Wie der Rückblick auf ihr Leben zeigt, war Dicker-Brandeis aber nicht nur eine vielseitig begabte Künstlerin, sondern auch eine gute Pädagogin und ein Mensch, der anderen Lebensmut geben konnte. Im Konzentrationslager Theresienstadt, wohin sie 1942 deportiert worden war, unterrichtete sie Kinder im Zeichnen und Malen. Mit den Mitteln der Kunst zeigte sie den Mädchen und Jungen unter schwierigsten Bedingungen, dass das Leben lebenswert war, indem sie ihnen half, ihre Angst, ihren Trotz und ihren Überlebenswillen auszudrücken. Wie Ausstellungsmacherin Elena Makarova schreibt, rettete Dicker-Brandeis so "die Seelen vieler Kinder". Einige der von den Kindern gemalten Bilder sind in der Ausstellung zu sehen.
In der Zeit der Bedrohung habe Dicker-Brandeis als "mentale Überlebensmöglichkeit" einen ganzen neuen Stil entwickelt, sagte der Direktor des Bauhaus-Archivs, Peter Hahn, am Dienstag in Berlin. Fast idyllisch seien etwa ihre Landschaftsbilder geworden. In der Hölle der Konzentrationslager schuf sie noch Blumenbilder und Porträts. Einzig an den Rand der Blumensträuße komponierte Schlüssel weisen auf die Umstände hin, unter denen die Gemälde entstanden. Gerade die in der Ausstellung gezeigte Reihe von Porträtköpfen aus Theresienstadt mache "den Schrecken anschaulich, obwohl er nicht abgebildet ist", sagte Hahn. "Die Bilder der Kinder aus Theresienstadt waren frei, obwohl die Kinder im Gefängnis lebten", erläutert Makarova darüber hinaus ihre Faszination für Dicker-Brandeis.
Die Ausstellung bringt die "helle Seite", vor allem die Bauhaus-Zeit, im Leben der Friedl Dicker-Brandeis und die "dunkle Seite" bis zu ihrem Tod in Auschwitz 1944 zusammen. Dass die Schau zu Ehren dieser Künstlerin in Deutschland gerade in der Stadt gezeigt werde, in der einst die Entscheidungen zur Ermordung der Juden getroffen worden seien, freue ihn besonders, sagte Rabbi Abraham Cooper vom Museum of Tolerance in Berlin. Ausgestellt werden Gemälde, Zeichnungen, Textilien und Möbel sowie Fotos, Briefe und Sachzeugnisse aus fast allen Lebensphasen der Künstlerin.
Dicker-Brandeis kam 1919 ans Weimarer Bauhaus, nachdem sie in Wien textiles Gestalten studiert und an den Wiener Kursen von Johannes Itten teilgenommen hatte. Am Bauhaus wurde sie unter anderem mit Georg Muche, Paul Klee, Wassily Kandinsky und Lyonel Feininger bekannt und gehörte in den engsten Kreis um Johannes Itten. 1923 verließ sie das Bauhaus und trat in eine Berliner Werkstatt für Kunsthandwerk ein. Später gründete sie ein Architekturbüro in Wien, wo sie mit ihrem Bauhaus-Studienfreund Franz Singer arbeitete. 1934 nach einer Festnahme in Wien wegen kommunistischer Umtriebe emigrierte sie zuerst nach Prag, wo sie ist im Widerstand aktiv war. In dieser Zeit entwickelte sich ihre Malerei weg vom Konstruktivismus des Bauhauses hin zu naturalistischen bis idyllischen Darstellungen. Im Dezember 1942 wurde Dicker-Brandeis gemeinsam mit ihrem Ehemann Pavel Brandeis nach Theresienstadt deportiert, wo sie den Zeichenunterricht für internierte Kinder organisierte.
Ihre Karriere als Künstlerin, der heute alle bescheinigen, dass sie den Weg in die Riege der Großen geschafft hätte, trat damit in den Hintergrund. Ihre Arbeit als Pädagogin findet in den Herzen der noch lebenden Zeitzeugen und ihrer Nachkommen einen Nachklang - im Bewusstsein der Öffentlichkeit dank dieser Ausstellung nun auch.
Bisherige Stationen der Ausstellung "Friedl Dicker-Brandeis - Ein Leben für Kunst und Lehre" waren Wien, Graz, Cesky Krumlov, Paris und Stockholm. 2002 wird die Schau für sechs Monate durch Japan touren. In Berlin ist sie bis zum 15. Oktober täglich außer dienstags von 10:00 bis 17:00 Uhr zu sehen. Es erscheint ein Katalog zum Preis von 95 Mark in Deutsch oder 71 Mark in Englisch.