessere Finanzausstattung der Kliniken und eine Aufhebung der gesetzlichen Deckelung der Krankenhausbudgets.

Der Präsident des Deutschen Städtetags, Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), sagte, trotz steigender Kosten seien den Kliniken mit der Budget-Limitierung die Einnahmen gekürzt worden. Bund und Länder sollten "endlich Schluss machen mit dem schäbigen Spiel", sich bei der Finanzierung wechselseitig die Verantwortlichkeit zuzuschieben. Die Kliniken seien "ausgequetscht wie eine Zitrone" und der Protest "im Interesse der gesamten Bevölkerung". Bereits heute gebe es eine Überlastung des Personals, die eine Vernachlässigung der Patienten nach sich ziehen könne.

Bsirske: In den vergangenen zehn Jahren wurden rund 100.000 Arbeitsplätze im Gesundheitswesen abgebaut

Ver.di-Chef Frank Bsirske forderte, die Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser müsse erhalten bleiben. In den vergangenen zehn Jahren seien rund 100.000 Arbeitsplätze im Gesundheitswesen abgebaut worden. Diese Kürzungen gefährdeten das Patientenwohl.

Krankenkassen kritisierten den Protest. AOK-Vizevorstand Herbert Reichelt erklärte, die Klagen seien in Anbetracht des beschlossenen "Hilfspakets" unberechtigt. Er warnte, die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung könnten angesichts der Mehrausgaben 2009 auf 15,8 Prozent steigen. Die Ersatzkassenverbände VdAK und AEV wandten ein, den Beitragszahlern dürften keine zusätzlichen Belastungen aufgebürdet werden. Mit insgesamt rund 57 Milliarden Euro werde 2009 eine "Rekordsumme" in die Krankenhäuser fließen.

Im Gesundheitsministerium zeigte man sich derweil verwundert, dass die protestierenden Verbände ein im Anschluss der Demonstration vereinbartes Gespräch mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) über die Klinikfinanzierung kurzfristig abgesagt hätten.

Das Kabinett hatte am Mittwoch zusätzliche Finanzhilfen für die rund 2100 deutschen Krankenhäuser in Höhe von rund drei Milliarden Euro beschlossen. Außerdem ist ein Sonderprogramm zum Aufbau von 21.000 Pflegestellen vorgesehen. Bundesrat und Bundestag müssen dem Paket noch zustimmen.

Am 25-09-2008