Birthler wies darauf hin, dass zahlreiche Wissenschaftler und Journalisten in den vergangenen Wochen ihre Arbeit zurückgestellt oder ganz darauf verzichtet hätten, Anträge zu stellen. Sie hätten befürchten müssen, dass die Verwertbarkeit der MfS-Unterlagen nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVG) im Falle Kohl nicht oder kaum mehr gegeben war. Die Gesetzesänderung war notwendig geworden, nachdem Kohl vor rund einem Jahr erfolgreich gegen die Veröffentlichung seiner Stasi-Akte geklagt hatte. Der Bundestag hatte die umstrittene Gesetzesnovelle am späten Donnerstagabend mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP verabschiedet.
Der Änderung zufolge sollen künftig Unterlagen, die im direkten Zusammenhang mit der zeitgeschichtlichen Rolle eines Prominenten stehen, von der Birthler-Behörde an Forscher und Journalisten herausgegeben werden können. Dies soll auch für Akten über Personen gelten, die von der Stasi ausspioniert wurden. Die Behörde entscheidet im Einzellfall, ob das öffentliche Interesse und der Persönlichkeitsschutz stärker berücksichtigt werden müssen. Besonders berücksichtigen muss sie bei der Entscheidung, welche Akten sie heraus gibt, ob die Informationserhebung "erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung beruht". Informationen, die durch Folter erzwungen wurden, sind von der Veröffentlichung ausgeschlossen.
Vertreter von FDP und SPD begrüßten die Novelle. FDP-Rechtsexperte Edzard Schmidt-Jortzig sagte, eine umfassende geschichtliche Aufarbeitung sei nunmehr wieder gewährleistet. Falls die Informationenerhebung der Stasi auf Menschenrechtsverletzungen, etwa in den Bereichen Post, Telefon oder Wohnung beruhe, müsse die Herausgabe unterbleiben. Bei einem wichtigen Aufarbeitungsinteresse müssten die Akten jedoch herausgegeben werden, sagte der frühere Bundesjustizminister. Der FDP-Politiker sprach von einer "schmalen Öffnung". Die Kohl-Akten blieben auf jeden Fall unter Verschluss.
Der Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ludwig Stiegler, sagte, die Neuregelung schütze "die Opfer der Bespitzelung" und regele die Abwägung der unterschiedlichen Interessen. Nach Ansicht des Ost-Beauftragten der Bundesregierung, Staatsminister Rolf Schwanitz (SPD), schafft das neue Gesetz "Klarheit im Umgang mit der Stasi-Hinterlassenschaft".