Flüchtlinge
- Pro Asyl fordert Rekonstruktion des Abschiebe-Todes von Aamir Ageeb
- Pro Asyl warnt vor massivem Abbau des Flüchtlingsschutzes in Europa
- "Die Bundesregierung entzieht Flüchtlingen ihren Status"
- Residenzpflicht für Flüchtlinge: Gefangen im Gestrüpp der Lockerungen
- Ergebnis: Nur innerhalb Mecklenburg-Vorpommerns gilt die Bewegungsfreiheit uneingeschränkt.
Einige innenpolitische Hardliner versuchten nach Auffassung der PDS ganz offensichtlich, die verständlichen Sorgen der Menschen für restriktive und ausländerfeindliche Vorhaben zu nutzen, die schon lange in der Schublade lagen und die in Wirklichkeit rein gar nichts mit den Anschlägen von New York zu tun hätten.
Der Vorsitzende der PDS-Bundestagsfraktion, Roland Claus, sagte in der Sondersitzung des Parlaments am Mittwoch: "Indem wir dies sagen, wissen wir natürlich, dass die Ergreifung der Schuldigen nicht ohne repressive Maßnahmen vonstatten gehen kann. Über das Maß dieser Repression kann aber erst entschieden werden, wenn die Schuldigen ausgemacht sind und ihr Aufenthaltsort ausfindig gemacht wurde. Und solche repressiven Maßnahmen müssten dann mit den betreffenden - so auch mit den arabischen - Staaten und nicht gegen sie vereinbart werden."
Im Entschliessungsantrag der PDS heißt es: "Zivile Antworten auf die terroristischen Herausforderungen sind das Gebot der Stunde. Dazu gehört neben der Verfolgung und Ergreifung der Verantwortlichen für die furchtbaren Anschläge vom 11. September, den notwendigen Maßnahmen zur Verhinderung weiterer terroristischer Anschläge auch die Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus und der Bedingungen, unter denen er entstehen, wachsen und ein befürwortendes Umfeld finden kann: Armut, Unrecht, Unterentwicklung, Ausbeutung und Unterdrückung. Erst damit wird der Terrorismus nachhaltig zu überwinden sein."
Abgeordnete von Bündin 90/Die Grünen erklärten unterdessen, die Ausrufung des „Bündnisfalles“ der NATO sei die falsche und unangemessene Reaktion auf die Terroranschläge. Stattdessen gelte es zu verhindern, dass in einer Überreaktion weitere, möglicherweise ebenfalls Tausende unschuldige Menschen ums Leben kommen. "Als grundsätzliche Lösung des Problems fordern wir die gezielte Bekämpfung des Terrorismus und vor allem der konsequenten Verweigerung jeglicher Unterstützung dieser Gruppen in allen Staaten und durch alle Staaten dieser Welt, aber auch ein ehrliches Engagement für eine dauerhafte Befriedung im nahen Osten."
PRO ASYL und Flüchtlingsräte der Bundesländer warnten eindringlich vor einer Spirale von Gewalt und Rassismus in Deutschland. Schon jetzt häuften sich Pöbeleien und Angriffe auf hier lebende Migrantinnen und Migranten, die man für Muslime oder Araber hält. Es habe bereits Morddrohungen gegeben. Politiker von SPD und CDU überböten sich gegenwärtig mit neuen restriktiven Vorschlägen gegen Ausländer und einem blinden Aktionismus. PRO ASYL und die Flüchtlingsräte kritisieren die Äußerungen führender Politiker als unverantwortlich und leichtfertig. Sie setzen mit ihren Vorschlägen die in Deutschland lebenden Menschen – Muslime, Araber und alle anderen Migrantinnen und Migranten – dem Verdacht aus, mit den Tätern unter einer Decke zu stecken oder zumindest zu sympathisieren.
"Es wäre die Niederlage der freiheitlichen Verfassung unseres Landes, wenn es Politikerinnen und Politikern durch die „Instrumentalisierung des Terrors“ gelänge, die
Grund- und Freiheitsrechte weiter zu beschneiden.", heißt es in der Erklärung von Pro Asyl und den Flüchtlingsräten. Es wäre ein irreversibler Verlust an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, wenn unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung staatliche Organe und Behörden mit weitgehend ungehinderten Kontroll- und Vollzugsgewalten ausgestattet würden.
"Zu kritisieren sind insbesondere Beschlüsse der gestrigen Innenministerkonferenz, die u.a., wie zuvor Bayerns Ministerpräsident Stoiber, einen generellen Abgleich der Daten der Sicherheitsbehörden mit Daten von Flüchtlingen und Politisch Verfolgten fordert. Schlimmer noch der bayerische Innenminister Beckstein, der im Bayerischen Rundfunk erklärt, er glaube nicht, dass man noch „unbefangen darüber diskutieren kann, ob man Leute zum Beispiel aus Irak, Leute aus der arabischen Welt, zu uns leichter kommen lässt.“ Mit derartigen Tönen würden Übergriffe auf Migranten und Flüchtlinge förmlich herbeigeredet. Nur Recht, soziale Gerechtigkeit und Toleranz könnten langfristig dem Terrorismus den Boden entziehen, erklärten die Unterzeichnenden.
Am 19-09-2001
Pro Asyl fordert Rekonstruktion des Abschiebe-Todes von Aamir Ageeb
Zum dritten Todestag
Auch drei Jahre nachdem der Sudanese Aamir Ageeb bei seiner Abschiebung aus Frankfurt unter den Händen von Bundesgrenzschutzbeamten zu Tode kam ist nicht absehbar, ob und wann das Drama im Rahmen einer Gerichtsverhandlung aufgeklärt wird. Zwar hat die Frankfurter Staatsanwaltschaft im Februar 2002 Anklage gegen drei BGS-Beamte wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung erhoben. Die Anwälte der Beschuldigten haben jedoch Anträge auf Ablehnung der Eröffnung der Hauptverhandlung gestellt.
Der 30-jährige Aamir Ageeb war am 28. Mai 1999 in einer Maschine der Lufthansa während des Startvorgangs erstickt. Zuvor hatten ihn Grenzschützer mit Plastikfesseln, meterlangen Klettbändern und einem Seil gefesselt und ihm einen Motorradhelm übergestülpt.
Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Tattag wird die Aufklärung des Hintergrundes immer schwieriger. Pro Asyl hält es für nötig, dass in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung die Ursachen- und Verantwortungskette rekonstruiert wird, die zum Tod Ageebs geführt hat. Aamir Ageeb war bereits der zweite Tote bei einer Flugabschiebung von deutschen Flughäfen. Lückenlose Aufklärung sei unabdingbar, damit sich solche Vorfälle nicht wiederholten.
Im April dieses Jahres sind zum ersten Mal in Europa Grenzschützer für die Tötung eines Abzuschiebenden zur Verantwortung gezogen worden. Drei Jahre nach dem Tod des abgelehnten nigerianischen Asylbewerbers Marcus Omofuma wurden in Österreich drei an seiner Abschiebung beteiligte Fremdenpolizisten, die ihn am 1. Mai 1999 mit Klebeband am Sessel eines Flugzeugs fixiert und geknebelt hatten, in 1. Instanz wegen fahrlässiger Tötung verurteilt: zu acht Monaten Haft auf Bewährung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Flugabschiebungen mit tödlichem Ausgang hat es außer in Deutschland und in Österreich auch in Belgien, Großbritannien und in der Schweiz gegeben.
Am 28-05-2002
Pro Asyl warnt vor massivem Abbau des Flüchtlingsschutzes in Europa
Bundesregierung soll Position revidieren
Pro Asyl warnt vor einem "weiteren massiven Abbau des Flüchtlingsschutzes in Europa". Anlässlich des Treffens der EU-Innen- und Justizminister am 2. und 3.Oktober und anlässlich der Verhandlungen über ein deutsches Zuwanderungsgesetz warnte die Organisation, der Flüchtlingsschutz drohe weitgehend in Transit- und Herkunftsregionen ausgelagert zu werden. Die Pro Asyl vorliegenden Dokumente aus den Ratsverhandlungen zu Asylverfahren sähen bei der Anwendung des Konzepts "sicherer Drittstaaten" sogar eine weit über die bundesdeutsche Drittstaatenregelung hinausgehende Konzeption vor. "Dieser Ratsentwurf schreibt nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner fest, sondern unterschreitet diesen noch weit", kritisierte Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl. "Er harmonisiert nichts, lässt völkerrechtliche Standards außer Acht und dokumentiert in erster Linie den gemeinsamen Unwillen, Flüchtlinge in der Europäischen Union aufzunehmen."
Die zwei zentralen Richtlinien zum Asylverfahren und zum Flüchtlingsbegriff sollen in den nächsten Monaten auf EU-Ebene verabschiedet werden. "Deutschland trägt die zentrale Verantwortung, inwieweit die Schaffung eines gemeinsamen Asylsystems überhaupt noch gelingt oder ob Europa sich von seiner Verantwortung Flüchtlinge aufzunehmen, weitgehend verabschiedet", meint Pro Asyl.
Ursprünglich war die rot-grüne Regierungskoalition angetreten, um auf nationalstaatlicher Ebene das Reformprojekt Zuwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen und gleichzeitig in den EU-Verhandlungen für ein gemeinsames europäisches Asylrecht mit hohem Schutzniveau einzutreten. Mittlerweile, so Pro Asyl, verkehre sich dieser Anspruch ins Gegenteil. Seit Monaten blockiere die Bundesregierung gegen alle anderen EU-Mitgliedstaaten die Verabschiedung der Flüchtlingsrichtlinie mit dem Hinweis, zuerst solle das bundesdeutsche Zuwanderungsgesetz beschlossen werden.
Doch der aktuelle Entwurf der Richtlinien darf nach Ansicht der Flüchtlingshelfer nicht beschlossen werden. Die Regelungen seien extrem restriktiv und gingen noch über das bisher in Europa zu findende Recht hinaus. Ein Asylsuchender solle etwa in ein beliebiges Drittland zurückgewiesen werden können, ohne dass er es jemals betreten habe. Selbst Staaten, die die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert haben, dürften als "sicher" qualifiziert werden.
Pro Asyl fordert die rot-grüne Bundesregierung auf, ihre Position zu revidieren. "Wer auf Biegen und Brechen um eine völkerrechtswidrige Konzeption auf EU-Ebene kämpft, trägt maßgeblich dazu bei, dass das Asylrecht in Europa kaputt harmonisiert wird", so Kopp.
Am 30-09-2003
"Die Bundesregierung entzieht Flüchtlingen ihren Status"
"Desintegrationspolitik"
Nach Darstellung der Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Pro Asyl "entzieht die Bundesregierung Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten ihren Status und plant weitere gesetzliche Verschlechterungen des Flüchtlingsschutzes". Flüchtlinge seien offenbar "zunehmend unerwünscht", kritisierten die Organisationen im Vorfeld des Weltflüchtlingstages am 20. Juni. Die Bundesregierung nutze die wegen der Umsetzung von EU-Richtlinien notwendige Änderung des Zuwanderungsgesetzes beispielsweise dazu, das Alter für den Familiennachzug bei Flüchtlingen von 18 auf 21 Jahre heraufzusetzen. Außerdem sollten nachziehende Ehepartner vor der Einreise Deutsch lernen und entsprechende Kenntnisse nachweisen müssen. "Dies ist absurd", meint Julia Duchrow von Amnesty. "Wie soll die mittellose Ehefrau eines tschetschenischen Flüchtlings im zerstörten Grosny Deutsch lernen?" Der Vorschlag verstoße im übrigen gegen Europarecht, meinen die Organisationen.
Amnesty und Pro Asyl kritisieren auch die Praxis des Bundesamtes für Migration und Flucht (BAMF), Flüchtlingen aus Afghanistan, dem Irak und Angehörigen von Minderheiten aus dem Kosovo den Flüchtlingsstatus zu entziehen, obwohl sie nicht abgeschoben werden könnten. "Damit verlieren diese Menschen soziale Sicherheiten wie etwa ihren Arbeitsplatz", so Bernd Mesovic von Pro Asyl. Mit dieser "Desintegrationspolitik" signalisiere die Regierung: "Verschwindet aus Deutschland – auch wenn wir euch im Moment nicht abschieben können."
Selbst wenn sich die politische Situation in diesen Ländern geändert habe, habe sich die Sicherheitslage für die betroffenen Flüchtlinge "keineswegs verbessert". Daher seien Abschiebungen von Flüchtlingen nach Afghanistan oder in den Irak nicht zu verantworten, so Duchrow. Auch in den Kosovo dürfen Minderheitenangehörige oder traumatisierte Flüchtlinge nach Auffassung der Organisationen nicht abgeschoben werden.
Die Verbände fordern ein Bleiberecht für langjährig Geduldete. In Deutschland lebten fast 200.000 Menschen mit einer Duldung, 130.000 davon seit mehr als fünf Jahren. "Diese Menschen leben in ständiger Angst vor der Abschiebung und dem folgenden Sturz ins Nichts", so Mesovic. "Duldung bedeutet ein Leben ohne Perspektive. Wir fordern daher eine Bleiberechtsregelung und einen Abschiebestopp, bis eine solche Regelung in Kraft tritt."
Am 19-06-2006
Residenzpflicht für Flüchtlinge: Gefangen im Gestrüpp der Lockerungen
Flüchtlingsrat Brandenburg und PRO ASYL legen bundesweiten Überblick vor
Die sogenannte „Residenzpflicht“, die es Asylsuchenden und Geduldeten verbietet, einen bestimmten Landkreis oder Regierungsbezirk zu verlassen, wurde in den letzten zwei Jahren in vielen Bundesländern gelockert. Mittlerweile haben elf Länder den Aufenthaltsbereich von Asylsuchenden und Geduldeten auf das Bundesland erweitert, zwischen Berlin und Brandenburg besteht bereits eine länderübergreifende Regelung.
Doch so erfreulich dieser Trend zur Liberalisierung ist, so kleinlich und widersprüchlich zeigen sich die Regelungen bei näherer Betrachtung. Für einen großen Teil der Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nur den Aufenthaltsstatus der Duldung haben, können die Ausländerbehörden nach wie vor den Bewegungsradius auf einen Landkreis oder sogar eine Stadt beschränken.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Verurteilungen wegen selbst geringfügiger Straftaten, Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen und vor allem: fehlende Mitwirkung an der Ausreise. So wurde die Residenzpflicht in vielen Bundesländern von einer pauschalen Schikane für alle Asylsuchenden und Geduldete in eine individuell verhängbare Sanktionsmöglichkeit umgewandelt, mit der die Ausländerbehörden Betroffene nach eigenem Gutdünken bestrafen und unter Druck setzen können.
Ergebnis: Nur innerhalb Mecklenburg-Vorpommerns gilt die Bewegungsfreiheit uneingeschränkt.
„»Jeder Mensch hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen«, heißt es in Artikel 13 der UN-Menschenrechtskonvention. Ein Menschenrecht verwirkt man nicht durch Ladendiebstahl oder die Beurteilung eines Beamten, Mitwirkungspflichten verletzt zu haben“, kritisiert Kay Wendel vom Flüchtlingsrat Brandenburg, der die Studie erstellt hat.
Statt das skandalöse Bundesgesetz abzuschaffen, ist nun durch Länderverordnungen und -erlasse ein Gestrüpp von Sonderregelungen entstanden. Wie die Studie zeigt, ist allein in Mecklenburg-Vorpommern für alle Betroffenen der Aufenthalt im Bundesland ohne Einschränkung erlaubt.
Auch ist die Residenzpflicht mit den Lockerungen auf Länderebene keineswegs abgeschafft. Für Fahrten in andere Bundesländer müssen Flüchtlinge nach wie vor die Erlaubnis beantragen, das jeweilige Bundesland verlassen zu dürfen. In sechs Bundesländern erheben die Ausländerbehörden immer noch Gebühren für die Bescheinigung der erforderlichen Verlassenserlaubnis. „Es führt kein Weg vorbei an der Einsicht, dass die Zeit vorüber ist, an der Residenzpflicht herumzubasteln. Es ist höchste Zeit sie abzuschaffen“, so Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von PRO ASYL.
Am 04-02-2013