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Vom Leben unter der Besatzung

Estnische Kunst aus sowjetischen Lagern in einer Berliner Ausstelllung

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Wie leben Menschen unter Besatzung, Unterdrückung und Terror? Welche Auswirkungen sind auch noch nach Jahrzehnten zu sehen und spüren? Das Estnische Okkupationsmuseum Tallinn will die Jahre sowjetischer und deutscher Besatzung des Landes zwischen 1940 und 1991 dokumentieren und den 200 000 aus Gefängnissen und Zwangsarbeitslagern nicht heimgekehrten Menschen ein Denkmal setzen. Heiki Ahonen und seine Mitarbeiter tragen seit einigen Jahren Exponate aus jener Zeit für das Museum zusammen. Rund 12 000 seien es bereits, sagt Ahonen. Mit der Ausstellung "Kunst und Gebrauchsgegenstände aus sowjetischen Lagern" stellt sich das Okkupationsmuseum seit Mittwoch im Informations- und Dokumentationszentrum der Stasiunterlagen-Behörde in Berlin vor.


"Wir zeigen Gegenstände aus dem Alltag einer Zeit, die Spuren hinterlassen hat", sagt Ahonen. "Viele Stücke sind aus billigen Materialien und primitiv. Sie zeigen jedoch eindrucksvoll die Aura des stalinistischen Grauens und die Zeichen der Hoffnung." Er verweist auf die liebevoll verzierten Zigarettenetuis, den einfachen Metallkrug mit Holzgriff und die estnische Fahne mit wenigen Quadratzentimetern Fläche.

Estland ist seit 1991 eine unabhängige Republik und strebt die baldige Aufnahme in die Europäische Union und die Nato an. Die osteuropäische Geschichte liege damit aber nicht hinter ihnen, sagt Ahonen: "Sie lebt weiter in den Seelen und ist unangenehm. Die Wunden dürfen nicht offen bleiben." Anders als bei den Stasi-Unterlagen seien in Estland viele Unterlagen des sowjetischen Geheimdienstes KGB vernichtet worden. Der volle Blick in die Vergangenheit sei deshalb nicht möglich. Auch deshalb sei die Idee zu einem Museum in Tallinn entstanden.

In der Berliner Ausstellung hängt auch eine Zeichnung, die den Gefangenen Heiki Ahonen zeigt. Er war zwischen 1983 und 1987 in Perm im Ural inhaftiert. Der Vorwurf gegen ihn lautete: antisowjetische Propaganda. Das Museum berührt daher auch das persönliche Leben des Journalisten Ahonen sehr stark. "Die Verbrechen der Nazis sind bestraft worden, die stalinistischen und sowjetischen Verbrechen in Estland nicht", betont er.

In Estland gebe es keine staatliche Institution, die der Birthler-Behörde vergleichbar sei, sagt Botschafterin Riina Ruth Kionka: "Wir haben uns für den sanfteren, den freiwilligen Weg entschlossen. Wir setzen auf das Gewissen und das Geständnis." Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, betont, die Aufarbeitung der Geschichte des Kommunismus sei eine internationale Aufgabe. Die kleine Ausstellung in Berlin werde mehr Wissen über die sowjetischen Gulags verbreiten. "Von Menschen unter schwierigen Verhältnissen gefertigte Gegenstände können oft mehr erzählen als nüchterne Fakten. Mich hat die Ausstellung sehr berührt", sagt Birthler.

Die Ausstellung ist bis zum 30. Oktober jeweils von Montag bis Samstag zwischen 10.00 und 18.00 Uhr in der Mauerstraße 38 in Mitte geöffnet.

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