Wie sehr sich die ehemalige Alternativpartei seit ihrer Gründung 1980 gewandelt hat, zeigt sich besonders in der Abkehr vom ehedem so strikten Nein zu militärischer Gewalt: "Gewalt darf Politik nicht ersetzen. (...) Wir wissen aber auch, dass sich die Anwendung rechtsstaatlich und völkerrechtlich legitimierter Gewalt nicht immer ausschließen lässt", heißt es jetzt im Grundsatzpapier. Für manche Grüne von einst mag ein solcher Satz aus grüner Feder unglaublich klingen, doch folgt die Parteiprogrammatik damit nur der eigenen Regierungspraxis nach.
Ganz verzichten auf das Etikett des Alternativen möchten die Grünen freilich nicht, und so empfiehlt sich der selbst ernannte Reformmotor der Republik denn auch als "die Alternative im Parteiensystem". Als Polit-Formation mit alleiniger Kompetenz zur ökologischen Modernisierung priesen nicht nur die zuständigen Ressortchefs Jürgen Trittin und Renate Künast ihre Partei. Als "werteorientiert" und "reformfreudig" umschrieben Kuhn und seine Ko-Vorsitzende Claudia Roth grünes Selbstverständnis.
Ein Anspruch, den das neue Grundsatzprogramm durchaus widerspiegelt: die Grünen als liberale Rechtsstaatspartei, als Streiter für Geschlechter- und Generationengerechtigkeit, als europäische Visionisten und demokratische Gralshüter. Agrarwende, Energiewende, Verkehrswende - ehrgeizige Reformvorhaben sind da zu finden.
Um davon etwas umsetzen zu können, müssen sie freilich erst einmal wieder in Regierungsverantwortung gewählt werden. Regieren aber wollen sie nur mit den Sozialdemokraten: Ohne Mehrheit für Rot-Grün "gehen wir in die Opposition", legte sich Kuhn auf dem Parteitag fest. Die Umfragewerte lassen zwar derzeit Zweifel an dieser Mehrheit zu, aber die Grünen haben noch ein halbes Jahr Zeit. Fischer jedenfalls gab sich am Ende kämpferisch: "Für uns beginnt ab sofort der Wahlkampf", rief er den Delegierten zu und gab als Losung aus: "Rangehen an die Probleme, an die Menschen!"
Kontroversen gab es am Sonntagvormittag noch bei den Beratungen über den außenpolitischen Teil des neuen Programms. Überraschend plädierte der Parteitag dafür, Auslandseinsätze der Bundeswehr per Verfassungsänderung von einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag abhängig machen zu wollen. Bislang reicht dafür eine einfache Mehrheit.
In dem neuen Grundsatzpapier werden die Grundwerte Ökologie, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Demokratie als Klammer "grüner" Politik beschrieben. Die Grünen fordern unter anderem, den CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken und den Anteil des Öko-Landbaus an der Agrarproduktion bis dahin auf mehr als 20 Prozent zu erhöhen. Zugleich will die Partei die Nutzung erneuerbarer Energien forcieren und die Verkehrswende vorantreiben. Weiter dringt sie auf eine Reform des gesamten Steuer- und Abgabensystems nach ökologischen Kriterien, ohne dass die Gesamtbelastung der Bürger steigt.
Im sozialpolitischen Programmteil plädieren die Grünen für eine "Politik auf Kindernasenhöhe" und fordern den Aufbau eines bedarfsdeckenden Angebots von Kinderbetreuungsplätzen und Ganztagsschulen. Mit einer "Kindergrundsicherung" will die Partei verhindern, dass Kinder für Familien zum Armutsrisiko werden. Zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme sollen nach dem Willen der Partei alle Einkommensarten herangezogen werden. Sonderregelungen für Beamte, Selbstständige und Besserverdienende sollen abgebaut werden. Zugleich sprechen sie sich für beitragsfinanzierte Bürgerversicherungen für Krankheit, Alter und Pflege aus.